Viele Kölner U-Bahnstationen wirken aufgrund ihrer knalligen Farben und der Formensprache der 60er und 70er-Jahre aus der Zeit gefallen. Neuerdings haben die sympathischen Kunstwerke aus hoffnungsfrohen Zeiten großspurige Konkurrenz bekommen. Die Stationen am Heumarkt oder am Chlodwigplatz wirken, als hätten sie ein Jahrhundert überschlagen und warteten bereits auf die Fahrgäste des 22. Jahrhunderts.
Tageslicht dringt in die Kölner U-Bahnstationen nie hin vor. Nicht selten macht sich ein unangenehmer Windzug bemerkbar. Oder aber es ist stickig heiß unter der Erde. Mal ist es beängstigend voll, dann wieder gespenstisch leer. Und man benötigt sie lediglich, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen. Dennoch leisten die Kölner U-Bahnstationen einen Beitrag dazu, die unterschiedlichsten Lebenssituationen aufzuhellen, denn sie sind völlig unterschätzte Kunstwerke. Eine Liebeserklärung an die U-Bahn in Köln in acht Strophen.
Die U-Bahnstation Piusstraße
Viele Kölner kennen das: eine lange Nacht in Ehrenfeld. Am frühen Morgen sind die Beine schwer und die bevorstehende Heimreise ist länger, als einem lieb ist. Doch es hilft alles nichts. Ab in die Katakomben der U-Bahn! Dort sticht sie plötzlich ins Auge: eine Skulptur aus nackten Glühbirnen, die über den Rolltreppen zu den Gleisen zu schweben scheint.
Sie besitz die Form einer Pyramide, nur schwebt sie in umgedrehter Position von der Decke, als handele es sich um ein großes Insekt. Ein auffälliger und greller Gruß an alle Kreaturen der Nacht. Eine ebenso einzigartige wie unwahrscheinliche Installation, die Gerd Winner 1989 geschaffen hat, als die Linien 3 und 4 nach in den Kölner Norden durchgezogen wurden.
Die U-Bahnhaltestelle am Friesenplatz
Diese Station ist öfter in Fernsehkrimis verschmäht worden. Wegen der Fliesen in mehreren unwahrscheinlichen Blautönen und der vermeintlichen Kühle, die von ihnen ausgeht.
Dabei ist das erste Untergeschoss der Station, wo die Fahrgäste ihren in alle Himmelsrichtungen fahrenden Zügen entgegenstreben, von betörenden Mustern geprägt: Die tragenden Säulen werden von achteckigen Mustern eingerahmt. Die Farbbalken an den Wänden kreieren eine stramme Horizontalität. Und an den etwas zu niedrigen Decken verleiht die Verkleidung dem Raumgefühl zusätzliche Dynamik. Für die Bauperiode von 1985 bis 1987 ist das Ganze geradezu visionär, denn es ist »very instagrammable«, wie viele der Kölner U-Bahnstationen.
Sixties-Gefühl in der Leyendeckerstraße
Die U-Bahn in Köln ist nicht sonderlich alt. Die ersten 1,4 Kilometer zwischen Hauptbahnhof und Appellhofplatz wurden erst 1968 eingeweiht. Viele Stationen aus den Anfangsjahren sind von Fliesenkompositionen geprägt, die denen am Friesenplatz ähneln. Die Ehrenfelder Bahnhöfe hingegen sind zeitlich schwer einzuordnen.
Die Leyerdeckerstraße mit ihren von unter angeleuchteten Rolltreppenhandläufen, der strengen Symmetrie der Beleuchtung und der leicht psychedelisch anmutenden Deckenbemalung in den Fahrröhren könnte auch aus den 70er Jahren stammen. In Wahrheit aber hat die Künstlerin Ulrike Utaz das raumschiffartige Gewölbe 1992 gestaltet. Es leistet einen weiteren Beitrag zu dem Gefühl, durch den Erwerb eines KVB-Tickets eine unterirdische Zeitreise anzutreten.
Unterirdischer Kunstraum an der Körnerstraße
Wieder ein gutes Beispiel dafür, wie die Stationen in Köln-Ehrenfeld nicht nur der Personenbeförderung, sondern auch als Kunstraum dienen. Im ersten Untergeschoss sind die Seitenwände mit gemusterten Lichtinstallationen ausgekleidet, deren von Weiß über Gelb bis Orange reichendes Farbspektrum abermals an Disco und somit an die 70er Jahre erinnert.
Die skulpturale Anordnung der Neonröhren kündet von einem ausgeprägten Sinn für Symmetrie. Wäre diese Station eine Bar, wäre sie mit Sicherheit Abend für Abend gut gefüllt mit Hipstern jeder Couleur.
Die Kölner U-Bahnstationen: Hans-Böckler-Platz
Die Play-Station. Warum? Weil sich auf Gleisebene eine Grafik befindet, die jeden Musikfan sofort zu besserer Laune veranlasst: Auf dem knallgelben Grundton der Fliesen ist ein ebenso knallrotes Piktogramm angebracht, das aus einem zur Seite weisenden Pfeil und einem daneben platzierten, gleichhohen Balken besteht.
Auf Generationen von Kassettenrecordern war dies nicht nur in Köln das Zeichen auf jenem Play-Knopf, durch dessen Betätigung das Band gestartet wurde. Musik ab!
Kalk Post: U-Bahn auf der Schäl Sick
Ein Evergreen auf der Schäl Sick (so nennen die Einheimischen das rechte Rheinufer in Köln). Abermals sind hellblaue, dunkelblaue und weiße Fliesen die dominierenden Elemente des Wandschmucks. Auf auffällige Weise ergänzen hier die tragenden Säulen zwischen den Gleisen, die horizontalen Linien der Deckenverkleidung und die Abdeckungen der Bahnsteige das Spektrum der geometrischen Formen.
Am schönsten jedoch sind die an der Wand in Zweiergruppen befestigten Sitze. Man könnte sich gut vorstellen, dass Wes Anderson hier Szenen für seinen nächsten Film dreht. Vielleicht mit Adrien Brody und Owen Wilson auf den Sitzgelegenheiten?
Kölner U-Bahn 2.0: der Chlodwigplatz
Eine ganz andere Nummer, weil dieser 2015 eröffnete Bahnhof einer neuen Generation angehört. Die U-Bahnlinie vom Hauptbahnhof in die Südstadt ist zwar immer noch nicht ganz fertig, doch die vom Architekturbüro Schaller/Theodor aus Köln gestaltete Station am Chlodwigplatz greift die Ästhetik vergangener Expansionen in zeitgemäßer Manier auf.
Zwar ist die großzügig bemessene Verteilerebene hier oval, doch die elaborierte Beleuchtung sowie die pilzförmigen Träger erinnern durchaus an die Pendants in Ehrenfeld. Auffällig sind zudem die enormen Dimensionen der Rolltreppen (die auf den Ansturm der Zukunft ausgelegt sind) sowie die stilisierten Graffitis an einigen Wänden. Ganz so, als hätten wir unbemerkt ein Jahrhundert im Tiefschlaf verbracht und rüsteten uns nun auf einen ungeahnten Ansturm.
Heumarkt: Eine U-Bahnstation nahe am Größenwahnsinn
Noch ein Favorit der Neuzeit: Die 2013 eröffnete Station konnte durch den Einsturz des Stadtarchivs und die damit einhergehenden Verzögerungen ebenfalls ihre angedachte Funktion noch nicht in vollem Umfang einnehmen. Doch der von Architekt Ulrich Coersmeier gestaltete Bahnhof begeistert mit offenen Räumen und einer durchdachten Kombination von Geraden, Stufen und Rundungen. Dabei manifestiert sich ebenso wie am Chlodwigplatz die neue Farblinie aus Grau, Geld und Schwarz, die uns vermutlich in wenigen Jahrzehnten ebenso in die Irre führen wird, wie die Ehrenfelder Stationen.
Die Station erinnert von ihren Dimensionen an futuristische Metropolen viel größer als Köln, bei der Betrachtung unklar bleibt, ob deren Vorbilder in asiatischen Kapitalen gebaut wurden oder ob sie vielleicht doch eher aus einem Sciencefiction-Film stammen. So oder so schon jetzt ein Klassiker, der dazu animiert, die Rolltreppen rauf und wieder runterzufahren. Selbst wenn man nirgendwo hinmöchte.
Weitere Informationen zu Köln und seinen U-Bahnstationen
Schau auf die Homepage von Köln Tourismus
Text und Fotos: Ralf Johnen, November 2022.
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Toll bebilderte Liebeserklärung an Kölle, weiter so. Manni