Lange nachdem Kraftwerk damit begonnen hatten, die Beatles der elektronischen Musik zu werden, und bevor die Neue Deutsche Welle jene klamaukhaften Abziehbildchen hervorgebracht hat, die für eine Republik mit neuer Unbefangenheit und Mut zur eigenen Sprache stehen sollten, gab es für überschaubare Zeit eine Band, die nach dem zwischenzeitlichen Bonner Sitz des Bundeskanzlers benannt war: Palais Schaumburg.
Helmut Kohl hatte das Land noch nicht in seinen Würgegriff genommen. Die „Spex“, das spätere Zentralorgan aller nennenswerten Jugendkulturen, steckte noch in ihrer großformatigen, schwarzweißen Beta-Phase. Hausbesetzer kannten keine Duldungsverträge mit Investoren. Und Gegenkultur bestand aus mehr als der Ablehnung von Gentrifizierung und dem Tragen der richtigen Hipster-Hornbrille.
Trockene Songs, treibender Bass
Palais Schaumburg war die Band von Holger Hiller – zumindest während ihrer kurzen, bedeutungsvollen Phase bis 1981. Mit dabei waren Timo Blunck, der mit „Spex“-Autor Detlef Diederichsen als die Zimmermänner firmierte. Ebenfalls am Start war FM Einheit, künftiger Schlagwerker bei den Einstürzenden Neubauten. Gemeinsam haben sie ebenso trockene wie tanzbare Songs aufgenommen, die sich einer Klassifizierung entziehen. Treibender Bass, scheppernde Beats, nervöse Bläser, dazu Hillers eigenwilliger Gesang und seine kaum deutbaren Texte.
Das alles war längst vorbei, als ich aufgehört hatte die Beatles oder Tears for Fears zu hören und nunmehr rund um die Uhr die erste Smiths-Platte lief. Palais Schaumburg waren mir entgangen, nur der Name Holger Hiller kreiste noch von mir unbeachtet in der nunmehr arrivierten „Spex“ umher. Bald aber war auch das Geschichte. Umso überraschender, dass diese Band nun wieder auftritt. Ohne die Aufforderung, die alten Songs nun bei I-Tunes herunterzuladen oder sonstiges PR-Geklapper, sondern aus reinem Spaß. Aber vielleicht haben die Herren auch festgestellt, dass sie noch einmal gebraucht werden.
Mich hat es unvorbereitet getroffen, „Wir bauen eine neue Stadt“ und „Morgen wird der Wald gefegt“ waren dank Youtube plötzlich meine Winter-Hymnen. Von der wütenden ersten Blumfeld-Platte bis hin zum letzten Album der Sterne („Aus dem Weg, wir wollen Tennis spielen“) machte alles ein klein bisschen mehr Sinn. Ein Song hat mich fast körperlich in die Schulzeit zurückversetzt, die ich zwischen einem Chemiewerk und einer Müllverbrennungsanlage in einem asbestverseuchten Betonklotz verbracht habe: „Kinder der Tod“.
Zweites Leben als Englischlehrer
Im dazugehörigen Clip, den der Bayrische Rundfunk seinerzeit für eine obskure Sendung ins Bild gebracht hat, stehen die Musiker im Kreise. Ein Sensenmann treibt im Hintergrund sein Unwesen. Die Band wird irgendwann durch Frauen ersetzt, die Blumengestecke in den Händen halten. Eine nach der anderen reicht ihre Blumen weiter und fällt um. „Kinder der Tod“, singt Holger Hiller, „ist gar nicht so schlimm. Ich hab‘ ihn gesehen. Und er war schön.“ Es ist eine Symphonie des Grauens, die eine graue Jugend in einer Kölner Vorstadt der 80er Jahre nicht unpräzise abbildet.
Hiller hat nach einer weitgehend unbeachteten Solo-Karriere aufgehört, Musik zu publizieren. Heute ist er 64 und er arbeitet als Englischlehrer in Berlin. Da wäre ich dann gerne wieder Schüler. Am Samstag (23. Juni 2012) spielt die Band zum ersten Mal seit über 30 Jahren in Köln. In einem weithin verachteten Betonklotz, dem Kammermusiksaal im Sendezentrum des Deutschlandradios. Das passt. Und wenn das Pre-Reunion-Konzert im Golden Pudel Club als Maßstab gelten darf, heißt das: Hingehen.
2 Comments
Palais Schaumburg – das ist jetzt wirklich lange, lange her…
…aber immer noch gut!