Wir haben uns auf die Spuren der Titanic in Belfast gemacht. Dabei haben wir in Erfahrung gebracht, dass die Kapitale Nordirlands eine der weltweit führenden Industriestädte war – bis die »Troubles« die Stadt in den Abgrund gerissen haben.
Es dämmert, als Ken McElroy das einzige bügeleisenförmige Gebäude Belfasts betritt: Bittle’s Bar. Dieses architektonische Detail aber gerät im Innern des winzigen Pub in Vergessenheit, wo Wandgemälde alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In einer Ecke ist die imaginäre Zusammenkunft irischer Nationaldichter zu sehen: Von Oscar Wilde über James Joyce bis zu Seamus Heaney frönen die Poeten unter freizügiger Missachtung ihrer Lebensdaten gemeinsam den Pints.
Daneben eine Szene, die vor wenigen Jahren kaum wahrscheinlicher gewesen wäre: Sie zeigt in fröhlicher Umarmung katholische und protestantische Entscheidungsträger. »Ein Symbol für den Frieden«, sagt Ken. Und der seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 hält.
Von den Troubles zur Titanic
Langsam setzt sich in Belfast die Überzeugung durch, dass der Konflikt tatsächlich vorbei ist. Dass die Gewaltspirale zwischen irlandtreuen Republikanern und britischen Protestanten definitiv unterbrochen ist. Und »the troubles«, wie die Nordiren den undurchsichtigen Disput nennen, endlich Geschichte sind. Die Erleichterung ist den Bewohnern bei jeder Silbe anzumerken. Endlich können sie an der Zukunft bauen. Wozu auch die Aufarbeitung der eigenen Geschichte zählt.
Ken McElroy ist 63. Seit dem Ende der 60er Jahre hat er die »troubles« in all ihren Facetten miterlebt. All dies ist noch jeden Tag präsent. Doch während er vom Stadtzentrum in Richtung Westen läuft, schwärmt er heute lieber von der Epoche der Industrialisierung. Als Belfast mit Manchester, Birmingham und London eine treibende Kraft war. Als hier die Schokolade, wie wir sie kennen, erfunden wurde. Und als die Stadt im Schiffbau und sechs weiteren Industriezweigen weltweit führend war.
Demarkationslinie mitten in der Stadt
Mit der Stadtautobahn erreichen wir eine Art Demarkationslinie. Dahinter beginnt die Falls Road. Von nun an prägen die Fahnen Irlands das Bild. Erst eine, dann immer mehr. Wandgemälde erinnern an den Widerstand gegen die »britische Besatzung« Nordirlands, und an jene Männer, die sich im Kampf für ihre Rechte zu Tode gehungert haben. Trotz der martialisch anmutenden Gemälde aber herrscht auf den Straßen Normalität.
Die lokale Bevölkerung hat sich daran gewöhnt, dass Cabrio-Busse durch das ehemalige Krisengebiet fahren und Taxifahrer Touristen in Bentleys zu den Wandgemälden chauffieren: »Viele von ihnen«, sagt Ken, »sind ehemalige Partisanen.« Die Lesart der Geschichte hänge davon ab, an wen man gerate.
Gedenken an der Peace Wall
Zwischen den Wohnhäusern taucht immer wieder die »Peace Wall« auf, die den katholischen Teil Belfasts auf einer Länge von zuletzt acht Meilen vom protestantischen getrennt hat. Auch heute noch müssen Passanten durch – unbewachte – Sicherheitsschleusen, um auf die andere Seite zur Shankill Road zu gelangen.
An den Abriss denkt trotz des Friedens niemand. »Zu häufig«, sagt Protestant Ken, »ist die Gewalt früher wieder aufgeflammt«. So ist die bis zu 15 Meter hohe Mauer zu einem Symbol geworden, auf das Friedensaktivisten aus aller Welt ihre Hoffnungen projizieren. Mal poetisch, mal naiv. Dieses historische Zeugnis sollte man sich ansehen. Man kann eben nicht nur auf den Spuren der Titanic in Belfast wandeln.
Aufbruchstimmung: Belfast ist zurück auf der Landkarte
Zurück im Zentrum präsentiert Ken seine florierende Stadt: Viktorianischer Pomp zeugt von der großen Vergangenheit. In die Lagerhallen des Cathedral District haben Restaurants, Bars und Clubs Einzug erhalten. Am Lagan River verkörpern elegante Hochbauten aus Glas und Stahl die kollektive Aufbruchstimmung.
Studenten aus UK schätzen Belfast als Partystadt. Und die Iren fallen am Wochenende aufgrund des Valutavorteils zum Pfund zahlreicher denn je zuvor ein – ohne dass sich jemand daran stören würde.
Auf den Spuren der Titanic in Belfast
In dieses Bild passt auch die Neuentdeckung einer Sternstunde britischer Ingenieurskunst, die zugleich als düsterstes Kapitel der Industriegeschichte in die Annalen der Stadt eingegangen ist. Die Victoria Wharf nämlich ist die Heimat von Harlett & Wolff, wo 1912 das damals größte Passagierschiff der Welt vom Stapel gelaufen: die Titanic.
Eine Strafe Gottes
Die Brüder Calvin und Richard Cobb haben den Ozeanriesen zurück auf die Landkarte gebracht, wo dieser bereits ausradiert schien: »In der Bevölkerung wurde es als Strafe Gottes wahrgenommen, dass wir die Titanic für unsinkbar erklärt hatten.« Zwar thronen über den Docklands noch immer zwei riesige Kräne mit den Lettern »H&W«. Doch viele andere Hinweise auf den unglückseligen Dampfer wurden schamvoll entfernt. Wer wollte schon ein Schiff aus einer Werft kaufen, die mit solchen Assoziationen belegt war?
Nicht einmal in James Camerons Epos taucht Belfast als Heimathafen auf, denn das Schiff war in Liverpool zugelassen.
Sie wäre bei einem Frontalzusammenstoß nicht gesunken
Wohl aber hat der Film die Bewohner mit ihrem berühmtesten Produkt versöhnt: »Die Unterwasseraufnahmen«, erklärt Cobb, »die damals am Wrack gemacht wurden, haben zweifelsfrei gezeigt, dass das Schiff an der Seite aufgeschlitzt wurde.« Und nicht etwa am Bug, der mit doppelten Stahlwänden und integrierten Luftkammern für die Unsinkbarkeit bürgen sollte.
Daraus lauten die Nordiren nun ab, dass der englische Kapitän Edward John Smith das Unglück verursacht habe, weil er beim Angesicht des Eisberges beigedreht habe. »Hätte die Titanic den Berg frontal gerammt, wäre sie nicht gesunken«, sagt Cobb voller Überzeugung.
Auf den Spuren der Titanic in Belfast
Mittlerweile auch hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Titanic zu den größten Markennamen überhaupt zählt. Daraus will Belfast endlich Kapital schlagen: War lange Zeit ungewiss, ob jemals wieder Touristen kommen würden, stehen die Chancen nun besser denn je zuvor: Der »Lonely Planet« hat die Stadt vor einigen Jahren zu einem jener Orte gekürt, die es jetzt zu besuchen gilt, ehe die Massen kommen.
Das trifft auch auf die Titanic-Expeditionen zu, bei denen Fans viel entdecken können. Die verfallenen Hauptquartiere von Harland & Wolff, wo das Schiff gezeichnet wurde. Die Gleise, auf denen es vom Stapel gelaufen ist, oder das Dock, wo bis zu 13.000 Mann daran gearbeitet haben.
Ein Museum für die Titanic in Belfast
Auch Investoren umarmen das Hafenareal nun: Unweit der Docks entsteht zurzeit das Titanic-Museum, das zum 100. Jahrestag des Stapellaufs im April 2012 fertig sein sollte. Zu Füßen des Museums breitet sich dann ein Park aus. Zentraler Bestandteil ist eine Art Hologramm, das die Umrisse der Titanic und ihres Schwesterschiffs »Oceanic« abbildet. Drumherum wird Titanic Quarter hochgezogen, das zurzeit größte Stadtentwicklungsprojekt Europas. Es soll jene Strahlkraft besitzen, die dem Schiff versagt geblieben ist.
Weitere Informationen zu Belfast
Die direkte Anreise aus Deutschland ist per Flugzeug derzeit nur mit Umsteigen in London Heathrow möglich (British Midland und British Airways). Nach Dublin fliegen auch Air Lingus, Lufthansa und im Sommer Germanwings. Vom Flughafen geht es wahlweise per Bus (drei Stunden, 14 Euro) oder ab Dublin Connolly per Bahn (zwei Stunden, etwa 25 Euro) weiter.
Belfast eignet sich ganzjährig als Reiseziel. Das Klima ist dank des Golfstroms auch im Winter mild. In Nordirland wird mit britischen Pfund bezahlt. Es herrscht Linksverkehr. Im Oktober findet mit dem Ulster Bank Festival das Belfast International Arts Festival statt, das größte Kulturfestival der Insel.
Die Titanic Walking Tour
Die Titanic Walking Tour wird an ausgesuchten Vromittagen angeboten. Start ist um 10 Uhr. Die Führung dauert etwa zweieinhalb Stunden, die Teilnahme kostet 10 britische Pfund.
Belfast Tours bietet Taxi-Rundfahrten durch die ehemaligen Krisengebiete im Westen der Stadt an. Diese kosten bei ein oder zwei Teilnehmern 25 Prund, bei drei bis sechs Teilnehmern 10 Pfund pro Person.
Weitere Informationen über Belfast auf der Homepage.
Text und Bilder zur Geschichte »Auf den Spuren der Titanic in Belfast«: Ralf Johnen, die Reise wurde von Tourism Ireland unterstützt.
2 Comments
Reblogged this on boardingcompleted und kommentierte:
Weil ich diesen Jahrestagsjournalismus ja verachte, hier nochmals eine Titanic-Geschichte, die betont inaktuell und längst überholt ist
Reblogged this on boardingcompleted und kommentierte:
Weil ich diesen Jahrestagsjournalismus ja verachte, hier nochmals eine Titanic-Geschichte, die betont inaktuell und längst überholt ist