Die isländische Ringstraße in drei Tagen? Das muss man nicht machen. Aber es geht. Wie wir auf der Insel spontan herausgefunden haben, ist auch ein Road Trip über die 1700 km lange Ringstraße ein fantastisches Erlebnis.
Golden Circle oder die isländische Ringstrasse?
Drei Tage lang sind wir in Island mit einem umgebauten Lieferwagen und ohne Vorbereitung unterwegs. Nachdem wir uns erst entschlossen hatten, den Golden Circle abzufahren, geraten wir am Nachmittag ins Zweifeln. War es das wirklich? Oder sollen wir probieren, die isländische Ringstraße in 48 Stunden abzufahren?
Nach einigem Hin und Her entschließen wir uns für den 1700 Kilometer langen Trip über die Ringstraße. Nachdem wir in der Nacht das Polarlicht verschlafen haben, werde ich um 6.43 Uhr nach traumlosem Schlaf wach. Ich sehe einen Lichtschweif, dem ich apathisch entgegenblicke. Es dauert bis ich begreife, dass ich mich in einem umgebauten Lieferwagen auf einem Parkplatz befinde.
Die erste nacht auf der Ringstraße in Island: Aufwachen in einem vulkanischen Trümmerfeld
Etwas ungeübt aber dennoch geräuschlos schlüpfe ich auf engstem Raum in meine Outdoor-Kluft. Sekunden später stehe ich draußen. Der Mond scheint noch immer über der Ringstraße in Island. Wie am ersten Abend unseres spontanen Rekordversuchs.
Der Boden ist nun leicht angefroren. Ich werfe einen Blick auf den zertrümmerten Brückenpfeiler neben mir, dann wende ich mich hin zu jenem Vulkan, der dafür verantwortlich ist. Es herrscht Stille.
Für einen Moment denke ich daran, wie gerne ich Klavierspielen können würde. Dann höre ich, wie die Türe des Lieferwagens aufgeht. Wortkarg lassen wir nun beide die Szenerie auf uns einwirken, wohl wissend, dass dies hier nicht wiederholbar ist. Schweigend sind wir uns einig, dass wir so schnell wie möglich Land gewinnen müssen.
Jumpstart zur Gletscherlagune Jökulsárlón
Doch das ist eine unmögliche Aufgabe. Wir halten alle paar Minuten. Schneebedeckte Berge, die sich in regungslosen Gewässern spiegeln. Häuser und Farmen, die vor der Kulisse der Bergwände winzig wirken.
Mal nahe, mal in der Ferne: Das Meer, kleinwüchsige Islandpferde, Schafe. Nach ungefähr einer Stunde über leere Straßen nähern wir uns der bisher größten Gletscherwand. Als wir den Wagen verlassen, haben wir eine Vorahnung.
Jökulsárlón: Türkise Eisberge und schwarzer Lavasand
Die paar Felsen, die uns von einer besseren Aussicht trennen, lassen wir im Sprint hinter uns. Kurz vor der Kuppe sehe ich in der Ferne erstmals an diesem Tag ein anderes Auto als unseres.
Oben zweifle ich an meiner Wahrnehmungsfähigkeit: Türkise Eisberge in tiefblauem Wasser, ein Strand aus schwarzem Lavasand, der gewaltige Gletscher, der nie müde wird, Nachschub in Form von Eisskulpturen zu liefern. Dazu stahlblauer Morgenhimmel – und Vollmond.
Um halb Zehn werden wir von einem Geräusch aus unserem tranceartigen Zustand gerissen: Zodiac-Motoren. Bald darauf ziehen unterschiedliche Boote ihre Kreise auf dem See. An Bord. Asiaten, Amerikaner und Araber. Der Jökulsárlón ist populärer, als wir das wahrhaben wollen.
Massentourismus auf der Ringstraße in Island?
Die individualtouristische Speerspitze des Massentourismus bahnt sich ihren Weg. Bald werden die Busse folgen. Wir nehmen die Beine unter die Arme und flüchten. Aber nicht sehr weit, denn oben auf der nächsten Hügelkuppe blicke ich durch das Objektiv meiner Kamera.
Fünfzehn Minuten später stehen wir an der Mündung des Abflusses, der den Gletschersee mit dem Meer verbindet. Meterhohe Eisberge bahnen sich gemächlich ihren Weg in den Atlantik. Andere scheinen es vorzuziehen, auf dem Lavasand in der Oktobersonne dahin zu schmelzen.
Zwischen den Skulpturen posiert ein leicht bekleidetes Model, ihre Aktivitäten werden von einem Kamerateam eingefangen (wir verzichtet aus Pietät auf den fotografischen Beweis). Langsam wird es alles ein bisschen viel hier. Also fahren wir weiter, schließlich haben wir noch immer keinen Schimmer, was an diesem Tag auf uns zukommt.
Brunnhóll: Speiseeis aus Gletschereis
Ich gönne mir ein wenig Müßiggang, ignoriere die Landschaft und lese stattdessen in unserem Merian. „Alter, haste Bock auf Löwenzahneis?“, frage ich auf der Höhe von Brunnhóll in Richtung Fahrer.
„Müsste gleich eine Gelegenheit kommen“. Stefan bejaht wortlos. Gefrühstückt haben wir auch um 11 Uhr noch nicht. Ungefähr drei Zehntelsekunden später sehen wir auf einem Plakat ein strahlend blondes Mädchen mit einem Eis in der Hand. Stefan geht voll in die Eisen und biegt nach rechts ab. Kurz darauf stehen wir einer freundlichen Dame gegenüber.
Sigurlaug Gissurardóttir stellt seit acht Jahren Speiseeis aus Gletscherwasser her. Damit hat sie sich bei ihren Enkelkindern ziemlich populär gemacht – und ganz nebenbei einen todsicheren Wachstumsmarkt erschlossen. Speiseeis aus Gletscherwasser mit lokal gewachsenem Löwenzahn (köstlich, mit leichten Bitternoten) oder Blaubeeren, das ist genau das Alleinstellungsmerkmal, das an der isländischen Ringstraße Erfolg verspricht. Die globalisierten Touristen sind schließlich immer auf der Suche nach lokaler Authentizität.
Wir befinden uns mittlerweile 420 Kilometer östlich von Reykjavik. Früher sind hier nur selten Reisende hingekommen, doch heute stellt die Distanz kein Hindernis mehr dar. Sigurlaug muss das einerseits gefallen, denn Brunnhóll, der Bauernhof der Familie, ist mittlerweile weitgehend zum Hotel umgebaut. Wie sie uns erzählt, hat sie als gewählte Präsidentin des Verbandes ruraler Unterkünfte Islands lange darauf hingearbeitet, mehr Besucher an diesen entlegenen Teil der isländischen Ringstraße zu locken.
Europas größter Nationalpark
Doch auch für sie bleibt es merkwürdig, dass nun Tag für Tag Reisebusse am Jökulsárlón halten, um Koreaner und Japaner auszuspucken. „Da bleibt viel Arbeit für uns. Schließlich gibt es überall auf der Insel Attraktionen. Es macht keinen Sinn, dass alle zum Jökulsárlón kommen.“ Die Grenze zu Europas größtem Nationalpark, dem Vatnajökull, sei nur sechs Kilometer entfernt. Am Meer liege überall schwarzer Lavasand. Und im Watt wandern die Vögel umher. Längst weiß ich, dass ich wiederkommen möchte. Für ein paar Tage.
„Habt ihr eigentlich das Polarlicht gesehen diese Nacht“, fragt Sigurlaug zum Abschied. Wir blicken uns an. Haben wir nicht. „Es war so prächtig und deutlich wie selten.“ Wir haben geschlafen. Meine lange Historie des Scheiterns setzt sich fort. Zum Trost gibt uns die Gastgeberin in Brunnhóll Schokolade und Bier – natürlich aus Gletscherwasser gebraut.
Gegen Mittag erreichen wir mit Höfn das vorerst letzte Städtchen auf unserem Kurs über die isländische Küstenstraße. Es ist für seine formidablen Hummerschwänze bekannt. Das Kaffi Hornið serviert sie im Tempura-Gewand, was bei mir keine Euphorie auszulösen vermag. Nach einem sättigenden Rentier-Burger trödeln wir ein wenig im Hafen umher.
Überall skandinavische Postkartenmotive. Doch nach wenigen Minuten siegt die teutonische Disziplin: Wir fahren weiter. Schließlich hebt in 27 Stunden unser Flieger nach Denver ab – und wir haben noch nicht annähernd die Hälfte der isländischen Küstenstraße geschafft.
Informationen zum Trip über die isländische Ringstraße in 48 Stunden
Die Reise wurde von Icelandair, Visit Iceland und Camp Easy Iceland unterstützt. Nach dem Trip über die Ringstraße in Island mit Zwischenstopp am Jökulsárlón und in Brunnhóll sind wir landeinwärts abgebogen. Die Anmietung eines Campervans kostet für drei Tage zwischen 250 und 500 Euro.
Icelandair fliegt ganzjährig direkt ab Frankfurt/Main und München, saisonal auch ab Hamburg, Zürich und Genf nicht nur nach Island, sondern von dort aus weiter zu 16 Destinationen in den USA und Kanada – unter anderem ins tolle Denver.
Das hat zwei gravierende Vorteile für Nordamerika-Reisende: Sie können auf allen Transatlantikflügen 2 x 23 kg Freigepäck mitnehmen, in der Saga Class dürfen die Gepäckstücke gar jeweils 32 kg wiegen. Zudem haben Amerika-Passagiere die Möglichkeit zu einem bis zu siebentägigen Stopover in Island ohne Flugaufpreis.
Text und Bilder zur Geschicihte über die isländische Ringstraße: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Mai 2021.
4 Comments
Das ist echt ein sehr schöner Bericht. Deine Seite ist wirklich toll! Ich habe gerade über isländische Ringstraße
gelesen. Da packt einen auf jeden Fall das Reisefieber und das Fernweh.
Liebe Grüße,
Natascha
Danke Dir, Natascha. Island ist der Knaller, vor allem wenn man es antizyklisch angeht. Das soll nicht heißen, die Ringstraße zu meiden, sondern die Hochsaison 😉
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