Michaela ist zuversichtlich bei ihrer ersten Zillertal Mountainbike Challenge. Zwar hat die junge Frau aus Bayern noch nie an einem Mountainbike-Rennen teilgenommen. Aber sie wird es schon bis ins Ziel schaffen, das in drei Tagen auf dem Hintertuxer Gletscher wartet. Guten Mutes nimmt sie gemeinsam mit 350 anderen Radlern den ersten Anstieg in Angriff, der vom Ferienort Fügen hinauf nach Oberfügen führt. Auf steilen Serpentinen spurten die meist drahtigen Athleten den Berg hoch. Zunächst über eine Asphaltstraße, die von saftigen Wiesen gesäumt wird.
Dann über einen Feldweg, der sich durch kühlenden Nadelwald schlängelt. Bis nach der Überwindung von knapp 1000 Höhenmetern das Ortsschild erscheint, das Hochfügen als Etappen-Ort der Deutschlandtour 2008 ausweist. Hier nun steuert Michaela mit ihrem Mountainbike den Zillertal Shuttle an. Die Bergbahn transportiert die Mittdreißigerin in wenigen Minuten zum Hüttenkogel, einem 2384 Meter hohen Gipfel. Die Skistation dient Wanderern als Ausgangspunkt für Exkursionen ins Land von Enzian und Edelweiß. Tagestouristen genießen den Blick auf das ebenso tiefe wie schmale Tal. Michaela aber hat für all das kein Auge. Sie stürzt sich in die Abfahrt. Über grobes Geröll und vorbei an Schneewänden, die in dieser Höhe auch im Juli noch Bestand haben.
Kapitaler Anstiege sind normal bei der Zillertal Mountainbike Challenge
Bald ist das Terrain nicht mehr ganz so unwegsam: Der breiter werdenden Pfad geht in die Zillertaler Höhenstraße über. An der Platzlalm hat eine barmherzige Wirtin gar eine außerplanmäßige Labstation eingerichtet, wo Sportler eilig ein eiskaltes Getränk und ein Brot mit Ziegenkäse abgreifen. Kostenlos. Zeit zum Auffüllen der Energiedepots haben die Pedalleure reichlich, die Abfahrt bis nach Kaltenbach erstreckt sich über noch immer fast 20 Kilometer. Zur Belohnung wartet auf der anderen Seite des Tals erneut ein kapitaler Anstieg: Der Stummerberg, fast 2000 Meter hoch – und ein Hindernis, bei dessen Bewältigung die Sportler ohne technische Hilfsmittel auskommen müssen.
Imre aus Budapest geht auf den Flanken des Berges sparsam mit seinen Kräften um. Er weiß schon jetzt, dass es erst weit nach 17 Uhr den Zielstrich in Zell am Ziller passieren wird. Wenn die Zeitmessung bereits abgebaut und das rituelle Pasta-Essen längst vorbei ist. Der junge Ungar aber hat es dennoch nicht eilig. „Ich liebe die Alpen“, sagt er. „Wo sonst kann man in der Sommerhitze Schnee anfassen.“ Gemeinsam mit ein paar Freunden nimmt Imre schon zum zweiten Mal an dem Rennen teil. Ohne sportliche Verbissenheit, sondern als Tourist, der sich auf dem gut ausgebauten Wegenetz austobt. Der das Panorama des Alpenhauptkamms zu würdigen weiß. Der die deftige Küche Tirols schätzt. Und der nach dem Rennen weder dem Besuch der Fügener Therme noch einem Zillertaler Bierchen abgeneigt ist.
Am Start: Der erste Olympiasieger
Zum Start der zweiten Etappe darf sich Imre gar für eine Weile auf der Siegerseite wähnen. Wie mehr als die Hälfte der Teilnehmer hat er sich für die leichte Variante des Husarenritts durch die hochalpine Bergwelt entschieden: Als „Prince of the Mountain“ schiebt er sein Vehikel heute bereits im Tal in die Kabinenbahn. Während des Transfers zur Rosenalm blickt er auf Bart Brentjens herab. Der Niederländer, im Jahre 1996 erster Olympiasieger in der noch jungen Sportart, bewältigt auch den ersten Anstieg mit Muskelkraft. So wie 142 Konkurrenten, die um den Titel „King of the Mountain“ streiten. Dies scheint der endgültige Beweis, dass wir es hier mit Extremsport light zu tun haben.
Auf 1700 Metern schließlich wird es für alle ernst. Die Bergbahn endet. Die Baumgrenze ist erreicht. Und die Luft wird immer dünner. Bald stoßen die Biker einen kollektiven Fluch aus: In der kargen Landschaft, wo die Alpen ihren ganzen Zauber entfalten, wird der Weg so steil, dass die Muskeln überfordert sind und das ultimative Unwort zur unvermeidlichen Gewissheit wird: Absteigen. Die Almen werden zur Bühne eines seltsamen Schauspiels, bei dem nur die Kühe gelassen bleiben.
Extremsport light: Schneefelder blockieren die Straße
Als das 2500 Meter hohe Kreuzjoch passiert ist, kommt es noch schlimmer: Schneefelder blockieren die Strecke. Der Parcours, egal ob ihn die Akteure als Rennstrecke oder als Wanderweg wahrnehmen, wird zur Strapaze. Zur Belohnung aber wartet in nur wenigen Kilometern Entfernung ein Bergpfad, der sich sanft und mit moderaten Höhenunterschieden an den Gebirgszug schmiedet. Natur und Sportler werden zur friedlichen Einheit – eine alpine Offenbarung für Sportler jedes Fitnessgrades.
Der finale Tag ist gespickt mit Reizen und Tücken. Mit Hilfe von Bergbahn und einem erträglichem Pensum an Pedaltritten wird ein weiteres Skigebiet durchquert, ehe die letzte Abfahrt den Weg nach Hintertux bereitet. Snowboarder schlendern träge in Richtung Bergbahn. Ein an und für sich bizarrer Anblick bei fast 30 Grad. Doch hier wundert sich niemand, denn der Hintertuxer Gletscher ist das einzige Ganzjahresskigebiet Österreichs.
In diesem surrealen Umfeld rüsten sich die Mountainbiker für den letzten Härtetest: Den Weg zum Ferner Haus, der sich durch eine feindselig anmutende Geröllwüste den Berg hinauf schlängelt. Sowohl Michaela als auch Imre und seine Freunde erreichen den Zielstrich, der auf 2660 Metern Höhe. Schon bald aber sind die Strapazen vergessen. „Nun“, sagt Michaela, „mache ich noch ein paar Tage Urlaub“. Geradelt wird allenfalls noch auf dem Zillertal-Radweg. Und der ist flach wie eine Flunder.
Informationen zur Zillertal Mountainbike Challenge
Die dritte Auflage der Zillertal Bike Challenge für Profis und Hobbyfahrer findet vom 1. bis 3. Juli 2011 statt. Das Startgeld inklusive Transfers und Streckenverpflegung beträgt 179 Euro.
Die Mountainbike-Saison im hochalpinen Teil des Zillertals dauert von Ende Juni bis Ende September. Vor Ort gibt es Bike-Strecken mit einer Gesamtlänge von 800 Kilometern. Sie sind umfangreich beschildert und führen von 550 Meter über dem Meeresspiegel bis hoch auf fast 3500 Metern. Hinzu kommen Wanderwege mit einer Gesamtlänge von 1000 Kilometern.
Die „Zillertal Activcard“ ermöglicht preiswerten Zugang ins hochalpine Gelände. Für sechs Tage zum Beispiel kostet sie 38,40 Euro. Inbegriffen ist unter anderem täglich eine Berg- und Talfahrt mit einer von zehn Bergbahnen. Die schmalspurige Zillertalbahn verkehrt im Tal zwischen Jenbach bis Mayrhofen. Auch hier können Räder mitgenommen werden.
Anreise per Flugzeug über den 50 Kilometer Flughafen Innsbruck.
Text und Bilder: Ralf Johnen, aktualisiert Juni 2018. Die Reise wurde teilweise unterstützt von der Zillertal Tourismus GmbH
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