Vom Flughafen direkt auf die Pferderennbahn. So habe ich mir als Student den Jetset vorgestellt. Lange musste ich warten bis ich überprüfen konnte, was es mit dieser Vorstellung auf sich hat. Dann habe ich mich am 29. Dezember 2013 in den Flieger nach Dublin gesetzt.
Dort bin ich eilig in einen Kleinbus umgestiegen. Und um 13 Uhr habe ich auf der Pferdebahn in Leopardstown eingecheckt, wo mir als erstes Michael O’Leary über den Weg gelaufen ist. Ihr wisst schon, der Typ von dieser Airline, der Stehplätze in seine Flugzeuge einbauen lassen und den Co-Piloten abschaffen will.
Ich habe diesen O’Leary schon mal in meinem früheren Leben getroffen. Damals hat er mir ein Croissant in die Hand gedrückt, um auf mich und andere Kölner Journalisten einzureden. Tenor: Alle sind immer gegen ihn, seine guten Ideen und seine Airline.
Nun, an diesem windigen Tag in einem Vorort von Dublin, redet der Mann wieder. Mit Engelszungen beschwört er seine Gäule. Wahnsinnig schnell sollen sie um das Rund in Leopardstown herumgaloppieren bei den letzten Rennen des Jahres. Und gewinnen!
Wie sich die Laune von Mr. Ryanair im Laufe des Tages entwickelt hat, habe ich nicht im Detail verfolgt. Dafür habe ich mit Tausenden Iren die Pferde angefeuert. Zehneuroscheine auf die falschen Nummern gesetzt. An einem Lager genippt. Mich erkundigt, was „Team Snell“ wohl sein könnte. Wind und Wetter getrotzt. Folkloristische Aktivität Nummer 1: Check.

In guter Gesellschaft: Der Besuch der Rennbahn gehört beim New Year’s Festival in Dublin zum guten Ton
Dann stehe ich im Regen und spitze die Ohren. Es regnet. Doch das macht mir nichts aus, denn ich höre ein Lied, das ich seit meiner Jugend kenne. Keine Angst, nicht aus dem Konfirmationsunterricht, sondern aus dem Radioprogramm der britischen Streitkräfte, das die Sendungen des großen John Peel in die rheinischen Vorstädte gebracht hat.
Der Song heißt „The Green Fields of France“ und handelt von den jungen Soldaten, die auf den Feldern Flanderns und Nordfrankreichs im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Es ist Finbar Furey, der das traurige Lied ohne Pathos interpretiert. Viele Iren singen mit ohne dabei zu merken, dass sie im Regen stehen. In Irland macht man sich nicht so viele Gedanken, ob man cool ist.
Am nächsten Tag ein Rundgang. Ich staune schon zu früher Uhrzeit, dass sich an diesem Morgen scheinbar alles ums Bier dreht. Mit dunkel getönten Scheiben bürstet das Guinness Quality Team durch die Straßen der Stadt.
Vor den Pubs türmen sich Fässer und Kästen zu installationsartigen Gebilden auf. Anlass genug für die Schlussfolgerung Dritter, dass dies ein guter Tag werden könnte.
Jetzt geht es wieder um Musik. Eine graue Hauswand in Temple Bar fungiert zur optischen Artikulation des Nationalstolzes. Zu meiner Freude ist sie geschmückt mit dem Konterfei von Shane McGowan. Außerdem erkenne ich die Untertones und Van Morrison.
Einem anderen irischen Helden begegne ich später in der Harry Street. Hier steht eine Statue von Phil Lynott, dem 1986 im Alter von 37 Jahren gestorbenen Gitarristen von Thin Lizzy. Als ich höre, dass sich seine Mutter Philomena auch mit 90 noch öfters auf den Sockel der Statue ihres Sohnes setzt, werde ich ein bisschen schwermütig.
Dann noch eine Statue. Diesmal steht sie im Little Museum, einer Sammelstätte für sympathische Artefakte mit einer Art U2-Meditationsraum. Sie zeigt einen lebensgroßen Bono in einem Mephisto-Kostüm. Er muss ein ziemlich kleiner Mann sein, denke ich als ich daneben stehe.
Gegen Mittag wird es literarisch. Ich suche einen Pub auf, der nach George Bernard Shaw benannt ist. Die South Richmond Street ist bunt, rau und kaum gentrifiziert. Mein inoffizieller Auftakt zum Dublin Genius Day, wie der kulturelle Mini-Event-Parcours zum Jahreswechsel heißt.
Kurz darauf stehe ich erstmals in einem Tattoo-Studio. Nicht, um mir wie einst angedacht einen Presslufthammer – oder, je nach Laune – einen Kühlschrank auf den Rücken tätowieren zu lassen, sondern um eine Kapelle namens CFIT zu sehen. Es ist brechend voll, und ich bekomme nur die Zugabe mit.
Dann gehe ich in die Kirche. Auch in diesem Fall nicht aus dem üblichen Grund, denn ich habe heute nichts zu beichten. Dafür lausche ich den eloquenten Versen irischer Troubadoure, die in rasanter Abfolge auf ein improvisiertes Podium klettern. Wenig später dränge ich mich im sympathischen Café Brother Hubbard an der Coffee-to-go-Schlange vorbei, um eine entzückende Song-Writerin namens Liza Flume bei einem Cameo-Auftritt anzufeuern.
Und zu guter Letzt starre ich mit einem Kilkenny in der Hand auf ein Photo Booth in der Bar Twisted Pepper, das ein Schlagzeuger bezogen hat, der mit seinem Buddy an der Gitarre als „Lie Ins“ in bester Strokes-Manier durch einen Set rumpelt.
Inzwischen ist die blaue Stunde angebrochen. Zeit für einen Spaziergang am Liffey. Ein wenig Sauerstoff kann nicht schaden vor dem nächsten Programmpunkt, der ultimativen Aufwärmparty für den letzten Tag des Jahres: New Years Thieves im Sugar Club.
Der 31. Dezember steht zunächst im Zeichen der Kontemplation. Ich mache einen Ausflug aufs Land nach Newgrange (was ich an der prähistorischen Gedenkstätte erlebt habe, erfahrt ihr hier). Zurück in Dublin, naht die Apotheose: Die Procession of Light beginnt mit einem Fackelumzug durch die City. Stimmungsvoll und besinnlich. Leider nur mit Fake-Fackeln. Wegen der Sicherheit. Aber egal. Die Tour endet mit einer akrobatischen, ballettartigen Darbietung in luftigen Höhen, einer Art Schwanensee am Kranhaken. Mit viel Konfetti.
Ehe ich mich versehe, stehe ich wieder in einer Kirche. Diesmal ist es die Zentrale des Dubliner Tourismusbüros, das in St. Andrew auf Suffolk Street untergebracht ist. Hier darf ich meine Sachen unterstellen, während vor dem Trinity College das Countdown Concert steigt. Um 23.35 Uhr betreten Madness die Bühne – und ich kann eine angenehme Vorfreude nicht verbergen.

Mit Fotos von Madness kann ich nicht dienen. Gegen Mitternacht war es mal gut mit der Fotografiererei
Der Gig steigt unter freiem Himmel. Das geht in Irland, wo es auch im Winter nicht friert. Um 23.59 Uhr unterbrechen die Ska-Veteranen ihren Set. Feuerwerk, Ballons und noch mehr Konfetti sind die unmissverständlichen Grußbotschafter für das Jahr 2014. Wie kann es ein schlechtes Jahr werden, wenn es mit „Michael Caine“ und „Our House“ eröffnet wird?
Die späteren Stunden der Nacht überlasse ich diesmal den anderen. Schließlich habe ich das ganze Jahr über ausreichend Spaß, um mir eine Überdosis Vergnügen sparen zu können. Also stiefele ich um halb drei gen Trinity City Hotel, von dessen Kolonialstil-Lobby ich dickflüssige, tropische Träume bekomme. Am nächsten Morgen geht es mir einwandfrei. Das Frühstück allerdings überschlage ich zugunsten eines ausgedehnten Spaziergangs entlang des Grand Canal, der die Stadt halbkreisförmig umschließt, um viel später in den Shannon zu münden.
Mit klaren Kopf freue ich mich auf ein herrlich altmodisches Vergnügen: Ein Mittagessen in einem Luxushotel. Im Saddle Room ist das Ambiente plüschig, die livrierten Kellner haben hervorragende Manieren, das Dreigangmenü ist ebenso köstlich wie erschwinglich (26 €). Und der cremige Weißburgunder aus Norditalien schmeckt auch schon wieder. Auch so habe ich mir als Student den Jet Set vorgestellt. Prost 2014.
Informationen:
Seit einigen Jahren feiert Dublin den Jahreswechsel mit einer Serie witziger Events. Der Tonfall und die Atmosphäre des New Year’s Festival sind trotz des feierlichen Anlasses angenehm unaufgeregt.
Das New Year’s Festival in Dublin dauert in diesem Jahr drei Tage (30. Dezmber bis 1. Januar). Es besteht aus dem Music Trail, einem Food Village, Lichtinstallationen und diversen Veranstaltungen. Hinzu kommen der Fackelumzug und das Countdown Concert am Silvesterabend. Am 1. Januar ist „Resolution Day“ – eine Einladung, die ersten guten Vorsätze umzusetzen. Doch keine Angst, es geht langsam los: Die Sportaktivitäten bestehen aus einem Fun Run, bei dem 2,5 Kilometer zurückgelegt werden.
Ich mag das Trinity City Hotel. Es ist gut gelegen, recht preiswert und freundlich. Die Lobby und weite Teile des Interieurs sind im Kolonialstil eingerichtet, was mich immer dazu veranlasst, nach Peter Ustinov oder David Niven Ausschau zu halten. Aber wahrscheinlich habe ich einfach nur zu viele Filme gesehen.
Text und Bilder: Ralf Johnen, Dezember 2014. Der Autor war auf Einladung von Tourism Ireland beim New Year’s Festival in Dublin. Mein Dank geht auch an die Kollegen von Visit Dublin.
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