Mauritius ist für Sonne, Strand, Meer, schicke Hotels und vielleicht noch seine Briefmarken bekannt. Die unbekannten Seiten von Mauritius gehen häufig unter – und das schade.
Jeannie ist ganz schon genervt. Schon zum dritten Mal heute hört sie ihren Gastgeber mit der Zunge schnalzen – das Signal, dass sie sich bitte zeigen möge. Doch die junge Dame gibt sich nachsichtig: Mit zerzaustem Federkleid und leicht mürrischem Blick tappst sie aus dem Verschlag, den Jacques Rey für sie eingerichtet hat. Sie dreht ein paar Runden, um sich danach eilig wieder zurückzuziehen.
Der Kestrel-Falke: Eine der unbekannten Seiten von Mauritius
«Sie ist ein kleines Wunder», sagt Jacques. Jeannie nämlich ist ein Kestrel, eine Falkenart, die nur auf der Insel Mauritius vorkommt. Durch rücksichtslose Kolonialherren und das Einschleppen unnatürlicher Feinde wurde die Spezies fast ausgerottet – wie so viele andere endemische Arten auch. Mitte der 70er Jahre schließlich galt die Spezies mit nur vier lebenden Exemplaren als seltenster Vogel der Erde.
Amerikanischen und britischen Ornithologen gelang es, den Kestrel vor dem Aussterben zu bewahren. «Heute», erzählt Jacques, «ist der Bestand wieder auf über 300 Paare angewachsen». Allein 75 Tiere sind auf der Plantage hier im Südosten der Vulkaninsel beheimatet, die ein wohlhabender Mauritier vor drei Jahren erworben hat. Jacques kümmert sich in dessen Auftrag um das 70 Hektar große Areal. Eigentlich sollte er «entwickeln».
Bergwelt mit Blick auf den Indischen Ozean
Schließlich ist der Flächendruck auf dem nur 50 mal 70 Kilometer großen Eiland groß – und die Lage inmitten der Bergwelt mit Blick auf den Indischen Ozean versprach Gewinne. «Aber mein Boss hat schnell eingesehen, dass hier alles so bleiben muss, wie es ist.» Nur der Name wurde umgewandelt – «Kestrel Valley».
Schritt für Schritt arbeitet Jacques nun daran, die lange vernachlässigte Plantage aufzumöbeln. Dazu gehört auch, dass ihre Reize öffentlich zur Schau gestellt werden: Gärtner Deepak etwa führt durch eine verwitterte Destillerie, wo aus Blüten Öl-Essenzen zur Parfümherstellung gewonnen werden. Besonders begehrt sind die vor Zitrusaromen strotzenden Blüten des Frangipani-Baumes – ebenfalls eine endemische Art.
Der Baum der Reisenden
Weiter hinten im Dickicht schneidet Deepak ein Stück Rinde von einem Zimtbaum. Er demonstriert, wie die Blätter des Nelkenbaums riechen. Und er lädt zur Verkostung der Früchte eines roten Pfefferbaumes, die überraschend süßlich schmecken.
Zurück auf den Anhöhen zeigt Jacques, wie sanfter Tourismus aussehen kann: Nur sieben Blockhütten hat er auf den Flanken des Berges errichtet, alle ohne Telefon, Internet und Fernsehen. Dafür blicken die Gäste auf einen Hang, auf dem sich madagassische Bäume des Reisenden ausbreiten. Sie sehen, wo sich die Korallenriffe im Ozean abzeichnen. Und sie können die Früchte von Mangobäumen pflücken, die ihre Äste bis auf den Balkon ausstrecken.
Die unbekannten Seiten von Mauritius: Gewürze und Tafelkleider
Auf dem Weg in den Norden wird der wahre Wert solch konservatorischer Maßnahmen deutlich. Städte wie Quatres Bornes und Phoenix wuchern wild vor sich hin. Ihre Straßen sind von Autos, Bussen und Mofas chronisch verstopft. Erst im Herzen der Kapitale Port Louis nimmt das alltägliche Chaos wieder Strukturen an.
Im kolonialistisch geprägten Marktgebäude stapeln sich frischer Koriander, Chili und Ingwer.
Tuchhändler feilschen um möglichst hohe Preise für Tafelkleider, die mit dem ausgerotteten Nationalvogel Dodo verziert sind. Ein neues Museum ist den heimischen Briefmarken gewidmet.
Mit dem Meeresbiologen durch die Mangrovenwälder
Trotz Luxustourismus und mehr als 100 Resorts ist das Durchschnittseinkommen auf Mauritius gering, die Infrastruktur vielerorts bescheiden. Da gedeiht so etwas wie Umweltbewusstsein nur zögerlich. Einen kleinen Beitrag aber leistet Fabrice Zarour. Der Meeresbiologe organisiert Kajaktouren durch die Mangrovenwälder, welche die vorgelagerte Amberinsel umgeben.
«Früher», sagt der 33-Jährige, «gab es hier viel mehr davon». Doch die meisten sind dem – letztlich erfolgreichen – Versuch zum Opfer gefallen, die Malaria auszurotten. Eine Tragödie, meint Zarour. Denn die Mangroven bilden außerdem einen natürlichen Schutzwall gegen Tsunamis und nehmen viel Kohlendioxid auf. Vor allem aber beherbergen sie eine komplexe Unterwasserwelt.
Vorsicht, Steinfische!
Wie diese aussieht, zeigt Zarour in einem etwa 20 Meter breiten Gewässer, wo er Schnorchel und Taucherflossen austeilt. Auch mahnt er zum Tragen von Badeschuhen, denn am Meeresboden leben Steinfische, deren Gift äußerst gefährlich ist. Dann schwimmt er hinüber zu den Mangroven, an deren glitschigen Wurzeln er mit den Händen Halt sucht.
Unter Wasser breitet sich eine verwirrende Vielzahl von Verkehrswegen aus, die von Zebra- und Papageienfischen bevölkert werden. Für deren Fortpflanzung sind die Wurzelgeflechte unverzichtbar, viele Arten wären ohne sie bedroht. Aus diesem Grund führt Zarour einen Teil seiner Erlöse zum Erhalt der Biotope an die Mauritian Wildlife Foundation ab.
Kulinarisch eigenständig
Auch kulinarisch steigt das Bewusstsein für das Eigenständige. In den Genuss typisch mauritischer Gaumenfreuden etwa kommen die Gäste des Maradiva, einem gediegenem Resort mit entspanntem Ambiente.
Die 65 Villen verfügen jeweils über einen eigenen Pool und direkten Strandzugang. Eingebettet sind sie in einen tropischen Garten, in dem Frangipani und Bougainvillea mit Flammenbäumen um den Titel des kapriziösesten Gewächses wetteifern.
Resort-Kapitale Flic en Flac
Wie Sous-Chef Ravi Gookoolah erklärt, will auch das Küchenteam mit einheimischen Zutaten glänzen. Zu diesem Zwecke bewirtschaftet der Mann, der bei Alain Ducasse gelernt hat, einen eigenen Garten. Auf der Speisekarte des Restaurants «Coast2Coast» bietet er Stifte einer weißen Gurkenart an, die er in Chili, Meerwasser und Rohrzucker mariniert. Darauf thront Marlin aus der hauseigenen Räucherkammer.
Nicht weniger als sieben Resorts reihen sich in Flic en Flac aneinander. Doch die Welt der Sonnenanbeter ist nicht hermetisch vom Inselleben abgeschirmt. Nach einem zehnminütigen Spaziergang durch einen Eukalyptuswald offenbart sich am Südende der Hotelmeile das wahre Leben.
Die unbekannten Seiten von Mauritius: Tamarin Bay
In der Tamarin Bay ist der Tourismus nahezu unsichtbar. Indische und afrikanische Kulturen mischen sich mit kreolischen und europäischen Einflüssen. Man grillt, musiziert und spielt Fußball in diesem Teil der Insel.
Die Bucht ist zugleich einer der wenigen Orte, wo das Korallenriff durchbrochen ist, das Mauritius in eine Lagune bettet. Zur Freude von Surfern werden die Wellen an guten Tagen bis zu viereinhalb Meter hoch. Während die Sonne untergeht, lassen sich übrigens manchmal sogar Delfine blicken. Später, als es endgültig dunkel ist, drehen Flughunde ihre Runden. So unbekümmert wie zuvor Falkendame Jeannie.
Weitere Informationen zu Mauritius
Der Flug nach Mauritius dauert von Deutschland etwa elf Stunden (unter anderem mit Air Mauritius oder Lufthansa). Die Insel, die sich auf der Grenze vom tropischen zum subtropischen Klima befindet, ist dagegen ein Ganzjahresreiseziel, die Temperaturen fallen nur im Hochland auf unter 20 Grad. Hochsaison ist von Dezember bis April.
Die örtliche Währung ist die Rupie, die am Flughafen zu fairen Kursen gehandelt wird. Auf der Insel herrscht ebenso wie in Südafrika Linksverkehr, besonders in den Ballungsgebieten kann das Fahren anstrengend sein. Offizielle Amtssprache ist Englisch, wer etwas auf sich hält spricht Französisch. Impfungen sind nicht nötig.
Unterkünfte auf Mauritius
Die Bandbreite an Unterkünften ist enorm, sie reicht vom Bed & Breakfast für unter 40 Euro bis zum Luxus-Resort mit Zimmerpreisen von über 1000 Euro pro Nacht.
Auf Mauritius waren einst 29 Vogelarten beheimatet, die ausschließlich hier vorkamen. Nur neun von diesen «endemischen» Arten konnten sich bis in die Gegenwart retten.
Die Kajaktouren sind beispielsweise buchbar über Yemaya Adventures.
Das Maradiva Villas Resort & Spa (maradiva.com) wurde kürzlich bei den World Travel Awards zum besten Insel-Resort der Welt gekürt.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im März 2022. Der Autor war auf Einladung des Touristenbüros der Insel Mauritius unterwegs.
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