Automobile fahren hier nicht. Stattdessen bestimmen Fahrräder den Takt auf dieser spärlich besiedelten Trauminsel in der Ostsee, die schon der Dichter Gerhart Hauptmann zu schätzen wusste. Himmlisch stilles Hiddensee.
Die Ostsee ist glatt und der feine Sandstrand menschenleer. Bis auf das Gekreische einer Möwe herrscht absolute Stille. Wir beobachten genüsslich, wie die untergehende Sonne die Westküste Hiddensees in ein rötliches Licht taucht (klicke auf den Link, um unsere Geschichte über Usedom zu lesen). Nach einiger Zeit sagt Daniel, der hier lebt: „Von mir werdet ihr nichts Negatives über andere Inseln hören. Aber hier ist es am schönsten.“
Ihm genügt Hiddensee. Hier am Südzipfel scheint das Eiland nicht viel mehr als eine Sandbank, die dem mächtigen Rügen vorgelagert ist. Zwar baut sich hinter dem Strand eine Steilküste auf. Die aber ist nur etwa fünf Meter hoch. Oben soll Kiefernbewuchs verhindern, dass das kostbare Land wegbricht – und Hiddensee noch schmaler wird, als die ohnehin schon knappen 300 Meter.
Keine Brücke zum Festland
Wenn Daniel mal nach etwas anderem zumute ist, muss er die Fähre oder das Wassertaxi nehmen. Anders als Rügen nämlich ist Hiddensee nicht per Brücke mit dem Festland verbunden. Nach rund 90 Minuten ist er dann in Stralsund, der ehrwürdigen Hansestadt, die sich nach der Wende wieder fein herausgeputzt hat. Doch das Bedürfnis nach Stadtluft verspürt Daniel nur selten.
Nach der kleinen Meditation am Strand besteigt Daniel sein Velo. „Ich verfluche mich manchmal, dass ich mein Hollandrad nicht mehr benutze“, sagt er, „aber diese E-Bikes sind einfach zu praktisch“. Genau genommen sind die Gefährte das Transportmittel Nummer eins. Die Insel nämlich ist autofrei – und als eine Art Schnellstraße von Nord nach Süd fungiert eine Piste, die zu einem guten Teil mit Betonplatten aus DDR-Produktion ausgelegt ist.
Erinnerungen an die Sturmflut
Auf dem Weg nach Norden passieren wir Plogshagen, das schon im 13. Jahrhundert besiedelt wurde. „Von Westfalen“, wie Daniel nicht ohne Genugtuung sagt. Der Ort besteht aus ein paar versprengten Bauernhäusern, von denen einige mit bilderbuchhaften Reetdächern gedeckt sind. Der Rest der 1036 Einwohner bezeichnet die hiesige Bevölkerung als „Süder“. Angeblich sprechen die Leute hier sogar einen wahrnehmbar abweichenden Dialekt.
Ein kleines Fischereimuseum erinnert an den harten Broterwerb früherer Zeiten. 1872 etwa mussten die Bewohner einer Sturmflut standhalten, welche die Insel kurzzeitig in zwei Hälften geteilt hat. Heute verdienen noch 13 wortkarge Fischer ihr Geld mit dem Beruf der Vorfahren. Sonst lebt Hiddensee vom Tourismus, auch wenn die Zahl der Betten 3000 nicht übersteigt. Seit dem frühen 20. Jahrhundert kamen immer mehr Intellektuelle und Künstler hierhin. Auch in Zeiten des Sozialismus konnten Andersdenkende zuweilen unter sich sein.
Himmlisch stilles Hiddensee
Es ist nicht jedermanns Sache, seinen Urlaub auf Hiddensee zu verbringen. Das weiß auch Daniel. Mondän wie Sylt ist die Insel nicht, sagt er, während eine Kutsche vorbeizieht, die ein paar Gäste im Hotel Heiderose abliefert. Und auch die Gastronomie bewege sich nicht auf höchstem Niveau. Das aber bedeute nicht, dass die Natur die einzige Sehenswürdigkeit auf der Insel sei. Am nächsten Morgen werde er zeigen, was es damit auf sich habe.
Gegen 10 Uhr nehmen wir die E-Bike-Autobahn in Richtung Norden. Am Ortsrand von Vitte passieren wir zunächst das „Karusel“, eine beschwingt wirkende Variante des traditionellen Inselhauses. Hier verbrachte in den 20er und 30er Jahren die dänische Stummfilmschauspielerin Asta Nielsen ihre Sommer. Heute hat das Domizil Patina angelegt, abgesehen von gelegentlichen Besichtigungen es ist eine ungenutzte Attraktion.
Das Gerhart-Hauptmann-Haus
Ein paar Kilometer weiter nördlich in Kloster jedoch steht ein Publikumsmagnet: das Gerhart-Hauptmann-Haus. Das Anwesen des Dichters und Dramatikers liegt in kaum verändertem Zustand unter alten Bäumen auf einer leichten Anhöhe. Auf der anderen Straßenseite komplettiert eine Reihe schnuckeliger Wohnhäuser mit spitzen Dächern das Inselidyll.
Eingerahmt von schnuckeligen Domizilen und alten Baumbeständen thront das Haus des Dichters und Dramatikers in kaum verändertem Zustand auf einer Anhöhe. Wie Franziska Ploetz als Leiterin der Institution erklärt, hat auch Hauptmann (1862-1946) immer wieder die Sommermonate auf Hiddensee verbracht.
Thomas Mann auf Hiddensse
Zur Bewirtung prominenter Gäste wie Thomas Mann hat er sich in seinem Domizil in Mecklenburg-Vorpommern einen stattlichen Weinkeller angelegt.
Unvergessen, so Ploetz, sei der Ausspruch des Schriftstellers, dass zwei Flaschen Wein, ein wenig Sekt und ein bisschen Cognac für einen Mann keine übertriebene Tagesdosis sind.
Hinter Kloster baut sich dann ein anderes Hiddensee auf: Die Insel ist am Nordende fast vier Kilometer breit. Und es geht plötzlich so steil bergauf, dass der elektronische Hilfsmotor am Fahrrad angebrachter denn je erscheint. Immerhin 72 Meter ist der Bakenberg hoch und die unvermeidlichen Betonplatten machen den Anstieg nicht leichter. Die Inselbewohner aber lieben laut Daniel ihren Felsen, ist er doch Garant dafür, dass es auf dem Eiland immer einen Zufluchtsort vor den Sturmfluten der Zukunft geben wird.
Aussicht vom Leuchtturm bis nach Stralsund
Besonders schön ist die Aussicht vom örtlichen Leuchtturm, der an klaren Tagen einen Blick über die längliche Insel bis hin nach Stralsund gestattet.
Wer sich gen Osten wendet, sieht in unweiter Ferne Rügen, das per Fähre leicht erreichbar ist. Auch über diese Insel wird Daniel nichts Negatives sagen. Denn er war noch nie da bis zu diesem Tage.
Informationen zur Geschichte Himmlisch stilles Hiddensee
Anreise: Das zu Mecklenburg-Vorpommern gehörenden Hiddensee ist am besten über Stralsund zu erreichen, das ans Fernstreckennetz der Bahn angebunden ist. Die Fähren der Reederei Hiddensee (21 Euro Hin und zurück) fahren im Sommer mehrmals täglich, die Überfahrt dauert rund 90 Minuten. Schneller sind die Wassertaxis des Hiddenseer Taxirings (220 Euro pro Fahrt ab Stralsund). Auch verschiedene Häfen auf der Nachbarinsel werden angefahren. Schaut auf die Webseite von Mecklenburg-Vorpommern-Tourismus.
Unterkunft: Das Hotel Heiderose liegt zwischen den Dörfern Vitte und Plogshagen. Die Gäste werden mit der Pferdekutsche vom Hafen abgeholt. Doppelzimmer je nach Saison zwischen 57 und 105 Euro.
Erstes Haus am Platze ist das Appartementhaus Dornbusch in Klosters, Doppelzimmer je nach Saison 67 bis 153 Euro.
E-Bikes: In den genannten Hotels, an Bord einiger Fähren sowie in den Häfen von Vitte, Kloster und Neuendorf befinden sich Ladestationen, die zur kostenlosen Aufladung der Akkus bereit stehen. Die Firma Movelo organisiert den Verleih gemeinsam mit der Reederei Hiddensee im Hafen von Vitte (Ansprechpartner Knut Schäfer unter 03831/26810), etwa 20 Euro pro Tag. Der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern bietet verschiedene Touren über die Inseln Hiddensee, Rügen und Usedom an.
Text und Bilder zur Geschichte Himmlisch stilles Hiddensee: Ralf Johnen, aktualisiert im September 2021. Die Reise wurde von Mecklenburg-Vorpommern-Tourismus unterstützt.
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