Michael Ondaatje erklärt im Kölnischen Kunstverein, wie er fast bei Thomas Mann geklaut hätte
In einem Moment der Selbstbespiegelung soll Thomas Mann gesagt haben, dass er wohl eine gewisse Reputation als Chronist umfangreicher Mittagessen genieße. Dies, gesteht Michael Ondaatje, wollte er sich zunutze machen, indem er die Menüs aus dem „Zauberberg“ in seinem neuen Roman zu Schiffsmahlzeiten umfunktioniert. Leider aber habe er das vergessen. „Sonst wäre es wohl ein viel längeres Buch geworden.“
Geblieben jedoch ist ein Titel mit deutschen Wurzeln: „The Cat’s Table“, ein Idiom, das auf Englisch nicht existiert. Wie der 68-jährige dem Publikum im Kölnischen Kunstverein auf Einladung der Buchhandlung Bittner erklärt, hat er den Begriff bei seiner deutschen Lektorin geklaut, die sich in Gegenwart des Kanadiers beklagt hatte, dass sie bei einer Veranstaltung mit einem Platz am Katzentisch vorlieb nehmen musste.
Nachdem er sich über die Bedeutung hatte aufklären lassen, gefiel dem bei Hanser erscheinenden Erfolgsautor („Der Englische Patient“) das Bild so gut, dass er seine Protagonisten an einen solchen Tisch umgesiedelt hat: Drei Jungs, die eine dreiwöchige Schiffsreise bestreiten, welche sie aus ihrer Heimat Sri Lanka nach Großbritannien führt. Junge Reisende, die sich mit dem Gegenentwurf zum Kapitänstisch begnügen müssen.
Wie er Moderator Denis Scheck und den rund 300 Zuhörern anvertraut, hat Ondaatje – abgesehen von dem kleinen Exkurs in die Feinheiten der deutschen Sprache – auf zusätzliche Recherchen verzichtet. Die Schiffsreise schließlich hat er als Elfjähriger selbst unternommen, auch wenn er sich heute allenfalls an das Pingpongspiel an Bord erinnert. Zugleich die Voraussetzung dafür, dass er nicht der Versuchung des Memoirenschreibens erlegen war, sondern ein pures Produkt der Fantasie abgeliefert hat.
Wie die Schilderung jenes Tages, als die gelangweilten Jungs ihre Vorfreude auf einen herannahenden Sturm ausleben: Zwei von ihnen lassen sich vom Dritten an der Reling fesseln. Bald schon zerspringen unter Deck die bunten Scheiben des Salons, dem Purser wird von der Gischt das Glasauge aus der zugehörigen Höhle gespült. Doch die jungen Abenteurer vergnügen sich unverdrossen im Auge des Sturms.
Nicht zuletzt mit derlei Anspielungen an die Klassiker des maritimen Genres schöpft Ondaatje das Potenzial des geschriebenen Wortes aus: Es ist Literatur als Abbild jener Augenblicke, die das Leben der Figuren unwiderruflich verändern wird. Mit sichtbarem Spaß und einer von Scheck zu Recht diagnostizierten Leichtigkeit trägt Ondaatje sie auf dem Podium vor. Halb als professorale Eminenz, halb als der Junge von damals.
Zum Abschluss möchte eine Zuhörerin wissen, ob Ondaatje jemals wieder ein Schiff betreten hat. Ja, sagt er, als der Roman vollendet war, hat er eine Reise von New York nach Europa unternommen. Die ganze Woche hat er mit niemandem gesprochen. Und im Speisesaal war er geradezu entgeistert, als er keinen Passagier erkannte – obwohl er sich doch in seiner Fantasie so schön ausgemalt habe, wo jeder seiner Charaktere zu sitzen habe. „Also habe ich meine Mahlzeiten in der Cafeteria eingenommen. Ganz alleine.“