Die Testfahrt im Chevrolet Camaro durch Berlin erzeugt einige Aufmerksamkeit. Das Muscle Car ist eine kaum zeitgemäße Einladung zum Rasen.
Am Steuer eines schnöden Golf würde das einem nicht passieren: Neben mir an der Ampel in Neukölln hält ein anderes Auto, noch weit vor der Haltelinie. Der Fahrer gestikuliert wild. Er hat offenbar starkes Interesse an dem Flitzer, in dem ich sitze. Ich lasse die Scheibe runter, da schießt er schon los
Ampelplausch mit Camaro-Fan
»Hey, biste auch im Camaro-Club? Ich hab auch einen.« (Irgendwo wohl, denn unterwegs ist er ausgerechnet in einem Golf). Ich entschließe mich, den Kontaktfreudigen von der Nachbarspur nicht darüber aufzuklären, dass ich in einem Testwagen sitze, der von Chevrolet Deutschland zur Verfügung gestellt wurde. »Nee«, sage ich, »ist das gut da?« »Musste machen. Kriegste viele Tipps und so.« Der Golf-Fahrer reckt sich und blickt zur Camaro-Motorhaube. »Hast’n Achter? Jau!« Dann wird die Ampel grün und bereitet dem Plausch ein Ende.
Jau, unter der Haube des Chevrolet Camaro mit dem zehn Zentimeter hohen Powerdome, dem amerikanischen Gegenentwurf der Golfschen Gewöhnlichkeit, den ich durch Berlin fahre, sitzt ein Achtzylinder. 432 PS. 6,2 Litern. Kein guter alter Big Block wie anno dazumal. Ein kleinerer, zeitgemäßerer. Zeitgemäß?
Der Camaro verbraucht mehr als 20 Liter im Stadtverkehr
Im Stand zittert der Zeiger des Drehzahlmessers. Das macht den Chevy sympathisch, denn wie sein Motor, arbeitet auch des menschliche Herz nicht immer gleichmäßig. Doch der Camaro ist kein Stadt- oder Familienmensch. Mit ihm wenden? Fast so, wie der Versuch, mit einem Gewehr um die Ecke zu schießen. In den Urlaub? Wegen Platzmangel vielleicht gerade noch zu zweit. Und auf Kopfsteinpflaster fühle ich mich wie im Shaker eines Barkeepers. Hinzu kommt: Bei 20,9 Liter innerorts (siehe Display) ist der Spritdurst des knapp 4,80 Meter langen Sportwagens groß. (kombinierter Normverbrauch: 13,1 Liter). Energieeffizienzklasse ist G – die schlechteste.Zwischenfazit: Das Auto hat also keine Qualitäten.
Doch das ist natürlich Quatsch. Nach einem Trip zwischen Ampelphasen und Zebrastreifen den Camaro zu bewerten, wäre in etwa so, als lasse man ein Rennpferd im Stall los. Also raus aus Berlin. Neben mir sitzt diesmal mein 71-jähriger Vater, der gerade zu Besuch ist.
Testfahrt im Chevrolet Camaro: Nichts für alte Leute
Autobahn und endlich das weiße Schild mit den schwarzen Diagonalstreifen. Ich senke den Gasfuß, der Camaro entfesselt seine Kraft. Butterweich schaltet die 6-Gang-Automatik. So langsam bekommt man eine Ahnung davon, wofür das Auto gemacht ist.
Es wird laut. Ab Tempo 140 muss zur Unterhaltung mit Daddy die Stimme gehoben werden. Bis rund 200 km/h rufen wir uns also noch ein paar Worte zu. Dass das Ding ganz schön abgeht und Ähnliches. Das Head-up-Display zeigt 220, dann 234, dann 243 km/h an. Mein Vater umfasst seine Knie. Lange mache auch ich das nicht mit, denke ich mir. Konzentrationsintensive Angelegenheit, dieses Rasen. Trotz guter Straßenlage des Sportwagens, trotz des sicheren Gefühls bei fünffacher Ortsgeschwindigkeit und des Camaro-Kultfaktors.
Ein Rennpferd
Das Muscle Car Camaro ist eine einzige Einladung zum Rasen. Man muss nur gewillt sein, sie anzunehmen. Menschen, die sich für ihn begeistern, ist der Verbrauch und dessen zeitgeistliche Inkompatibilität egal: 17,6 Liter Durchschnittsverbrauch stehen nach der kombinierten Fahrt in der Cockpit-Anzeige. Außerorts, allerdings bei dezenter, gleichmäßiger Fahrt um die 100 km/h, lässt sich der Spritdurst laut Werksangaben auf 10,2 Liter senken. Dabei kommt das »Active Fuel Management«-System zum Zuge. Es schaltet vier der acht Zylinder ab. »Hierdurch lassen sich bis zu 7,5 Prozent an Kraftstoff einsparen«, so Chevrolet.
Aber warum sollte man ein Rennpferd, wenn man es schon aus dem Stall lässt, denn auf zwei Beinen ins Rund schicken? »Das Auto ist nichts für ältere Leute«, sagt mein Vater beim Aussteigen. So kann man es auch sagen. Wobei der Umkehrschluss nicht notwendigerweise gelten muss.
Informationen zur Testfahrt im Chevrolet Camaro
Technische Daten Chevrolet Camaro Cabrio 6.2 V8 MT, Motor: 16-Ventil-V8-Motor mit zentraler Nockenwelle, Hubraum: 6126 cm3
Maximales Drehmoment: 569 Nm bei 4.600 U/min, Spitzengeschwindigkeit von 250 km/h, Beschleunigung von 0 auf 100 km/h: 5,2 Sekunden
Verbrauch kombiniert: 13,1 Liter Super, (CO2-Ausstoß: 304 g/km)
Preis: 43.990,00 Euro
Grundpreis der Modellreihe: 38.990,00 Euro
Sicherheit: 4 Airbags, ABS und Schleuderschutz ESC
Text: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im Januar 2023. Fotos: Stefan Weißenborn (3), Chevrolet (3)
3 Comments
Das letzte ‚Herstellerfoto‘ gefällt mir ausnahmsweise ausgesprochen gut! Vor allem weil ich erst gestern noch selbst versuchte, einen Testwagen kreativ in Szene zu setzen. 😉 So einen Wagen im volle pn Berlin zu fahren ist bestimmt auch ein wenig ‚verschenkt‘. was meinst du mit ‚dieser Artikel ist in ähnlicher Form…‘ – dass du ihn dort auch geschrieben hast oder…?
Der Text stammt von meinem Blog-Partner und fellow traveler Stefan. Er ist der car guy bei uns – obwohl ich langsam auch Spaß dran finde. Stefan schreibt immer die Autokolumne im America Journal, daher in „ähnlicher Form“. Hier können wir natürlich etwas freier schreiben. Ja, und das Herstellerfoto hat was. Könnte man ein „making of“ draus machen…
Hi! Ich muss dir / euch beim lezten Bild fast schon einschüchternd widersprechen. Habt ihr euch das Bild genauer angesehen? Der Fahrer trägt Handschuhe mit kleinen glitzender Steinchen, es sitzen 4 Kerle im Wagen und man fährt mit deutschem Kennzeichen ist in einer (scheinbar) amerikanischen Wüste.
Die Bildaussage und das Motto „Leben ohne Gegenverkehr“ ist auf der Straße auch besser, vor allem weil man nicht einfach fahren kann und den Camaro genießen, sondern nach 70 Metern eine Kurve lauert.
Muss nett sein, dass Marketing für Chevrolet machen zu dürfen! 😉