Die schwedische Insel Ven verspricht Urlaub ohne Autolärm. Wer sich auf die Suche macht, kann auf dem kleinen Eiland viele Entdeckungen machen.
Schulkinder tollen auf der schwedischen Insel Ven herum. Stolpern über die Türschwelle aufs offene Deck, ziehen Grimassen im Wind, purzeln wieder in den Schiffsbauch, wo ich sitze. Umher liegen Rucksäcke, Regenjacken und Ranzen. Ein älteres Paare sieht mit gütigen Minen dem Treiben zu.
Die schwedische Insel Ven: Paradies für Radfahrer
Vom Anleger in Landskrona sucht die Fähre ihren Weg durch graue Wellen zur im Öresund gelegenen Insel Ven. Das Hafenbecken ist nach einer halben Stunde erreicht. Die Motoren brummen auf, im Wasser rotieren die Strudel. Der bunte Besucherstrom ergießt sich auf den Anleger – die Jüngeren schneller, die Älteren würdiger.
So weit, so normal für eine Fährüberfahrt. Doch wird das Eiland zwischen Dänemark und Schweden angesteuert, hat jeder Besucher einen Fahrradhelm am Gepäck baumeln. Die überschaubare Insel, vier mal zwei Kilometer, ist ein Paradies für Radfahrer. Es gibt kaum störende Autos, die Wege an einem Tag machbar, eine fassbare eigene kleine Welt.
Urlaub ohne Autolärm
Vom Anleger führt ein Asphaltweg steil bergauf. Oben angekommen, sehe ich: Fahrräder. Massenweise Fahrräder. Sie stehen in Reih und Glied geordnet und ergeben ein schönes Muster. Über 1000 Leihfahrräder sollen es sein, habe ich gelesen. In allen Varianten – vom normalen Rad, übers Tandem bis zu solchen mit Anhängern für kleine Kinder – stehen die rollenden Untersätze vor knallgelb blühendem Raps bereit.
Und im Rhythmus der alle paar Stunden ankommenden Schiffe schwappt die Besucherwelle über diese Bestände, um Lücken ins Muster zu reißen. So auch dieses Mal. Schüler wie Gesetztere schwärmen aus und haben sich bald strampelnd im hübsch angelegten Wegenetz verloren.
Die schwedische Insel Ven: Ausflug im Golfcart
Ich überlege, was zu tun ist. Ich bin schlecht vorbereitet. Am Himmel hängen graue Schlieren, es nieselt, und mir fehlt die Funktionskleidung. Auf eine Fahrradtour habe ich herzlich wenig Lust.
Ein paar Schritte weiter parkt die Rettung. Ein Golfcart steht auf einer Einfahrt und dahinter noch eins. Mein Verdacht bestätigt ein Holzschild, das daneben im Boden steckt: Man kann die Mobile mieten. Noch bevor ich irgendwo klingele, kommt ein Mann herbei geeilt. Ulf. Der Vertrag ist schnell gemacht, ich surre los.
E-Mobil mit Dach
Das kleine Dach des E-Mobils über dem Kopf kann mir jetzt nichts mehr passieren. Und schon bin ich offen für die Schönheit der Insel. Ich kurve vorbei an für reetgedeckten Häuschen. Manchmal sind sie aus Stein, manchmal Fachwerk und meist, typisch für Südschweden, in Rot-Weiß gehalten und von Ziergärten umgeben.
Ich fühle mich wie in einem Landschaftpark. Ich komme durch wallende Felder, entlang eines kleinen Waldes, in die Nähe der teils steilen Küste. Und ab und an tauchen schnuckelige, ebenfalls rot-weiß getünchte Leuchttürme auf, die für ihren Zweck viel zu klein erscheinen.
Neidische Radfahrer
Während mich nur ein Golfcart vor einem Stimmungstief bewahren konnte, kommen mir die meist schwedischen Inselgäste im Sattel grinsend entgegen. Darf ich das auch mal haben? Die Schweden steigen höflich ab, sobald es zu eng für alle auf den schmalen Schotterwegen wird, und lassen mich vorbei surren. Für dieses Verhalten gibt es im Schwedischen sogar ein Wort: »undfallenhet«. Man geht Konflikten aus dem Weg, statt sie auszutragen.
Dann fängt es wie aus Kübeln an zu gießen, ein schroffes Lüftchen kommt auf. An den Mimen der Radler ändert sich nichts. Ihre Gesichter sind jetzt zwar von flatterndem Allwettertüll umhüllt, doch die Laune scheint ungetrübt. Ich gleite vorbei an Pappelhainen und sprießendem Getreide, und ich beklage mich über die so langsam am Lenkrad einfrierenden Hände. Mir kommt eine weitere schwedische Regel in den Sinn: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung. Wo sind meine Handschuhe?
Die schwedische Insel Ven gehörte zu Dänemark
Doch ich hätte es wissen können: Über die Winde auf der schwedischen Insel Ven ärgerte sich im 16. Jahrhundert der große Tycho Brahe, der von Friedrich II., König von Dänemark und Norwegen, mit der Insel belehnt war. Diese war vor der Eroberung durch König Karl X. Gustav bis Mitte des 17. Jahrhunderts noch dänisch.
Der Astronom und Feudalherr Brahe, von manch einem als bedeutender eingestuft als alle Kopernikusse und Galileis zusammen, sah seine Instrumente auf dem wackeligen Holzbalkon seines Schlosses Uraniborg nur Humbug messen.
Observatorium unter der Erde
So verlegte er sein Observatorium Stjerneborg unter die Erde. Ich stelle den Golfcart vor den eigenartigen Erhebungen ab. Es sind kleine Rundbauten mit Kuppeldächern, die in den 50er Jahren für den Tourismus wieder aufgebaut wurden. Wie Behausungen einer Zwergenpopulation sehen sie aus.
Um mich über das Schaffen des etwas in Vergessenheit geratenen Astronom kundig zu machen, betrete ich Brahes Souterrain, doch der Erkenntnisgewinn ist marginal. Außer vielleicht, dass es irgendwie wirr scheint, dass einer unter die Erde kriecht, um die Sterne zu beobachten.
Die Fehler des Kopernikus
Mehr erfahre ich in der hübschen Backsteinkirche, die heute als offizielles Brahe-Museum fungiert. Die Schweden entwidmeten das Gebäude kurzerhand, offenbar wird es als Ausstellungsort von Touristen und Hobby-Sterneguckern nun häufiger betreten als zuvor von Gläubigen.
Welche Bedeutung Brahe für die Vermessung des Himmels und der Sterne hat, erzählt mir Museums-Mitarbeiter Martin Alm: »Er fand Fehler in den Vorstellungen von Aristoteles und Kopernikus.« Als erster Mensch behauptete Brahe, das Universum sei nicht statisch, nachdem er 1572 einen leuchtenden Sternentod, eine Supernova, beobachtet hatte. Mehr noch: Noch vor Erfindung des Fernrohrs bestimmte Brahe mit bloßem Auge die Position des Mars bis auf wenige Grade Abweichung von heutigen Messungen.
Urlaub ohne Autolärm und keine Tankstelle
Von Brahes Wirken zeugen auf der Insel nicht viel mehr als ein paar Mauerreste der unterirdischen Beobachtungsstätte und ein Damm, den Brahe anlegen ließ, um Wasser für eine Papiermühle zu kanalisieren. Denn er ließ seine Erkenntnisse in Bücher drucken.
Als ich mit meinem Golfwägelchen weiter gleite, klart der Himmel etwas auf. Und es zeigt sich wie geradezu fabelhaft die schwedische Insel Ven ist. An keiner Tankstelle komme ich vorbei, an keinem Supermarkt, die Zeichen modernen Zivilisation sind überschaubar – abgesehen von einigen Zugeständnissen an den Tourismus wie Campingplatz, kleine Familienhotels, ein Golfplatz.
Hoppelnde Hasen
Doch in Massen hoppeln Hasen mit wippenden Löffeln über die Äcker und zeigen den weißen Popo, Fasane kreuzen flatternd die Wege, ein ein bisschen zu zahmes Reh liegt wie verwunschen in der Ecke einer dieser pittoresken Hecken. Ich stelle mir vor, dass gleich ein Fuchs auf den Hinterläufen um die Ecke kommt und hutziehend grüßt.
Wollen mir die Tiere etwas sagen? Etwa darüber, was in den Häusern passiert, denn außer Fahrradtouristen zeigt sich keine Menschenseele – wo sind sie die 380 Einwohner? Wahrscheinlich trauen sie sich nicht raus in Anbetracht des deplatzierten Mobils, mit dem ich unterwegs bin, und sie haben alles nur den seeligen Radlern verraten. Als die Schwemme der Tagestouristen abflaut, zeigt sich doch noch ein Stück Alltag im Märchenpark Ven. Es hat aufgehört zu regnen.
Liebeserklärung an eine Insel
Wie wachgeküsst führt eine Frau ihre Dackel aus. Ich muss zweimal nachzählen: Es sind tatsächlich fünf, fast identisch aussehende Tiere an ihrer Leine. Ein Sommerhausbesitzer widmet sich der Gartenarbeit, wie so viele der rasenmäherverliebten Südschweden.
»Die Welt ist böse«, hat Tycho Brahe einmal gesagt. Wenn einer das Böse ins Wasser werfe, könne man es an der Bucht abwehren. Das war des Astronomen Liebeserklärung an die Insel, für den es mehr gab zwischen Himmel und Erde als die Wissenschaften. Mein Besuch auf Ven neigt sich dem Ende, und es ist immer noch windig. Schon bald kämpft sich die Fähre durch die grauen Wellen zurück zum Festland.
Informationen zum Besuch der schwedischen Insel Ven
Anreise: Mit der Fähre ab Rostock nach Trelleborg oder über Gedser und Helsingör (beide Dänemark)/Helsingborg mit Scandlines. Die Fähre zur Insel Ven fährt ab Landskrona mehrmals täglich (www.ventrafiken.se).
Unterkunft: Camping in ruhiger Atmosphäre; mieten kann man auch kleine Holzhütten (www.campven.com). Neben wenigen Hotels (etwa www.hven.com) sind Bed&Breakfast/Rum&Frukost (etwa www.holkenven.se; www.marielund-hven.se) sowie Ferienhäuser (www.alltomven.se) populär. Die Website des Fremdenverkehrsbüros: www.landskronaplus.se.
Aktivitäten: Alles rund um den Astronomen unter www.landskrona.se/uppleva-och-gora/kultur/tycho-brahe-museet. Das Museum hat in der Regel zwischen 10 und 16/18 Uhr geöffnet. Fahrradverleih und –reservierung unter www.venscykeluthyrning.se. Wer will, kann die Insel auch im Clubmobil ergründen, wie es die Golfer benutzen. (ulf@venevent.se)
Text und Bilder: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im Januar 2025. Der Autor war auf Einladung von Visit Sweden und Scandlines unterwegs.
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