
Okay, hier sind wir also gestern hinaufgefahren. Mit einem 31 Fuß langen Wohnmobil und bei Dunkelheit
Unser bescheidenes Gefährt weist eine Extravaganz auf: Das Radio blinkt die ganze Nacht über in funky Disco-Farben, als wäre es von Isaac Hayes oder Curtis Mayfield entwickelt worden. Als ich gegen 6 Uhr aufwache, bin ich mir endgültig sicher, dass ich das nicht geträumt habe.
Rasch vergesse ich den Gedanken, springe auf, ziehe mir Jeans und Daunenjacke an, sondere ein „Aldder, das musst Du sehen ab“ – und stelle fest, dass Stefan das Wohnmobil bereits verlassen hat.
Es ist 6.35 Uhr, als sich der Sonnenaufgang mit drastischen Kontrasten abzeichnet. Ich muss nur ein paar Schritte gehen, ehe ich auf einen Abgrund blicke – und auf meinen Reisegefährten, der hektisch seine Objektive wechselt.
Nicht ohne ein Mindestmaß an Ehrfurcht blicke ich auf die Passstraße, die sich in die Sandsteinformationen hineingräbt. Da also sind wir gestern bei Dunkelheit hinaufgefahren. 610 Höhenmeter mit einem 31-Fußmonster.
In der Ferne mäandert der Colorado River durch die Schlucht, die er selbst geschaffen hat. In mehreren Hundert Millionen Jahren. Ich verdränge diesen Gedanken schnell, schließlich stehe ich ohnehin auf Kriegsfuß mit der Vergänglichkeit.
Wir stehen eine Weile paralysiert am Abgrund und starren auf dieses bizarre Gebilde. Bald wird uns klar, dass dies ein weiterer ziemlich perfekter Oktobertag werden könnte. Mit Sonne, blauem Himmel und Vollmond, zu dessen Auftakt wir das mutmaßlich einmalige Glück haben, in einer archaischen Wüstenlandschaft den Sonnenaufgang zu erleben.
Durch die unweigerliche Erdrotation ist das Licht nun auch in einen Canyon vorgedrungen, der vor wenigen Minuten noch finster wie ein Bärenarsch war. Im Gestein zeichnen sich die Jahrmillionen mit ringähnlichen Formationen ab. Hin und wieder gönnt sich die Natur den Spaß, eine derart wacklige Skulptur zu konstruieren, dass der Zutritt verboten ist.
Aufbruch zum Rim Road Drive
Zwei Stunden lang absorbiert uns dieser Mikrokosmos. Als wir uns endlich losreißen, sind wir hungrig. Im Recreational Vehicle, dessen Radio unverdrossen vor sich hin blinkt, plündern wir den Kühlschrank. Wir braten Zucchini, schneiden Bio-Käse auf und trinken frischen Orangensaft. Den mangels Filter im Kochtopf gebrauten Cowboy-Kaffee schütten wir weg.

Die anschließende Fahrt entlang der Rim Rock Road gerät zu einem Fotostopp mit kleinen Unterbrechungen
Vor uns liegt der Rim Rock Drive, eine 40 Kilometer lange Straße, die sich so nahe an den Abgrund schmiegt, wie es Baukunst und amerikanische Waghalsigkeit nur zulassen. Gut, dass wir schon ein wenig Übung haben mit der Navigation unseres sperrigen Gefährts.
Als Fahrt möchte ich das Folgende dennoch nicht bezeichnen. Viel mehr handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Foto-Stopps: Wo immer Platz ist für 31 Fuß Auto plus zwei Fahrräder, halten wir an. Ein Schild verrät uns, dass die Sandsteingebilde, auf die mein Blick immer wieder fällt, zwei Milliarden Jahre alt sein sollen. Die knorrigen Wacholderbäume bringen es auf immerhin 900 Jahre.
Am südlichsten Punkt, als die Abfahrt ins Tal schon begonnen hat, wartet nun das, wovor die Eltern früher immer gewarnt haben: Des Teufels Küche. Für uns wird der Parkplatz zum Ausgangspunkt einer Wanderung über Stock und Stein. Mittlerweile herrscht T-Shirt-Wetter.

Let’s cook something: Trotz knappen Zeit-Budgets wollen wir uns Devil’s Kitchen nicht entgehen lassen
Wie so oft will die Strecke durch die freie Natur so gar nicht dem Sicherheitsfanatismus entsprechen, der die Städte, Suburbs und Flughäfen des Landes in seinem festen Würgegriff hält. Geländer und Schilder, die den Sturz in die Tiefe verhindern könnten, suchen wir in Devil’s Kitchen vergeblich. Dafür genießen wir das Privileg, uns alleine an diesem widerspenstigen Ort zu befinden.
Zu spät werden wir uns bewusst, dass der schwelgerische Vormittag auf unangenehme Weise mit unserem engen Zeitplan kollidiert. Schließlich haben wir für unseren Rundkurs durch Colorado nur fünf Tage Zeit. Etwas widerwillig lassen wir Grand Junction hinter uns, um Kurs in Richtung Süden zu nehmen.
Im Süden wird es alpin
Als ich das iPhone via Blue Tooth mit dem Autoradio verbinde, erschrecke ich mich: Ohne dass ich sonst irgendetwas getan hätte, plärrt abermals aus den Boxen: „Dieses Lied ist gegen Deutschland. Dieses Lied ist gegen Nazis. Dieses Lied ist gegen Pop. Dieses Lied ist gegen Indie-Rock.“ Kann man nicht oft genug sagen.
Schweren Herzens müssen wir einen weiteren mythischen Ort links liegen lassen: Der Black Canyon of the Gunnison Nationalpark steht nun eben für die nächste Tour mit dem RV durch Colorado ganz oben auf der Liste.
Mit dieser Entscheidung nehmen wir Zugleich Abschied vom prototypischen amerikanischen Westen. Nur rund 200 Kilometer weiter südlich gibt sich Colorado eher alpin.
Nach einem vorzüglichen Kaffee in Montrose sehen wir immer mehr Vorboten des Herbstes: Espen mit schillernd gelbem Laub. Es dauert nicht lange, ehe die schneebedeckten Gipfel der San Juan Mountains am Horizont auftauchen.
Unser Etappenziel heißt Ouray, die amerikanischen Variante eines kleinen Bergdorfs, das vornehmlich von perfekt ausgerüsteten Outdoor-Touristen aufgesucht wird. Wir steuern den 4J-RV-Park an, wo wir uns sofort wohlfühlen. Schnelles Wi-Fi, saubere Duschen, gähnende Leere. Im Hintergrund: Berge und das Rauschen eines Gebirgsbaches.
Zeit für Muße bleibt indes wenig, denn wir haben uns in den Kopf gesetzt, eine heiße Quelle aufzusuchen. Die „Historic Wiesbaden Hot Springs“ haben uns neugierig gemacht. Sie verbergen sich hinter unasphaltierten Straßen am anderen Ende des Ortes.
Der Außen-Pool wird mit heißem Wasser gespeist. Nahezu unvergleichlich aber ist der Keller, wo wir in Flip-Flops und Badehose in ein finsteres Gewölbe gelangen, an dessen Ende ein schlichtes Becken wartet, das kniehoch mit fast 50 Grad heißem Thermalwasser gefüllt ist. An der Decke bezeugen kleine Stalaktiten, dass die Quellen tatsächlich „historisch“ sind. Es herrscht eine stille Hitze.
Endlich ist es Zeit für Bier und Burger. In der Ouray Brewery finden wir weitere Belege dafür, dass jedes Durchschnittsdorf in Colorado inzwischen besseres Craft-Bier herstellt, als die deutschen Industriekonzerne, die immer noch selbstherrlich alle Superlative für sich beanspruchen. Die Balance aus Bitternoten und hopfigen Zitrusaromen des San Juan IPA hat es mir besonders angetan.
In dem Lokal treffen wir Katharina, die in Deutschland geboren wurde und in Denver aufgewachsen ist. Nun arbeitet sie für die örtliche Handelskammer. Und sie ist es auch, die uns zu Mr. Grumpy Pants aka Hutch führt, der sich gleichfalls dem Brauereiwesen verschrieben hat.
In seiner Ourayle House Brewery erhalten wir ein apartes Fläschchen, um uns durch das Sortiment zu probieren. Zufrieden stellen wir fest, dass der grummelige Mann sein Handwerk versteht. Er ist ein wahrer Braugott. Wir ordern eine Gallone IPA für schlechte Zeiten, ehe wir unser RV ansteuern. Dank des vorzüglichen Wi-Fi können wir daheim eine kleine Party feiern, wobei das RV möglicherweise ein wenig ins Schwanken geraten ist.
Teil 1 der Geschichte lest ihr hier.
Text & Bilder: Ralf Johnen, Juli 2015. Die Reise wurde von Colorado Tourism, Icelandair und CRD International unterstützt. Vielen Dank an Kathrin Berns und Julia Stubenböck für ihre Hilfe.
Icelandair fliegt ganzjährig direkt ab Frankfurt/Main und München, saisonal auch ab Hamburg, Zürich und Genf erst nach Island und von dort weiter zu 16 Destinationen in den USA und Kanada – unter anderem ins tolle Denver.
Das hat zwei gravierende Vorteile: Nordamerika-Reisende können auf allen Transatlantikflügen 2 x 23 kg Freigepäck mitnehmen, in der Saga Class können diese jeweils 32 kg wiegen. Zudem haben Amerika-Passagiere die Möglichkeit zu einem bis zu siebentägigen Stopover in Island ohne Flugaufpreis.
Das haben wir gemacht – mit folgendem Ergebnis: Island in drei Tagen (Teil 1)
Pingback: Zwei Stuntmen auf dem Weg nach Pagosa Springs – Mit dem RV durch Colorado (Teil 3)