Der kleine Flughafen von Maastricht feiert den Erstflug mit Ryanair nach Dublin. Ein denkwürdiges Ereignis im fortgeschrittenen Zeitalter des Billigflugs.
Ich stehe in einer menschenleeren Abfertigungshalle am Flughafen Maastricht/Aachen. Es ist 7.30 Uhr, gleich starter der Erstflug mit Ryanair nach Dublin. Draußen sind es minus drei Grad. Auf dem pixeligen Monitor sind für heute exakt acht ausgehende Linienflüge vermeldet. Einer davon ist FR8 734 nach Dublin – eine Strecke, die Ryanair heute zum ersten Mal fliegt.
Etwas verloren schreite ich zur Sicherheitskontrolle. Wegen ein paar Ösen in meinem Schuhwerk verweigert mir der Metalldetektor den Durchgang. Eine gelangweilt aussehende Kampfmaschine mit Meckie-Schnitt nimmt mich ins Visier. Mit brachialer Gewalt beginnt sie mit der Abtatstung meines Körpers. Mehrfach zucke ich in Agonie zusammen.
Ryanair verkauft sich als Heilsbringer
Dann ist eine Pressekonferenz anberaumt, die auf dem Provinzflughafen einige Nervosität verursacht. Um der Ankunft des Fliegers auf dem verwaisten Vorfeld beiwohnen zu dürfen, müssen die Journalisten aus der Euroregio ihre Reisepässe (!) von der Koninklijke Marechaussee kontrollieren lassen. Ein Mann verteilt mit wichtiger Miene gelbe Warnwesten. Dann verkündet Marketingleiterin Henrike Schmidt bei ein paar trockenen Muffins, dass die Airline dem schwächelnden Flughafen im kommenden Jahr 550 000 Passagieren bescheren werde. In einem Waschzettel ist außerdem die Rede davon, dass die Stationierung der 737-800 einer Investion von 70 Millionen Euro gleichkomme. Die örtlichen Medien drucken die Zahlen artig ab – schließlich ist Ryanair ja vor allem für seine Seriosität bekannt.
Am Rande des Konferenzraums verweilen seit einiger Zeit drei Models mit weiten Ausschnitten, hohen Absätzen, Ringelstrumpfhosen und blauen Weihnachtsmannmützen. Sie sehen nicht glücklich aus. Aber bis zu ihrem Auftritt haben sie haben eine Galgenfrist, denn der Flieger ist um 40 Minuten verspätet. Gegen 10.15 Uhr überschlagen sich die Ereignisse. Eine Maschine ist im Anflug. Dann rast Feuerwehrwagen über das Vorfeld. Das Blaulicht ist an. Einige der mit Warnwesten ausstaffierten Zuschauer blicken sich verunsichert an. Doch Flughafenchef Sander Heijmann zwinkert: Ist nur eine Eskorte. So anstelle von Feuerwerk.
Auftritt der Bunnys
Jetzt ist der Moment der Bunnys gekommen. Mit gequältem Lächeln stellen sie sich in den eisigen Wind, um sich gemeinsam mit Heijmann ablichten zu lassen.
Auf weitere Zeremonien (Zerstörung einer Champagner-Flasche) wird angesichts der Minusgrade verzichtet. Außerdem hat die Mühle eine Umlaufzeit von nur 25 Minuten. No time for love.
Jetzt geht alles ganz schnell. Wir sollen einsteigen und uns anschnallen. Den Stewards, die heute Wolfgang und Guido heißen, Lose abkaufen, die im Falle eines Gewinns zu Gratis-Flügen mit Ryanair berechtigen. Ich ziehe meine Schlafmaske auf und stopfe mir Ohropax in die Gehörgänge. Unterwegs denke ich mir: Trashiger könnte eine Inszenierung kaum sein.
Erstflug mit Ryainair: Ein Abbild unserer Gesellschaft
Ansonsten aber ist gegen das Ryanair-Prinzip nicht viel zu sagen. Viel mehr handelt es sich um ein genaues Abbild unserer Gesellschaft: Jeder will mobil sein. Und niemand möchte dafür viel bezahlen. Genau diesem Bedürfnis entspricht CEO Michael O’Leary (51). Der Ire ist auf die Provinzflughäfen ausgewichen, um die Kosten für Starts und Landungen zu minimieren und die Umlaufzeiten zu beschleunigen. Er hat die Mahlzeiten an Bord gestrichen. Er quetscht 189 Passagiere in eine 737. Und er hat die Taschen an den Vordersitzen entfernt, damit seine Gäste ihren Müll nicht dort abladen können. Damit hat er die einst selbstzufriedene Flugbranche erst in Panik versetzt und schließlich komplett umgekrempelt. Heute will jede Airline ein bisschen Ryanair sein.
Die Folgen: Airlines gehen pleite. Das Kabinenpersonal wird weltweit nur noch dürftig bezahlt. Aber: Wer sich an die Konditionen hält, das Kleingedruckte liest, früh bucht, mit dem Auto nach Hahn, Weeze oder Maastricht zu fahren bereit ist und darüber hinaus weitgehend ohne Gepäck auskommt, kann für weniger als 50 Euro in die Nähe einer europäischen Metropole fliegen.
100 Gramm Übergewicht? 50 Euro
Es ist ja nicht Michael O’Leary, der die Menschen dazu zwingt, den sogenannten Lowcost-Carrier zu wählen. Es sind die Kunden, die nicht klimafreundlich reisen wollen und die mit ihrer Kaufentscheidung dafür sorgen, dass das Kabinenpersonal im Durchschnitt nur 25 000 Euro pro Jahr verdient. O’Leary hat es lediglich perfekt raus, die Medien zu instrumentalisieren und seine Kunden auszubeuten. Wann immer er ankündigt, dass in seinen Maschinen künftig Stehplätze angeboten werden, oder dass er auf den Co-Pilot verzichten möchte, kommt er damit auf die Seite 1 der Zeitungen. Und wenn die Passagiere sich nicht anständig auf den Flug vorbereit haben, zockt er sie gnadenlos ab.
Dazu eine Anekdote: Beim Rückflug wiegt mein Koffer 10,1 Kilo. Bei der Überschreitung um ein Prozent lässt die Dame am Check-in Gnade vor Recht ergehen. Auch eine Kollegin hat ihren Koffer ohne Beanstandung aufgegeben. Allerdings hat sie im Terminal zwei Packungen Schokolade für 20 Euro gekauft. Als sie diese in einer Plastiktüte mit an Bord nehmen will, schreitet das Personal ein. »Geht nicht. Steht in den Richtlinien. Kostet 50 Euro. Tut mir leid.« Die Kollegin ist so perplex, dass sie nicht etwa die Schokolade verteilt, sondern die Strafgebühr entrichtet. Zurück in Maastricht stellt sie dann fest, dass ihr Koffer nicht mitgekommen ist. Darin befanden sich ihre einzigen Nachtkontaktlinsen. Eine Spezialanfertigung. So bleibt ihr erstmal nur die 70 Euro teure Schokolade.
Mit dieser Art der Geldmache hat es Michael O’Leary auf geschätzte 300 Millionen Euro gebracht. Dabei bekundet er, der stets betont schlecht gekleidet unterwegs ist, dass es ihm nie ums Geld gegangen ist. Nein, er will mit seinem kleinen irischen Unternehmen den Franzosen, Briten und Deutschen eine Lektion erteilen. Die Welt sollte froh sein, dass O’Leary kein Politiker geworden ist.
Informationen zum Erstflug mit Ryanair
maa.nl, discoverireland.com
Text und Bilder: Ralf Johnen, Dezember 2012. Der Autor ist vom irischen Tourismusbüro Discover Ireland zum Erstflug mit Ryanair nach Dublin eingeladen worden
2 Comments
unfassbar und leider Wirklichkeit. Man wünscht sich weniger dumme, gierige Menschen. Oder irgendeine Naturgewalt, mehr Vulkanasche oder sowas, auf jeden Fall etwas, dass den Menschen zur Besinnung zwingt. Denn die Leute, die Ryanair und Co. nutzen und ach so viel Sparen, „reisen“ eh nur in die „Top-Metropolen, um dort in den Multiketten einzukaufen, zu essen und zu schlafen, die es zuhause auch gibt. Schöne neue Welt.
Wie schön, dass hochhackiger Sexismus immernoch so In zu sein scheint.