Der Modellpark in der Berliner Wulheide zeigt die Stadt in Miniaturform. Das ist Geschmackssache. Ebenso erwähnenswert aber ist die Tatsache, dass dort vorwiegend Mini-Jobber beschäftigt sind. Ein Beitrag aus der Reihe »Historischer Reisejounalismus«.
Bald verschwindet die Reichstagskuppel in Berlin. Die Siegessäule wird zerlegt, und die Türme des Frankfurter Tors werden abmontiert. Der Rest der Bausubstanz wird verschalt und mit Planen eingehüllt. Wie bei einer Christo-Aktion. Die kleineren Gebäude, wie das Mies-van-der-Rohe-Haus in Lichtenberg oder das Kleist-Museum in Frankfurt/Oder werden ganz entfernt. Was sich anhört wie ein städtebauliches Armageddon sind in Wirklichkeit die Vorbereitungen auf den Winter im Modellpark in der Berliner Wuhlheide. Der schließt Ende Oktober bis April seine Pforten, und damit beginnen auch für die Belegschaft wieder frostige Zeiten.
Modellpark in der Berliner Wulheide: Die Stadt aus der King-Kong-Perspektive
Rund 80 mehr oder minder bekannte Sehenswürdigkeiten aus Berlin und Brandenburg im Maßstab 1:25 können Besucher seit 2005 auf dem Areal des ehemaligen Ernst-Thälmann-Stadions in Köpenick mit wenigen Schritten ablaufen. Miniaturlandschaften mögen Geschmackssache sein. Aber die vertrauten Gebäude aus der King-Kong-Perspektive zu sehen, entbehrt nicht jeglichem Reiz.
Wie ein gezähmter Godzilla blicke ich auf die Quadriga des Brandenburger Tors herab und sehe den High-Flyer von oben – die Miniaturausgabe des Ballons mit dem »Welt«-Aufdruck, der in der Nähe des Potsdamer Platzes mit Touristen im Korb täglich auf- und absteigt. Die U-Bahn an Berlins ältestem U-Bahnhof am Wittenbergplatz macht »da-däää-da«, wie die echten in groß, kurz bevor die Türen schließen. Aus einer Kirche tönt Bach-Musik, auf einer Orgel gespielt. Vieles kann per Knopfdruck aktiviert werden.
Schattenseiten des Tourismus: Geringe Aufwandsentschädigung
Vor dem Rathaus Köpenick komme ich mit einer Frau ins Gespräch. »Für einen Euro fünfzig arbeiten wir hier«, sagt die Frau, die zu DDR-Zeiten für den Rat des Stadtbezirks, wie es damals hieß, öffentliche Grünflächen pflegte. Sie trägt Turnschuhe mit aufgeschäumter Sohle, Jeans, Windjacke, wallende, blonde Haare und hat ein leicht verquollenes Gesicht. Sie möchte ihren Namen nicht nennen, denn sie hat Angst, dass sie ihre Chancen auf eine Beschäftigung im Modellpark in der kommenden Saison vergeigt. »Das ist mir zu öffentlich.« Was sie mir erzählt, könnte negativ auf sie zurückfallen.
Dass die Aufwandsentschädigung von gerade einmal neun Euro am Tag vorn und hinten nicht reicht, obwohl sie mit dem Hartz-IV-Satz nicht verrechnet werden muss. Dass sie bald bei der Arbeitsagentur wird wieder nach einem Job betteln müssen (»Sie gehen dahin und sagen, Sie brauchen wieder was, irgendwas.«), und dass es längst keine ausgemachte Sache sei, ab April wieder im Modellpark Rasen mähen zu dürfen, kleine Reparaturen an den Modellen durchzuführen, den Besuchern Rede und Antwort zu stehen und im Kreativzelt mit den Kindern zu basteln.
ICE am Uhrenturm
Dennoch ist die 55-Jährige froh, in Berlins Minihausen zu jobben, denn vorher war sie neun Jahre arbeitslos. »Man kommt raus. Sie können ja nicht den ganzen Tag fernsehen und dabei zugrunde gehen.« Als sie das sagt, hat sie einen traurigen Glanz in den Augen. Ein kleines Glück ist, dass auch ihr Mann zu den rund 20 ehemaligen Langzeitarbeitslosen gehört, die den Modellpark das Jahr über schmeißen. Sie tauchen, so lange sie hier sind, in keiner Arbeitslosenstatistik auf, obwohl ihre Beschäftigung offiziell kein Arbeitsverhältnis begründet.
Bis auf die Dame und einen Herr, die im Kassen- häuschen den Eintrittspreis von vier Euro kassieren, haben die anderen Mitarbeiter im Modellpark eine befristete »Arbeitsgelegenheit mit Mehr- aufwandsentschädigung (AGH-MAE)« ergriffen, wie es im Beamtensprech heißt: Sie sind Ein-Euro-Jobber. Einer hat kein Problem, seinen Namen zu nennen, schließlich war er wegen seines Schicksals als Dauerjobsucher schon mal in der »Bild«. »Ich heiße Henry Kiesewetter«, sagt der hagere Mann, der gerade einen kleinen ICE, der tagsüber um den Uhrenturm Wittenberge fährt, in sein Nachtlager tragen will.
Modellpark in der Berline Wulheide: Zum Reichstag und ins Pergamon-Museum
2008 war der 52-Jährige gelernte Blechumformer schon einmal für eine Saison in der Wuhlheide, seitdem ist er auf der Suche nach einem richtigen Job: »Die sagen, man hätte nach der MAE wieder eine Chance auf den ersten Arbeitsmarkt, aber zu was soll das hier qualifizieren?«, sagt er und nimmt sich die Baseball-Mütze vom Kopf. Zum Vorschein kommt ein knöchriger Schädel, über den er mit der tätowierten Hand streicht. »Früher habe ich die Rohre für Kohleöfen gefertigt, diese Arbeit gibt es heute nicht mehr«, sagt der gebürtige Thüringer. Ohne die Langzeitarbeitslosen in der Wuhlheide aber gäbe es den Modellpark nicht. »Um 2000 rum entstand das erste Modell im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme«, sagt einer, der an den Modellen mitgebaut hat. »Es war, glaube ich, das Schloss Rheinsberg, da drüben.«
Hinzu kamen das Reichstagsgebäude, das Pergamon-Museum, die Neue Wache, das HOWOGE-Niedrigenergiehaus in Lichtenberg, das Rathaus Spandau, die Glienicker Brücke und viele andere Bauwerke, die so filigran und mit Liebe reproduziert sind, dass man sie aus einer gewissen Entfernung für die Originale halten könnte. Immer waren es Langzeitarbeitslose, die sich originale Baupläne und Genehmigungen einholten und als Autodidakten zu Modellbauern wurden.
Ein kleiner Touristenmagnet
Bis heute hat es der recht versteckt liegende Modellpark immerhin zu einem kleinen Touristenmagneten gebracht. »Manchmal fahren sogar Busse aus Süddeutschland vor, aber eigentlich ist das hier als Attraktion noch viel zu unbekannt«, sagt Henry Kiesewetter. »Neulich wollte einer sogar als Souvenir die Quadriga kaufen – für 1000 Euro. Aber so was geht natürlich nicht.« Wo der Hauptmann von Köpenick vor dem Rathaus seines Stadtteils stand, ragt derzeit nur eine kleine Schraube aus der unteren Stufe des Portals – jemand hat die Figur gestohlen.
Bevor ich das ehemalige DDR-Pionier-Stadion verlasse, dessen steinerne Tribünensockel noch stehen, erfahre ich noch zwei Geschichten: Die frühere Gärtnerin erzählt, sie habe Ende der sechziger Jahre als junge Pionierin, als der Park noch Ernst-Thälmann-Stadion hieß, und die Sowjets gegenüber auf einem großflächigen Areal mit Panzern in Habachtstellung auf ihren Koffern saßen, hier Leichtathletik getrieben. »Die FDJ-ler haben auf die Pioniere aufgepasst, das hat den Zusammenhalt gestärkt. Was politisch dahinter steckte, war ja erst mal egal. Für uns Kinder war das schön.« Sport treibe sie heute nicht mehr.
Und Henry Kiesewetter sagt: »Für mich geht das hier ja ohnehin nicht weiter. Ab Dezember habe ich einen Job.« Für »ungefähr zehn Euro die Stunde« fängt er bei einem Bestattungsunternehmen auf dem Baumschulenweg als Sargträger an. Das macht er, obwohl, wie er sagt, sein Rücken seit einem Job auf dem Bau ruiniert ist und er nur noch »eine Belastbarkeit von zehn Kilo« habe, wie ihm attestiert worden sei. Aber es würde wohl gehen. »Ich habe es schon getestet, und schließlich tragen wir den Sarg ja auch zu viert.« Als ich das Eingangstörchen zum Modellpark schließlich kurz vor 19 Uhr hinter mit lasse, höre ich das Geläut der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Irgendein Besucher hat kurz vor Feierabend noch einmal den Knopf gedrückt.
Informationen zum Modellpark in der Berliner Wulheide
Der Modellpark Berlin-Brandenburg versteht sich als »Reiseführer in 3D« und hat jährlich von April bis Ende September täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet (im Oktober 10-17 Uhr). Erwachsene zahlen in Berlin 4,50 Euro Eintritt, Kinder ab sechs Jahren 2,50 Euro.
Text und Bilder: Stefan Weißenborn. Die Geschichte stammt aus dem Jahr 2012. Wir lassen sie in der Rubrik »Historischer Reisejounalismus« online, weil es aus unserer Sicht eine sehr gute Geschichte von zeithistorischem Wert ist.
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