Okay, heute ist der Tag gekommen: Ich habe mich dazu durchgerungen eine Beichte abzulegen, Einblick in eine düstere Seite meiner Seele zu verleihen. Ich werde erklären, warum ich Atemnot bekomme, sobald ich ein bestimmtes Wort höre. Ein Wort, das in der Tourismusindustrie erschreckend häufig und stets mit feierlichem Tonfall verwendet wird: Wellness.
Bis zum Januar 2008 ist es mir erfolgreich gelungen, diesem Schreckensgespenst aus dem Weg zu gehen. Im Privatleben, aber auch während meiner Recherchereisen. Bei denen war eine Behandlung mit heißen Steinen oder Ölen mit esoterisch anmutenden Namen stets als ein Höhepunkt angepriesen worden. Aber nicht mit mir. Ich bin eben kein Wellness-Typ.
Wenn sich der Programmpunkt genähert hat, habe ich mich meist erfolgreich mit Verweis auf meine immer mal auftretende Migräne zurückgezogen. Eine besonders aufdringliche Hotel-Patronin („Das ist doch gut gegen Ihre Kopfschmerzen“) konnte ich erst zum Schweigen bringen, als ich ihr mit einem epileptischen Anfall gedroht habe, den lilafarbenes Licht zuweilen bei mir auslösen kann.

Das Thema der Reise waren klassische Automobile. Warum zum Teufel gehört auch da eine Massage zum Programm?
Im Dezember 2007 schließlich wurde ich zu einer Recherchereise nach Scottsdale in Arizona eingeladen. Das Thema, die Versteigerung klassischer Automobile, hat mich angesprochen. Also habe ich meine Teilnahme zugesagt – natürlich in der Annahme, dass ich keine Massage über mich ergehen lassen musste.
Mit im Flieger saß auch ein gewisser Stefan Weißenborn, der mir bis dahin unbekannt war und der mir direkt imponiert hatte, weil er die komplizierte Einreise in die USA mit viel Routine über sich ergehen ließ. Am nächsten Tag sind wir gemeinsam zum Grand Canyon geflogen. Ich habe versucht ein Gespräch anzufangen, in der Hoffnung, dass sich da vielleicht eine Reisefreundschaft anbahnen könnte.
Als wir wenig später gemeinsam am South Rim standen, hat er mich gefragt, ob ich vor der beeindruckenden Kulisse ein Foto von ihm machen könnte. Ich fühlte mich geehrt. Doch als ich scheinbar leicht unbeholfen an seiner Kamera (eine unerklärliche Canon) herumhantierte, hat er mich nur angeranzt: „Du weißt wohl nicht was ein Halbprofil ist, was?“
In den folgenden Tagen sind wir gemeinsam durch die Wüste geritten. Mit einem suspekt anmutenden Typen namens Bob Bondurant sind wir bei 260 Stundenkilometern Rennwagen gefahren.
Ohne schlechtes Gewissen sind wir an Bord eines Hummer durch die Gegend gebrettert, um die sensible Flora der Region zu erkunden. Und einmal haben wir sogar eine bereits geschlossene Hotelbar gekapert. Kurzum: Nach der Hälfte der Reise hatte sich ein gewisses Vertrauensverhältnis gebildet.
Dann kam der Tag, als ich Stefan anvertraut habe, heute Nachmittag übrigens nicht dabei zu sein. Auf der Agenda stand nun doch eine Massage. Mit erhitzten Granitblöcken. In Eichenholzfässern gereiften Ölen tierischer Provenienz. Oder was auch immer. „Spinnst Du?“, hat Stefan mich angeblafft. „Du kommst mit. Das ist das Beste was es gibt.“ Überzeugt war ich nicht. Doch ich hatte Angst, die letzten Tage der Reise gemobbt zu werden. Also habe ich all meinen Mut zusammengenommen und kurzentschlossen zugesagt. Schließlich hatte ich auch eine Ballonfahrt mit zwei ketterauchenden Kroaten überlebt.
Sogar mit einer gewissen Vorfreude habe ich schließlich den weißen Bademantel anprobiert, der auf meinem Zimmer hing. Es gehörte zu den Bedingungen, dass wir dieses Ding bereits anhatten, wenn wir den einleitenden Rundgang durch die Wellness-Höhle antreten würden. Nachdem ich das flauschige Kleidungsstück beschwingt angelegt hatte, habe ich ein Fehler gemacht: Ich habe in den Spiegel geschaut. Das Ding ging mir nicht über die Knie. Und auch meine Ellbogen waren nur knapp bedeckt. Ich bekam Panik. Dann klopfte es an der Tür – der Fahrstuhl zum Schafott war nicht mehr aufzuhalten.
Wenige Minuten später haben wir eine Art Hochsicherheitstrakt betreten, wo uns irgendeine Amy, Allison oder Amber in Empfang genommen hat. Zu meiner Überraschung sah es im Innern des Verlieses aus wie in einer Flughafen-Lounge: Sitzmöbel von zweifelhaftem ästhetischem Wert und riesige Glotzen, wie wir sie damals in Europa noch nicht kannten. Nur die Bottiche mit den dicklichen, rotgrünen Säften irritierten mich etwas. Es roch aufdringlich nach Lilien.
Amy, Allison oder Amber erklärte, dass ihre Kunden hier die Aktienkurse verfolgen könnten. Oder auch die aktuellen Nachrichten. Ich allerdings sah auf den Bildschirmen nur die Wrackteile eines abgestürzten Flugzeugs. Ich weiß noch, dass ich das zum Anlass für eine fiese Zwischenfrage genommen habe, die Amy, Allison oder Amber einfach ignoriert hat.
Bald sollte mir mein „Therapeut“ zugewiesen werde. Ich sah einen stiernackigen Sheldon vor mir, der mir mit seinen fleischigen Pranken genüsslich das Genick zermalmte. Doch es kam Linda, was auf Spanisch so viel wie „die Hübsche“ heißt. Nun hatte mein Schicksal einen Namen. Ich liebäugelte kurz mit einer Flucht, doch Linda war schon da um mich abzuführen – und Amy, Alison oder Amber bewachte den Ausgang. Blickkontakt zu Linda vermied ich. Vielmehr folgte ich ihr gesenkten Hauptes, damit mir weitere Spiegelbilder erspart blieben.
Schließlich öffnete Linda die Tür zu unserer erstaunlich großen Zelle. Die vorherrschende Grundfarbe von Tapete und Teppich war ein dunkles Lila. Die Einrichtungsgegenstände waren darauf abgestimmt. Ich erinnere mich an tiefrote Rosen, helllila Blumenkübel – und ein goldenes Sofa. Linda sagte: „I’ll leave you alone for a minute now.“ Und ich dachte: Okay, bringen wir es hinter uns.
Sie hatte angeordnet, dass ich mich bäuchlings auf die Bahre legen und alles außer dem Bademantel ausziehen sollte. Das erschien mir zunächst machbar. Allerdings fragte ich mich nach wenigen Sekunden, ob ich mich verhört hatte. Sie hatte Badehose gesagt, oder? Schließlich waren wir in Amerika. Und Amerika ist prüde. Auf gar keinen Fall würde ich mich hier nackt auf eine Massagebank legen, um eine wildfremde Frau namens Linda an mir herumwerkeln zu lassen. So etwas würde mit Sicherheit im Knast enden. In der Gesellschaft von Crack-Dealern.
Nein, das konnte nicht sein. Also legte ich mich mitsamt meiner Badehose auf die Bahre, ließ mein Gesicht in der dafür vorgesehenen Ausbuchtung verschwinden und lauschte der leisen Himalaya-Musik. Ich hatte Herzrasen. Dann kam Linda zurück. „Oh, you feel more comfortable with your shorts on?“, stellte sie sanftmütig fest.
Ich schwieg, hörte dem konzentriert mich auf das Entspannungsgeklimper und war darum bemüht, im Stile eines Weinkritikers den Duft des Massageöls zu dechiffrieren. Frangipani? Jasmin? Oder gar eine Melange? Anfangs nahm ich noch wahr, wenn Linda etwa umständlich den Bund meiner Shorts beiseite schob, damit sie an all meine verkrampften Muskelstränge ordentlich herankam. Und ich weiß noch, dass ich hustete.
Danach muss ich eingeschlafen sein. Jedenfalls waren die 60 Minuten schnell vorbei. Beim Rausgehen riskierte ich einen Blick auf Linda, eine grazile Gestalt mit gutmütigen Gesichtszügen von mutmaßlich asiatischer Herkunft. Augenzeugen berichten, dass ich auch Amy, Alison oder Amber zum Abschied zugewinkt haben soll. Und Stefan zitiert mich mit den Worten, dass ich mich den Rest des Tages wie ein Baby gefühlt habe. Ein „Na, siehste“ konnte er sich nicht verkneifen.
Ich sah mich gezwungen, mich zu verteidigen. Ich bin kein Wellness-Typ. Aber ein etwas nüchterneres Inventar würde bestimmt helfen, argumentierte ich. „Ikea-Möbel vielleicht.“ Und auch ein wenig Punkrock könnte in meinem Falle bestimmt nicht schaden. Oder wenigstens das, was man heute Dreampop nennt. Galaxie 500 zum Beispiel. Eine Band, die sich nach dem Automobil-Klassiker benannt hat, dessen serienmäßiger Versteigerung wir in den kommenden Tagen noch beiwohnen würden.
Text und Bilder zur Geschichte „Warum ich kein Wellness-Typ bin“: Ralf Johnen, Juli 2014. Der Autor war auf Einladung des Tourismusbüros von Arizona in Scottsdale. Aber das spielt in diesem Fall keine große Rolle.
11 Comments
Toller Artikel, gefällt mir gut. Ich habe diesen auf Social Media geteilt und manche Likes dazu bekommen. Weiter
so!
Ach Wellness kann so schön sein. Ich mag es am liebsten in den Bergen, zb am Kalterersee!
LG
Hast ja Recht, Sabine. Meine Ausführungen hatten ja eher den Charakter einer selbsttherapeutischen Glosse
Spannend geschrieben! Ich dachte mir schon, dass da am Schluss der Wellness-Freak herauskommt 😉
Mein Wellness-Erlebnis kürzlich auf Lanzarote beschränkt sich auf 2 Besuche im Spa des Hotels Costa Calero: Offene Bassins, ein Höllenlärm. Weil sich Wasserrauschen von der Schwalldusche und den Blubberliegen und Wasserplätschern durch die verkachelten Oberflächen so vervielfachen konnte, dass man die Schmusemusik aus den Lautsprechern nicht mehr richtig wahrnehmen konnte.
Ich dann in die Sauna. Na klar, alle in der Badebekleidung. Auf dem Holz sitzend. Ohne Handtuch. Alles schon in der Türkei erlebt. Viel Spaß dann beim Geruch verschmorten Lycras. Und bei der Reparatur der versifften Holzbohlen.
Dann doch lieber ins Hamam? Kein Wasseranschluss im Raum, um mit einem Schlauch die Fliesen abzuspritzen, damit man nicht in der Schwitz-Schmonze des Vorher-Sitzers alle möglichen Krankheiten einfangen konnte.
Für Wellness hatte ich genug gesehen. Auf die Massage konnte ich verzichten.
Gruß aus Dillingen an der Donau
Wolfgang „Diehard“ Brugger
Der ReiseFreak
Haha, ja Wolfgang, so kann es gehen. Warte mal ab, bis die Fortsetzung kommt: Gutturale Laute in einem Dampfbad in … Viele Grüße, Ralf
Ich mag schon allein das Wort „Wellness“ nicht und meide Wellness-Spas. Bei Pressereisen bin ich fast immer die Einzige, die den Wellness-Betreich nicht in Anspruch nimmt. Bei Massagen gibt es immer größere Diskussionen mit Masseur/Masseurin, weil ich aufgrund einer alten HWS-Verletzung nicht auf dem Bauch liegen kann ohne höllische Schmerzen im Nacken zu bekommen. Nur Sitzmassage geht. Aber All-Inclusive ist schlimmer als eine Stunde Nackenschmerzen, da stimme ich euch zu!
Der Text, liebe Cornelia, ist zugegebenermaßen ein wenig theatralisch. Aber im Kern stimme ich Dir zu: Wellness ist eine bescheuerte Denglisch-Vokabel, die Anglophonen beschränken sich ja bekanntlich auf die Benennung nach einem wallonischen Kurort. Und auf die meisten Hochpreisganzkörpertrakturen kann ich gut verzichten – was nichts daran ändert, dass All-Inclusive noch wesentlich schlimmer ist.
Haha! Ich habe sehr gelacht, denn Du stehst wenigstens dazu. 😉 Ich selbst mag das ja schon mit der Wellness, achte aber immer zu sehr auf Details und kann einfach nicht abschalten, wenn neben dem Wellness-Bereich gerade umgebaut wird oder die Putze mit dem Staubsauger am Werk ist… das Glück hab ich fast immer!
Daniel, es wäre mal einen Versuch wert, was eine Massage mit dazugehöriger Presslufthammerchoreographie für einen Effekt auf mich hätte. Danke für die netten Worte, lustig sollte es vor allem sein…
Wellness geht noch, mein Albtraum-Urlaub nennt sich aber All-Inclusive….
Ja, Hari. Zwölf Stunden fliegen, um dann 14 Tage lang in einem Resort eingepfercht zu werden, ist sicherlich noch schlimmer, als ein Besuch der lila Wellness-Hölle…