Im dänischen Odense wurde 2021 das Hans Christian Andersen-Haus eröffnet. Das fantasievolle Museum erzählt die Geschichte des großen dänischen Schriftstellers und seiner wunderbaren Märchen – vom »Hässlichen jungen Entlein« bis zur »Kleinen Meerjungfrau«.
Ich weiß, wenn ich diese Geschichte über das Hans Christian Andersen-Haus in Odense erzählen möchte, trete ich in große Fußstapfen. Übergroße Fußstapfen. Schuhgröße 47, um genau zu sein. Also versuche ich gar nicht erst, diese Schuhabdrücke auszufüllen – aber folgen kann ich ihren Spuren doch.
Auf zweieinhalb Kilometern schreite ich also auf der Route durch das dänische Odense, immer mit Blick auf den Boden und die dort eingelassenen Schuhspuren. Vorbei an Skulpturen wie einem kleinen Mädchen, das aus einer überdimensionalen Blüte auf die Passanten hinabschaut. Oder einem einbeinigen Soldaten oder einem nackten, dicken Mann, der eine Krone trägt und etwas verdutzt in einen Spiegel schaut.
Däumelinchen und Standhafter Zinnsoldat
Wer in Kindheitstagen stets die Nachtruhe hinausgezögert hat, um sich bitte, bitte, bitte noch eine einzige Seite von den Eltern vorlesen zu lassen, weiß nun wahrscheinlich, auf wessen großen Fußspuren ich wandele. »Däumelinchen«, »Der Standhafte Zinnsoldat«, »Des Kaisers neue Kleider« – es sind dies nur drei von insgesamt 156 Märchen, mit denen Hans Christian Andersen (1805-1875) weit über Skandinavien hinaus berühmt wurde.
Sein Geburtsort Odense auf der Insel Fyn weiß das Erbe des berühmten Sohnes zauberhaft und auch mit Augenzwinkern ins Licht zu setzen. Mit der Schuhspuren-Route, die zu bedeutenden Orten aus dem Leben des in jeder Hinsicht großen Mannes führt. Mit den Skulpturen, die über das Zentrum der hübschen, rund 180 000 Einwohner zählenden Stadt verteilt sind. Und mit dem neuen Museum Hans Christian Andersen-Haus, das auf innovative und fantasievolle Weise zur Reise in Hans Christian Andersens Märchenwelt einlädt.
Das Hans Christian Andersen-Haus: moderner Bau in altem Zentrum
2021 eröffnet, besticht das von den japanischen Stararchitekten Kengo Kuma entworfene Ausstellungshaus durch eine elegante Bauweise. Diese fügt sich mit ihren Naturmaterialien und dem mäandernden Zaubergarten in das historische Zentrum mit den Fachwerkhäusern geschmeidig ein. Die Besucher des Hans Christian Andersen-Haus erhalten eingangs einen Audioguide. Dieser ermöglicht ein Rundumerlebnis in der überwiegend unterirdischen und dadurch der Außenwelt entrückten Ausstellung. Die deutsche Version soll übrigens besonders gelungen sein.
Ich will gar nicht zu viel über den Rundgang preisgeben, denn man soll doch mit kindlicher Unbefangenheit die Ausstellung über einen Autor erleben, der so wunderbare Geschichten erfunden hat wie die vom einbeinigen Zinnsoldaten. Der sich in eine papierne Tänzerin verliebt, aber, ach, zu ihr nicht kommen kann. Weil er durch eine Verkettung unglücklicher Umstände vom Fenstersims kippt, nach einer wilden Fahrt auf einem Papierboot in einen Kanal gespült wird (wo ihn eine gestrenge Ratte nach seinem Ausweis fragt), um doch wieder nach Hause zu gelangen.
Scherenschnitte wie im Märchen
Weil er von einem Fisch verschluckt wird. Der wiederum bei den Besitzern der Zinnsoldatensammlung auf dem Esstisch landet. Wonach der heimgekehrte Zinnsoldat zusammen mit der Papier-Tänzerin im Kamin und als geschmolzenes Herz endet.
Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, beim Leben des großen Geschichtenerzählers, das im Hans Christian Andersen-Haus erzählt wird. Der nicht nur Märchen, sondern auch Gedichte, Novellen, Dramen und Romane schrieb. Der Bilderbücher gestaltete, zeichnete und malte. Selbst in die Musik fand Andersen Einzug, niemand geringerer als Robert Schumann vertonte fünf Gedichte des dänischen Zeitgenossen. Und war Andersen zu Besuch bei Freunden, bat der talentierte Gast um eine Schere und beglückte, schnipp-schnapp, die Kinder mit komplexen Scherenschnitten, die wahre Kunstwerke sind und ebenfalls im Hans Christian Andersen-Haus in Odense präsentiert werden.
Hans Christian Andersen setzte sich selbst ein Denkmal
Mit seinen Märchen wollte der vielseitig talentierte Schriftsteller übrigens mitnichten nur Kinder ansprechen, sondern die Geschichten oftmals auch als Gesellschaftskritik oder Satire verstanden wissen. Auf ein Denkmal, das schon zu Lebzeiten für ihn in Kopenhagen errichtet werden sollte, übte er denn auch dahingehend Einfluss, dass er nicht von Kindern umringt abgebildet werden wollte.
In der fantasievollen Ausstellung mit fliegenden Koffern erfahren wir auch, dass Andersen ein begeisterter Tourist war, dass er nicht nur sein Heimatland bereiste, sondern bei 30 Reisen das Ausland besuchte, vielfach Italien und Deutschland, und darüber Reiseberichte verfasste. Am Ende seines Lebens, als er schwer krebskrank war, erstellte er in einer Collage einen Paravent mit allen Ländern, die er lieb gewonnen hatte. So konnte er, ans Bett gefesselt, doch noch auf Reisen gehen.
Andersens kleine Meerjungfrau wird zu Schaum auf dem Meer
Andersen selbst hatte keine Kinder. Er war Zeit seines Lebens Junggeselle. Das heißt nicht, dass er nicht immerfort verliebt war, in wechselnde Damen und (so munkelt man) auch Herren. Vielleicht war es ein Glücksfall für die Welt, dass Andersen sein Leben lang alleine blieb. So konnte er seiner Fantasie Raum geben, um all die wunderbaren Geschichten aufzuschreiben.
Vom hässlichen jungen Entlein, das sich zum stolzen Schwan entwickelt. Von der kleinen Meerjungfrau, die zu Schaum auf dem Meer wird, weil der Prinz ihre Liebe nicht erwidert. Und von der Nachtigall, die zur Genesung für den Kaiser singt. Sie alle sind in dem Museum in Odense verewigt, auf spielerische, fantasievolle und äußerst unterhaltsame Weise.
Ein erbsengroßes Exponat
Die Krönung war für mich eine winziges, gerade mal erbsengroßes Exponat. Was es damit auf sich hat? Schaut doch mal nach, in einem der 156 Märchen. Oder in Odense, wo ich auf den großen Fußstapfen des Märchenerzählers wandeln durfte.
Informationen zum Hans Christian Andersen-Haus
Geöffnet täglich von 10 bis 17 Uhr, im Juli und August bis 18 Uhr (November und Dezember Dienstag bis Sonntag 10 bis 16 Uhr).
Tickets kosten 165 Dänische Kronen, das sind (Stand: Juli 2024) 22 Euro. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren kommen kostenlos hinein.
Köstliches Smørrebrød gibt es nebenan im Café Deilig.
Weitere Informationen über Odense auf der Webseite des örtlichen Tourismusbüros.
Text über das Hans Christian Andersen-Haus in Odense: Frida van Dongen, Bilder: Ralf Johnen, Juli 2024.
Die Geschichte ist durch eine Zusammenarbeit mit der Destination Fünen zustandegekommen.
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