Chicago war einst die Hauptstadt der Schwarzbrenner. Erstmals seit der Prohibition werden im Norden der Stadt nun wieder Whisky und andere hochprozentige Schnäpse hergestellt.

It’s Bourbon Time: Schnaps aus Chicago bei der Verkostung in der Koval Distillery
Machen wir uns nichts vor: Chicago war immer ein heißes Pflaster – und als solches ein Ort für durstige Kehlen. Schon als die Stadt 1833 mit 350 Einwohnern offiziell ins Leben gerufen wurde, war die Versorgung mit alkoholischen Getränken dem Vernehmen nach in einem Lokal namens The Miller House sichergestellt.
Deutsche Brauhäuser in Chicago
Vier Jahre darauf gab es bereits zehn Tavernen. Um 1860 waren acht Destillen gemeldet, ehe vornehmlich deutsche Einwanderer dafür sorgten, dass es in Chicago über 50 Brauereien gab, von denen die meisten zugleich als öffentlich zugängliche Brauhäuser fungierten.

Die Mother Road ist überall – auch in der Destille von Koval
Doch in den gesamten USA wurden der Alkohol zu einem wachsenden Problem. Diverse Interessensgruppen schlossen sich zusammen, um ein Verbot zu erwirken. Männer sollten ihren Lohn beziehungsweise das Budget der Familie nicht mehr versaufen, endlich sollten Ruhe und gesellschaftlicher Frieden herrschen. Der Einfluss von Kirchen, frühen Frauenrechtlerinnen und einigen Juristen wuchs zu einer Macht, die im Jahr 1919 tatsächlich bewirkte, dass die amerikanischen Bundesstaaten mit einer Mehrheit von 36 zu 12 den 18. Zusatzartikel zur Verfassung verabschiedeten, der zur Prohibition führte.
Die Prohibition und die Nähe zu Kanada
Von 1920 bis 1933 – und somit auch in den ersten sieben Jahren der Route 66 – galt landesweit ein Verbot aller alkoholischer Getränke. Doch die Gesetzeslage konnte dem Alkoholkonsum nicht Einhalt gebieten. Viel mehr begünstigte sie die Kriminalität. Dank der Nähe zu Kanada, wo Alkohol legal war, erkannten Top-Kriminelle wie Al Capone oder Bugs Moran ein lukratives Geschäftsmodell.

Für lange Abende in den Motels der Route 66?
Allerorten eröffneten illegale Bars, sogenannte Speakeasys, deren zeitgenössische Varianten weltweit beliebt sind. Gleichzeitig wurde Chicago Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen von Banden, die um die Vormachtstellen kämpften. Die Mordzahlen stiegen von 200 (1918) auf rund 700 (1930). Das Projekt Prohibition war gescheitert.
Schnaps aus Chicago: Die Koval Distillery
Während Amerikas Boomtown schnell wieder auf die Füße fiel, blieb die Produktion alkoholischer Getränke dauerhaft anderen Kommunen vorbehalten. Tatsächlich sollte es bis 2008 dauern, ehe sich wieder eine Destille in der Megalopolis etablieren konnte. Sie heißt Koval und betrieben vom Österreicher Robert Birnecker und seiner Frau Sonat Hart. Sie war zuvor Professorin für deutsch-jüdische Geschichte in Berlin.

Die Probierstube von Koval im Norden der Windy City
Das mag ungewöhnlich klingen, hat aber Hand und Fuß. Zwar war Birnecker ursprünglich in der Botschaft seines Landes in Washington D.C. angestellt. Doch schon von seinem Großvater hat er einiges über die Kunst des Schnapsbrennens mitbekommen. Nachdem er seine Frau kennengelernt hat und beide etwas Gemeinsames auf die Beine stellen wollten, begann er sich ab 2008 zu einem der Pioniere der damals noch neuen Szene der Mikro-Destillen aufzuschwingen. Mit der Koval Distillery war Schnaps aus Chicago plötzlich wieder in aller Munde.
Erst Bourbon, dann Gin
Begonnen hat Birnecker mit einer amerikanischen Spezialität: Bourbon. Mittlerweile aber gehören auch fünf weitere Whiskey-Arten, Gin und diverse Liköre zum Portfolio, die mit Preise überhäuft worden sind. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Beschränkung auf Bio-Zutaten (einige sind koscher und glutenfrei) und die Verwendung von deutschem Destillationsequipment aus dem Hause Kothe.

Deutsch-österreichische Kooperation: die hochprozentigen Destillate von Koval
Die Idee, so viel steht fest, war längst überfällig: Koval zählt mittlerweile 54 Angestellte und die Produkte werden in viele Länder exportiert. Nicht die schlechtesten Referenzen für einen abendlichen Absacker auf dem Hotelzimmer während eines Roadtrips.
Schnaps aus Chicago und die Koval Distillery
Die Koval Distillery (koval-distillery.com, GPS: 41.95879, -87.67514) unterhält zurzeit einen Tasting Room, wo Führungen mit Verkostungen angeboten werden, auch werden hier die hauseigenen Produkte verkauft. Die Probierstube befindet sich am Herstellungsort in der 4241 North Ravenswood Avenue, wo auch kleine Gerichte angeboten werden. Sonst sind die Produkte auch im gutsortierten Einzelhandel erhältlich. Der Tasting Room ist Montag bis Donnerstag von 16 bis 22, Freitag 15 bis 22, Samstag 12 bis 22 und Sonntag 12 bis 20 Uhr geöffnet.

Beliebter Exportartikel: Bourbon
Am Wochenende bietet die Koval Distillery auch Führungen mit Verkostung ab 12 USD an. Für den Transfer aus Downtown Chicago nimmst du am besten einen Uber.
Weitere Attraktionen mit Bezug zur Vergangenheit
Das Chicago History Museum ist auf halber Strecke von Downtown zur Destille gelegen. Das städtische Geschichtsmuseum klärt über viele Aspekte der Historie auf. Geöffnet Dienstag bis Samstag 9.30 bis 16.30, Sonntag von 12 bis 17 Uhr, Eintritt 19 USD, 1601 North Clark Street, Chicago, IL 60614.

Offene Flaschen mit Schnaps aus Chicago während der Verkostung bei Koval
The Berghoff: Wenn Geschichte und die deutschen Wurzeln Chicagos im Vordergrund steht, darf ein Besuch im The Berghoff (theberghoff.com) nicht fehlen. Es wurde 1898 vom Deutschen Hermann Josef Berghoff ins Leben gerufen und lockt mit einer interessanten amerikanischen Interpretation der deutschen Küche. Unbedingt probieren: Das Reuben Sandwich und das hauseigene Bier aus dem Steinkrug. Täglich von 11.30 bis 20 Uhr geöffnet, 17 West Adams Street, Chicago.
Die Koval Distillery und die Route 66
Die Destille hat streng genommen nichts mit der Mother Road zu tun. Doch ihr Besuch ruft unweigerlich die Epoche der Prohibition in Erinnerung, als die Amerikaner die Route 66 erstmals befahren konnten.
Außerdem lohnt sich der Besuch natürlich für Fans von Spirituosen. So habe ich die die Koval Distillery denn auch als vierte Geschichte in meine Sammlung von 66 Stories über die Route 66 aufgenommen. Zu Geschichte Nummer 3 und die Hutmacher von Optimo geht es hier, zu Geschichte Nummer fünf und die Wolkenkratzer Chicagos geht es hier. Du möchtest alle Stories lesen, die mit auf dem Weg von Chicago nach Los Angeles begegnet sind? Dann schau am Startpunkt der Mother Road vorbei.
Text und Bilder: Ralf Johnen, April 2025.
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