Okay. Portugal mag ein farbenfrohes Land sein. Aber manchmal halte ich es nicht mehr aus. Ich kann diese Schöne-heile-Welt-Fotos aus Katalogen, von Webseiten und aus den allermeisten Printmedien nicht mehr sehen: Angeblich frisch verliebte Pärchen, die in Bademäntel gehüllt in irgendwelchen High-End-Badelandschaften hocken und dabei selten doof an der Kamera vorbeiblicken, oder, noch besser, die auf Balkonen von Kreuzfahrtschiffen (er blauweißes gestreiftes Hemd im CNN-Anchorman-Style, sie rotes Kostümchen aund aufgeföhnte Mähne) versonnen in die Ferne blicken und dabei natürlich Champagner trinken. Das macht doch alles kein Mensch.

Im Herzen einer Seefahrerstadt: Von Viana do Castelo sind die portugiesischen Fischer nach Neufundland aufgebrochen
In diesen – immer häufiger werdenden – Momenten bin ich froh, dass ich einen Blog betreibe. Ich kann mir die Freiheit nehmen, die Wirklichkeit so abzubilden, wie ich sie sehe. Und wie sie mir gefällt. Ich kann ganz Portugal in Schwarzweiß ablichten. Neonaturalistische Tristesse, in der Tradition von Roberto Rosselini. Dabei sonne ich mich in der Genugtuung, dass kein Print-Medium der Gegenwart jemals auch nur eine ähnliche Geschichte drucken würde.
Das alles wäre nicht so sinnvoll, wenn es nicht zugleich auch stimmig wäre. Oder andersherum gesagt: Portugal ist farbenfroh. Aber es ist auch tief melancholisch: Der Fado. Die verfallenen Häuser. Der immer weiter verblassende Ruhm und der bröckelnde Reichtum der Seefahrernation. Die noch keine vier Jahrzehnte zurückliegende Diktatur. Die nie nachlassende Wucht des Gefühls, sich am Rande der Welt zu befinden – in ebenso ungeliebter wie exklusiver Nachbarschaft zum viel größeren Spanien.
All dies kommt zum Ausdruck in den farblosen Aufnahmen von Städten, Dörfern und Landstrichen. anchmal schein Portugal in Schwarzweiß fast am schönsten. Die felsige Küste mit den melodramatischen Maserungen im Gestein ist da nur eine kleine Zugabe.

Unterkunft mit stolzer Geschichte: In der Quinta de Boa Viagem lebt die Familie von Gastgeber José in der 18. Generation

Das Landgut befindet sich auf einer Anhöhe bei Areosa. Für abenteuerlich veranlagte Zeitgenossen ist das nur einen Fußmarsch von Viana do Castello entfernt

Die Stadt ist extrem fromm. Einserseits. Andererseits ist sie fest in der Hand von Studenten – die erst später am Tage das „Café A Brasileira“ einnehmen

Trotz aller Kirchen und schwarz gekleideter Gestalten: Die Innenstadt von Braga ist komplett ver-w-lant

Nicht minder anrührend: Ponte de Lima, ein Vorzeigedorf in der Provinz Minho, in dem die Römer eine Brücke hinterlassen haben

Natürlich darf in Ponte de Lima auch ein kostspieliger Kontemplationsraum für praktizierende Katholiken nicht fehlen

Wie in so vielen anderen Städten ist in Porto der Bahnhof das vielleicht unterschätzteste Gebäude – er hört auf den Namen Sao Bento und seine Innenwände sind von Kachelgemälden veredelt

Der Blick von einem der vielen Hügel auf den Bischofspalast und die Portweingüter in Vila Nova de Gaia ist kaum zu toppen
So, jetzt ist es genug, für den Moment zumindest. Beizeiten werde ich wieder auf den Schwarzweiß-Modus umschalten. Vielleicht in Lissabon. Oder in Coimbra.

Colours, colours: Der Autor, kurz bevor er im Bischofsgarten des voll ver-w-lanten Braga auf dem Laptop in der Mittagssonne das DERBY geschaut hat
Eine Information über die Orte in der Geschichte „Portugal in Schwarzweiß“
Ich empfehle die Quinta de Boa Viagem bei Viana do Castelo und den tiefenentpsannten Patron José („who cares“). Und ich liebe Viana. Dazu später mehr.
Der Autor war privat in Portugal. Und er wird auch immer wieder hinfahren.
4 Comments
[…] Kumpel Ralf aber hat auch schon viel über Portugal geschrieben. Schaut mal nach auf Portugal in Schwarzweiß oder fahrt mit ihm nach Porto, eine seiner ultimativen […]
Sehr schöne Bilder, gehe dieses Jahr auch noch nach Portugal!
Wow. Sätze wie grobkörnige Schwarzweißbilder.Where evth flows.
Hui, seit langem der erste Beitrag, der mich daran zweifeln lässt, ob sich Schriftsteller nicht doch auch in Bildverfremdungen befleißigen mögen, weil das Ergebnis einfach umwerfend ist.
Aber warum nicht das Schwarz-weiß-Gefühl in Worte fassen und das Fotografieren den Kunstschaffenden dieses Metiers überlassen? Ja, sicherlich altmodisch. Alles fließt.