Wir stehen in einem flachen Verwaltungsbau in einem Industriegebiet. Martin meint, wir sollten uns schon mal den Film ansehen, in dem die Basisfunktionen des RV erklärt werden. RV, das steht für Recreational Vehicle. So etwas wie ein Wohnmobil also. Nur halt auf Amerikanisch. Und das heißt: Mit zwei Flatscreen-Glotzen, einem mannshohen Kühlschrank, den unvermeidlichen braunen Sitzmöbeln, mit Dusche und WC – und einer Länge von 31 Fuß.
Fünf Tage haben wir Zeit, Colorado mit dem Gefährt zu erkunden. Rasch gewinnen wir den Eindruck, dass Martin ein generöser Mann ist, denn er überlässt uns für den Trip noch zwei Fahrräder, Flickzeug, Campingstühle und einen Toaster. Wichtige Utensilien, wie sich im Verlauf der Tour herausstellen wird. Wir brechen auf mit der Ansage, dass wir es heute noch bis zum Colorado National Monument schaffen wollen. Martin zieht die Augenbraue hoch.
Ehe wir den Interstate Richtung Süden ansteuern, sehen wir es als unsere Roadtrip-Pflicht an, den Kühlschrank angemessen zu füllen. Weil Colorado eine Hochburg vordenkender Freigeister ist, denen bekanntlich sogar der Konsum von Cannabis und Haschisch gestattet ist, erachten wir es als unsere Pflicht, „organic“ einzukaufen.
Zu diesem Zwecke haben wir auf dem GPS bei „Lucky’s Market“ eines fett virtuelles Kreuz gemacht. Kein ökiges Lebensmitteldepot für Asketen und Bessermenschen, sondern ein formidabel bestückter Laden für qualitätsbewusste Hobbyköche, die keinen genmanipulierten Mais und andere finstere Erfindungen von Nestle und Konsorten brauchen.
Wir kaufen die Zutaten für ein Fenchelrisotto mit Salsiccia, für Yellowfin-Thunfisch mit Spargel, für Pasta mit Tomatensauce (Bescheidenheit im Nationalpark) und, ganz wichtig, Zucchini, die Stefan allmorgendlich dünn geschnitten in Olivenöl brät. Uns beiden schwant, dass es viel ist, was wir hier einpacken. Aber die Widerstandskräfte gegen die Konsumkultur sind im frühen Stadium eines USA-Aufenthalts eben noch nicht voll entwickelt. Nebenan im Not-so-organic-Luckies-Liquorstore entscheiden wir uns für ein paar IPAs aus allen Teilen des Landes und – als Studienobjekt der Stunde – viel Riesling aus dem Nordwesten.
Die Zeit haben wir im Kaufrausch ein bisschen aus den Augen gelassen, oder besser gesagt: wir haben sie komplett vergessen. Nun haben wir Hunger. »Lunch-Time is crunch time«. Da passt es gut, dass neben dem Hedonisten-Biosupermarkt ein Feinschmecker-Biolunchrestaurant steht, der vom Namen her gleich in doppelter Hinsicht an die gute alte Zeit erinnert: Modmarket. Sogar die Pizza wird hier (fast?) ausschließlich mit saisonalen Ingredienzen belegt. Als wären wir hier zu Gast in Dave Eggers’ Roman „The Circle“.
Gegen 14.45 Uhr schaffen wir es endlich, das Vehikel nach Süden in Richtung Denver zu bewegen. Nicht ohne Bedenken übrigens. Stefan hat so ein Monstrum noch nie gefahren. Und ich habe zwar jahrelang einen Lkw von vergleichbaren Ausmaßen gesteuert. Aber lediglich auf dem Vorfeld eines Flughafens, als ich noch Student war.
Der Wagen mit seiner 6,8-Liter-Maschine allerdings meint es gut mit uns. Vorbei an prahlerisch fruchtbarem Land und träge vor sich hin arbeitenden Ölpumpen schaffen wir es auf den I-70, der für den Rest des Tages unser Gastgeber sein wird. Alle Verabredungen sage ich ab, da wir – aus unserer Sicht eher unverschuldet – dem avisierten Zeitplan um rund 240 Minuten hinterherhinken.
Wir fahren durch eine Gegend, die man wohl als Suburbs von Denver charakterisieren darf. Steile Hügel, auf denen verschwenderische Anwesen stehen. Wie damals im »Denver Clan«. In einem davon muss einst Blake Carrington gewohnt hat, der Ölmagnat aus dem Fernsehen, dessen streng gekämmtes, graumeliertes Haar mich so geprägt hat.
Unser Vehikel übrigens zeigt sich bislang recht kooperativ. Auch wenn das hier die Rocky Mountains sind und es entsprechend bergauf geht, ist die Beschleunigung beachtlich. Und das ist auch gut so, denn der Anstieg macht keine Anstalten, ein Ende zu nehmen.
Nach gut einer Stunde fahren wir inmitten von Schneefeldern. Das wundert mich dann doch. Ich zücke meine Fahrrad-App, die anhand der GPS-Daten die Höhe misst: 3375 Meter. So hoch wie das Jungfraujoch. Und wir brettern in einem 31 Fuß langen Wohnmobil mit 75 Meilen über einen dicht befahrenen Interstate.
Wir passieren Vail, den Skiort der Reichen und Schönen. Ich wundere mich leise, dass der I-70 mitten hindurch führt – ohne Lärmschutzwände oder so etwas. Mittlerweile habe ich das Steuer übernommen. Nach einer kurzen Akklimatisierungsphase, die mit feuchten Handflächen einhergeht, fühle ich mich so sicher, dass ich nach Musik verlange.
Stefan schließt sein Telefon an, das uns stilsicher per Zufallsgenerator einen Hit von den Türen serviert: »Dieses Lied«. Alles ist gut. Doch als sich hoch in den Bergen der Oktobertag langsam in den Abend verabschiedet, sind wir noch lange nicht am Ziel. Kurz vor Grand Junction ist außerdem der Tank leer. Und das GPS hat das Colorado National Monument offensichtlich falsch verortet.
Wir verlassen den Interstate und kommen uns augenblicklich wie in einem David-Lynch-Film vor. Nur dass aus den Boxen nicht Rammstein dröhnt, sondern »Gangster of Love« von den Geto Boys. Ein Song, der einen »Parental Advisory«-Sticker im XXL-Format verdient hätte.

Nach einer Odyssee quer durch Colorado steht das Bio-Abendessen auf dem Tisch. Dazu ein Riesling von Kendall-Jackson
Nachdem wir uns ungelenkes Vehikel diverse Male auf verwaisten Parkplätzen gewendet haben, finden wir endlich die richtige Straße: Den »Rimrock Drive«, der auf unbeleuchteten Serpentinen einen Höhenunterschied von 500 Metern überwindet. Den Abgrund sehe ich vom Fahrersitz aus zum Glück nicht.
Gegen 21 Uhr erreichen wir den Zeltplatz, wo tatsächlich noch ein Platz für unser Gefährt frei ist. Die Sterne scheinen nah, als wir uns ein wenig mit der Umgebung vertraut machen. Dann hauen wir uns den Thunfisch in die Pfanne, kochen den Spargel und öffnen ein Bier. Beim Essen konstatieren wir: Die Reise mit dem RV durch Colorado ist sehr komfortabel, aber für Personen mit wenig Erfahrung durchaus ein bisschen abenteuerlich. Und eine anspruchsvollere erste Etappe hätten wir uns kaum aussuchen können. (Teil 2 folgt in Kürze)
Text & Bilder: Ralf Johnen, Mai 2015. Die Reise wurde von Colorado Tourism, Icelandair und CRD International unterstützt.
Icelandair fliegt ganzjährig direkt ab Frankfurt/Main und München, saisonal auch ab Hamburg, Zürich und Genf erst nach Island und von dort weiter zu 16 Destinationen in den USA und Kanada – unter anderem ins tolle Denver.
Das hat zwei gravierende Vorteile: Nordamerika-Reisende können auf allen Transatlantikflügen 2 x 23 kg Freigepäck mitnehmen, in der Saga Class können diese jeweils 32 kg wiegen. Zudem haben Amerika-Passagiere die Möglichkeit zu einem bis zu siebentägigen Stopover in Island ohne Flugaufpreis.
Das haben wir gemacht – mit folgendem Ergebnis: Island in drei Tagen (Teil 1)
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