Der alles überragende Dom. Der rauschhaft gefeierte Karneval. Und ein Bier, das aus eigentümlich schmalen Gläsern getrunken wird. Das sind wohl die wesentlichen Merkmale, mit denen Köln im Rest des Landes in Verbindung gebracht wird.
Dazu vielleicht noch seine außergewöhnlich weit zurückreichende Geschichte, der die Stadt teilende Rhein, der symptomatische Klüngel und ein beklagenswert mittelmäßiger Fußballverein. Alles in allem aber dürfte kaum eine deutsche Stadt in ihrer externen Wahrnehmung auf so wenige Klischees reduziert werden.
Köln: Mehr als Brauchtum und obergäriges Bier
Dabei steht außer Frage: Die Kölner identifizieren sich vorbehaltlos mit der wohl prominentesten Sehenswürdigkeit in Deutschland. Sie verstehen es, das Brauchtum auf rituelle Weise zu zelebrieren. Und sie stehen zu ihrer obergärigen Bierkultur. Doch es sind andere, eher alltägliche Vorzüge, wegen der sie die viertgrößte Stadt des Landes lieben: Köln ist herzlich und zugänglich. Es ist bunt und vielseitig.
Und für eine Metropole – diesen Anspruch hegt die Stadt nicht erst, seit die Einwohnerzahl vor wenigen Jahren die Millionengrenze überschritten hat – sind die Wege bemerkenswert kurz. Wer in der Alt- oder der Neustadt lebt, kommt zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auch mit den Bahnen bequem und schnell von A nach B.
Auch die Bevölkerungsstruktur ist sympathisch ausgeglichen: Bürgertum, Studenten, Kreative und Arbeiter prägen das Straßenbild zu ähnlich großen Anteilen. Sie vermengen sich an den allgegenwärtigen Büdchen (Kioske) und in den traditionellen Brauhäusern, die für ein funktionierendes gesellschaftliches Leben nicht weniger wichtig sind, als die Institutionen der Hochkultur.
Innerhalb der Stadtmauern
Gewiss, das Stadtbild bietet auch Anlass zur Klage. Das Wachstum Kölns war bis 1880 rund 700 Jahre lang durch eine Stadtmauer begrenzt. Daher sind Grünflächen und andere Rückzugsräume in der Innenstadt rar. Zudem wurde die Stadt im Zweiten Weltkrieg zu geschätzten 90 Prozent zerstört. In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 hatten nicht weniger als 1047 britische Bomber Kurs auf die Stadt genommen.
Die bis zum Kriegsende entstandenen Narben sind nie verheilt. Auch, weil die Kölner ihre Stadt hastig, ja vielleicht sogar übereilt und deshalb nur mit bescheidenen Mitteln und vielerorts allzu lieblos wieder aufgebaut haben.
Schmucklose Zweckbauten mit gekachelten Fassaden und gräulichen Anstrichen dominieren bis heute viele Straßenzüge. Asphalt, Beton und dichter Verkehr machen zahlreiche Plätze zu unwirtlichen Orten.
Der Grüngürtel und andere großzügige Freiräume
Das aber ist nur die eine Seite. Die Kölner nämlich haben sich sehr wohl ihre Wohlfühlorte geschaffen. Nur sind diese weniger sichtbar, als in den meisten anderen Städten. Rheinufer, Stadtwald und die beiden konzentrisch angelegten Grüngürtel bieten in Köln überraschend großzügige Freiräume für Bewegung und Entspannung.
Ein Dorf mit Wolkenkratzer: Besuch in der Nachbarstadt BonnDas setzt sich im Umland nahtlos fort: Die Eifel, das Bergische Land, das bürgerliche Bonn und „die verbotene Stadt“ Düsseldorf sind ebenso reizvoll wie nah gelegen. Wie überhaupt viele europäische Metropolen ohne großen Aufwand erreichbar sind. Fragt man die Kölner, ist das neben den kurzen Wegen innerhalb der Stadt der zweite große Vorzug gegenüber den anderen deutschen Millionenstädten.
Der liberale Geist der Kölner
All das macht die Stadt angenehm. Für mich als Kölner aber ist es vor allem der liberale Geist, der das Leben hier prägt. Ob bunt oder grau, ob alt oder jung, ob hetero oder schwul, ob rheinisch, schwäbisch oder türkisch – das alles interessiert in der 2000 Jahre alten Stadt eher am Rande.
Auch ist es völlig normal, dass nach Feierabend ein jeder Erwachsene eine offene Flasche Bier durch die Straßen trägt. Der Rathenauplatz, der Brüsseler Platz und der Grüngürtel laufen binnen weniger Stunden voll, sobald das Thermometer auch nur 15 Grad anzeigt.
Die Kölner Bars sind bis tief in die Nacht geöffnet
Und ist es zu schattig, bleiben immer noch die Bars und Kneipen, von denen viele bis spät in die Nacht oder gar bis zum frühen Morgen geöffnet sind. Entgegen dem Klischee, dass in Köln Tradition Trumpf sei, erfinden sich die Lokale sogar erstaunlich oft neu.
Überall hier erfreuen sich die Kölner sehr bewusst am Leben. Aber sie versäumen es auch nicht, über jene Vorfälle und Phänomene zu räsonieren, die der Stadt in regelmäßigen Abständen deutschlandweit eine zweifelhafte Reputation beschert haben. Auf den Straßen ist gar das Wort Bananenrepublik zu hören, wenn zum Beispiel die Frage zur Debatte steht, wie es möglich ist, dass beim Bau einer U-Bahnlinie erst ein Kirchturm absackt und später das Stadtarchiv mit allen eingelagerten historischen Preziosen einstürzt.
Köln als Kunst und Kulturmetropole
Doch es bedarf nicht unbedingt einer Katastrophe, um den Ist-Zustand der Stadt in Frage zu stellen. Viele Kölner sind geneigt zu fragen, wie es sein kann, dass der berüchtigte Klüngel, also die rheinische Vetternwirtschaft, auch in der Gegenwart noch seine Schlupflöcher findet? Und weshalb fallen den Stadtvätern insbesondere jene Weichenstellungen für die Zukunft so schwer, die den Ruf Kölns als Kunst- und Kulturmetropole festigen könnten?
Doch auch eher philosophische Fragen machen die Runde. Müssen Projektentwickler und die von ihnen beauftragten Architekten auf alle Ewigkeiten die Dominanz des Doms im Stadtbild respektieren – und das, obwohl die Skyline ohnehin ganz und gar uneinheitlich ist? Und wäre es nicht schön, wenn die Fans des chronisch erfolglosen „Effzeh“ ihre Mannschaft endlich dauerhaft in der 1.Bundesliga anfeuern könnten?
Ich selbst als Journalist nehme die Konflikte und Diskussionen stets interessiert zur Kenntnis – mal kopfschüttelnd, und dann wieder mit einigem Verständnis. Mein Leben hier aber beeinflusst das ebenso wenig, wie der Dom, der Karneval oder die Brauhauskultur. Ich mag Köln wegen seines unprätentiösen und unaufgeregten Alltags. Weil vieles erlaubt ist und nur wenig verboten. Wegen der Restaurants und Bars. Und weil sich ganze Viertel wie das Belgische erfolgreich aus dem Würgegriff der global agierenden Konzerne entzogen haben.
Die Romanischen Kirchen: Orte der Melancholie
Manchmal, wenn ich das Bedürfnis nach ein wenig Melancholie verspüre, besuche ich eine der heimlichen Sehenswürdigkeiten der Stadt: die romanischen Kirchen, in denen ich mich in ausgesuchten Augenblicken auch schon ganz alleine aufgehalten habe. Die Bauwerke erinnern mich daran, wie viele Gesichter diese Stadt in den fast 2000 Jahren ihrer Existenz schon gehabt hat. Und sie inspirieren mich im Alltag dazu, genauer auf die Relikte der reichen Vergangenheit zu achten.
Auch ein wenig Pathos gestatte ich mir einmal pro Jahr. Nicht zu Karneval, sondern an Weihnachten lege ich im Elternhaus die Vinyl-Version des ersten Bläck Fööss-Albums auf, auf dessen Cover die Band natürlich vor dem Dom posiert. Wenn Tommy Engel folgende Zeilen singt, bleiben wir nicht stumm: »Trink doch ene met, stell dich nit esu ann, du stehs he die janze Zick erüm. Hässt du och kei Jeld, dat is janz ejal, drink doch met un kümmer disch net drüm«. (»Trink doch einen mit, stell Dich nicht so an, Du stehst hier die ganze Zeit herum, hast Du auch kein Geld, das ist ganz egal, trink doch mit und kümmere Dich nicht drum«). Beseelt denken wir, dass so etwas Gefühlsduseliges und zugleich Schönes keine andere Stadt Deutschlands zu bieten hat.
Dies ist das einleitende Kapitel zu meinem Städteführer Köln, der nun in der neuen Reihe Merian Momente erschienen ist. Das Buch kann in all den schönen kleinen Buchhandlungen dieses Landes gekauft oder bestellt werden.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Februar 2023.
4 Comments
oh, wie schön! mal schauen, ob ich mir das büchlein zulege, wenn ich ende dieses jahres aus mexiko-stadt ins beschauliche köln zurückkehre 🙂 auf jeden fall weckt deine liebeserklärung vorfreude!
So wirklich beschaulich ist es hier am Zülpicher Platz nicht, Nadine. Aber im Vergleich zu Mexico City vermutlich dann doch wieder. Immer schön, von Kölnern aus der Ferne zu hören, dass sie sich auf ihre Stadt freuen.
Interessant, Petrina. Diese Schlösser hängen ja inzwischen in jedem Dorf – aber in Köln ist es tatsächlich recht voll an der Hohenzollernbrücke. Und so wurde es wohl Zeit, dass eine Initiative dagegen ins Leben gerufen wurde. Schön, dass sich ausgerechnet die Stadt der Liebe davon distanziert.
Genau, diese Schlösser an den Brücken kenne ich aus Köln – in New York hat das auch schon angefangen (na ja, hier gibt es ja auch verdächtig viel Kölsch!). In Paris gibt es inzwischen eine Initiative dagegen namens No Love Locks, wusstest du das?