Tag 1: Der „Golden Circle“
Wir sitzen im nördlichsten pakistanischen Restaurant der Welt. Ich bestelle Lammcurry und beäuge mit einiger Skepsis das klapprige Mobiliar. „Prost!“, sagt Stefan, nachdem wir die Erlaubnis eingeholt haben, unsere Mobiltelefone mit kostenlosem isländischen Strom neues Leben einzuhauchen.
„Das war ein eher ungewöhnlicher Tag“, beginne ich zu sinnieren. Mit einigem Glück bin ich dem Bahnstreik entkommen. Danach habe ich ein kurzes Gastspiel auf der Frankfurter Buchmesse gegeben, um am Nachmittag mit Stefan nach Keflavik zu fliegen. In einer Vorstadt von Reykjavik haben wir schließlich unsere Behausung für die nächsten drei Tage in Empfang genommen: Einen ehemaligen Lieferwagen, der nun ein zweites Leben als Wohnmobil führt.
Als wir den Renault DCI 115 durch die dunkle Stadt steuern, weist dieser einen kleinen Makel auf: Gylfi, der seit dem Island-Boom mit einigem Erfolg Geschäftsführer von Camp Easy Iceland ist, hat uns eine externe Steckdose geliehen, die an den Zigarettenanzünder angeschlossen wird. Für Laptops etc. Doch die Sicherung ist defekt. Weil die Werkstätten geschlossen sind und wir auf funktionierende technische Infrastruktur angewiesen sind, beschließen wir die Nacht in der Hauptstadt zu bleiben, statt unseren dreitägigen Roadtrip noch am Abend zu starten.
Von meinem ersten Island-Aufenthalt erinnere ich mich dunkel an ein Schwimmbad am Rande der Innenstadt – mit einem Campingplatz daneben. „Gekauft“, sagt Stefan, ehe wir in die schon weitgehend leblose City fahren. Nur der „Fish Market“ ist gut gefüllt. Eine Hochburg des neuisländischen Hedonismus, wie ich miterleben durfte, als ich anlässlich des Banken-Crashs in Island verweilte. Wir entscheiden uns dennoch für das „Shalimar“ und bereuen das nicht.
Ziemlich erschöpft aber zielsicher bewegen wir unser Hotel zurück zum Campingplatz. Von den beiden Schlafflächen ist eine nichts für Klaustrophobiker. Dafür steigt die warme Luft der Standheizung ungehindert hierhin auf. Der Schlafkomfort, so meine erste Schlussfolgerung, ist daheim ein anderer. Aber das Leben als Nature Kid oder Outdoor-Hippie fordert halt seinen Preis.
Ein Bad im Laugardalslaug
Als ich gegen 8 Uhr den Wagen verlasse, ist die Sonne noch nicht aufgegangen. Die Luft ist klar und kalt, das Gras von Raureif bedeckt. Die Gliedmaßen schmerzen. Nun kommt Laugardalslaug ins Spiel, das größte Schwimmbad Islands, einem Land, in dem Bäder und heiße Quellen das Allergrößte sind.
Es folgen zwei erhabene Stunden mit Sonnenaufgang, aufsteigenden Nebelschwaben, einer kleinen Fitness-Einheit, ausgelassenen Rutschbahnfahrten und Einblicken in die nationale Folklore. Mitglieder übrigens können hier per Augenscanner einchecken. Und die Badehosenauswringmaschinen sind höchst effizient.
Paralysiert von diesem Wellness-Stopover, verlässt sämtliche Eile unsere Körper. Wir legen unsere Roadtrip-Pläne vorübergehend auf Eis und steuern unser Vehikel stattdessen zum kleinen Hafen. Im Hintergrund: kahle Berge mit Schneeresten. Nur ein paar Schritte entfernt: Die „Harpa“, nationale Konzerthalle und Oper in Personalunion. Ein recht euphorischer, manche sagen auch: größenwahnsinniger Prunkbau mit einer von Olafur Eliasson gestalteten Fassade.
Langsam macht sich das Fehlen eines Frühstücks bemerkbar. Unser Blick fällt auf „Icelandic Fish & Chips“, ein unaufgeregtes Restaurant mit kurzen Wegen zum Hafen und entschlossenem Fokus auf Meeresbewohner. Der Wolfsfisch in einer dünnen Bio-Panade (!?) ist vorzüglich. Preiswert, schmackhaft und #OnlyInIceland. Ob die Mango im Salat wohl auch aus den von Geothermie beheizten Gewächshäusern stammt, wo ich einst Tomaten erstanden habe?
Küstenstraße oder Golden Circle?
Derart gestärkt, schmieden wir endlich Pläne. „Küstenstraße oder Golden Circle?“. Eine rhetorische Frage, denn die erste Option hatten wir bereits ausgeschlossen. 1700 Kilometer für Island in drei Tagen – das war einfach zu viel. Also brechen wir gegen Mittag auf zu den drei großen Touri-Attraktionen des Landes. So etwas wie Kölner Dom, Heidelberg und Schloss Neuschwanstein an einem Tag. Aber auch beim dritten Mal nicht langweilig.
Erste Station ist nach der Fahrt durch erstaunlich weitläufige Vorstädte und emsig vor sich hin qualmenden Geothermie-Kraftwerken Þingvellir, der mythische Ort, wo seit dem Jahr 930 die isländische Volksvertretung zu tagen pflegte. Damals konnten die Volksvertreter allenfalls erahnen, dass sie sich zugleich an jenem Orte befanden, wo die europäische Kontinentalplatte auf die amerikanische trifft.
Nach kurzer Kontemplation geht es weiter landeinwärts zum Geysir, dem archetypischen isländischen Phänomen schlechthin. Zwar hat der Große Geysir als Namensgeber altersschwach den Dienst quittiert, doch konnte der Strokkur auf demselben geothermischen Experimentierfeld seine Aufgaben übernehmen.
Letzte Station des nordischen Triathlons ist Gullfoss, wo sich der Fluss Hvítá mit mehreren aufeinanderfolgenden Kaskaden furchtlos in eine Schlucht stürzt. Dabei ist er von kalbenden Gletschern und kargen Landschaften umgeben. Der Wind peitscht und die Sonne senkt sich bereits spürbar.
Doch auf die Ringstraße?
Auf dem Weg zurück zum Auto, legen wir einen kleinen Stopover in der einzigen Gaststätte ein. Hier machen sie hervorragenden Lammeintopf, weiß ich von meiner vorherigen Visite. Die bislang unbeantwortete Frage vom Vormittag meldet wieder. Island in drei Tagen – was machen wir eigentlich mit dem Rest? „Lass uns die Ringstraße fahren“, sagen wir fast zeitgleich. Auch wenn uns bis zum Abflug nach Denver keine 48 Stunden mehr bleiben.
In Selfoss, einem Kaff, das die ziemlich großartigen Gus Gus auf Vinyl verewigt haben (auf „Arabian Horse“, Kompakt), decken wir uns mit ein paar rudimentären Vorräte ein. Auf dem Parkplatz kommt uns ein Wagen entgegen, bei dem der Fahrer den Kopf weit zum Fenster raushält. Ich nutze seine Langsamkeit, um ihm die Vorfahrt zu nehmen.
Der Typ belagert unseren Van und folgt uns mit seiner Massenmördervisage in den gut sortierten Supermarkt und dort durch die Gänge. Dessen ungeachtet kaufen wir alles für eine warme Mahlzeit sowie einen formidablen Obstsaft mit hohem Spinat- und Ingweranteil.
Als wir Selfoss verlassen, ist es fast dunkel. Der Typ hat die Verfolgung aufgegeben. Dieselbe Taktik, wie bei einer Wespe: Einfach ignorieren, dann hauen auch die bösen isländischen Elfen ab. Wir nehmen Kurs auf den Eyjafjallajökull, jenem Vulkan, der im April 2010 unter gelegentlicher Verwendung der Abkürzung E15 für einige Turbulenzen gesorgt hatte. Das war nach dem Banken-Crash der zweite seltsame Anlass, wegen dem ich nach Island gekommen bin. Als wir den Vulkan passieren, kann ich seine Silhouette im Mondschein erkennen.
Vorbei an dicht bevölkerten Schafweiden und über zum Teil beängstigend schmale Brücken fahren wir die Straße mit dem schlichten Namen 1 immer weiter. Uns kommen jetzt nur noch vereinzelt schwere LKW entgegen. Der Rest der Insel schläft.
Erst gegen 23 Uhr haben wir keine Lust mehr. Wir stellen den Wagen auf einem geräumigen Parkplatz ab, holen den Campingkocher hervor und bereiten die Steinpilzravioli mit Zitronenthymian und Parmesan zu. Danach machen wir alle Lichter aus, um den Wagen zu verlassen. Für das Polarlicht ist es mutmaßlich zu hell. Dafür blicken wir auf die Zunge eines Gletschers. Ein paar Schritte weiter steht eine Installation, deren Hauptbestandteil ein verkrüppelter Brückenpfeiler ist. Ein Mahnmal für das Gewaltpotenzial von Vulkanausbrüchen. Eine merkwürdige letzte Beobachtung vor dem Einschlafen.
Text und Bilder: Ralf Johnen, August 2015.
Die Reise wurde von Icelandair und Camp Easy Iceland unterstützt. Zwei weitere Geschichten über unseren Roadtrip folgen in Kürze.
Icelandair fliegt ganzjährig direkt ab Frankfurt/Main und München, saisonal auch ab Hamburg, Zürich und Genf nicht nur nach Island, sondern von dort aus weiter zu 16 Destinationen in den USA und Kanada – unter anderem ins tolle Denver.
Das hat zwei gravierende Vorteile für Nordamerika-Reisende: Sie können auf allen Transatlantikflügen 2 x 23 kg Freigepäck mitnehmen, in der Saga Class dürfen die Gepäckstücke gar jeweils 32 kg wiegen. Zudem haben Amerika-Passagiere die Möglichkeit zu einem bis zu siebentägigen Stopover in Island ohne Flugaufpreis.
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