Nach links oder nach rechts? Diese Frage wissen wir nicht schlüssig zu beantworten. Wir blicken auf unfertig aussehende Häuser, die an sanft abfallenden Hängen stehen. Wir staunen über Bananen, Bougainvilleas und Bromelien. Doch einen Wegweiser suchen wir an der Kreuzung vor uns vergeblich.

Nichts geht über eine frische aufgeschlagene Kokosnuss in einem tropischen Bergdorf
Dafür entdecken wir einen Mann mit einer Machete. Es ist das Signal für uns zum Aussteigen, denn es handelt sich um einen Straßenhändler, der mit viel Präzision Kokosnüsse aufschlägt.

Die Kids in den Bergen von St. Lucia sind auch am Sonntagmorgen neugierig
Im Hochland ein Rastafari
Während wir zwei Früchte erwerben, gibt sich der Straßenhändler wortkarg. Doch lange bleibt es nicht still hier oben im Hochland von St. Lucia. Dafür sorgt ein Typ in Baggy-Pants und einem zitronengelben T-Shirt, der sich als Roger vorstellt.

Anfangs hat Roger seine Haare unter einer Mütze versteckt
Alle anderen äußeren Erscheinungsmerkmale freilich verblassen neben seiner Haarpracht: Roger ist Rastafari und seine Locken reichen fast bis zu den Knöcheln.

High Five im Hochland: Roger und der Autor
Was uns ausgerechnet hierhin treibt, fragt Roger neugierig. Schließlich würden die meisten Touristen nur an den Stränden abhängen, oder allenfalls mal diese Zipline austesten, die sich weiter hinten im Regenwald befindet. »Nun ja«, entgegnen wir zaghaft, »wir wollten nur mal schauen, wie die Leute hier wirklich leben«.
Kühler als die Küste von St. Lucia
Mittlerweile hat sich ein kleiner Menschenpulk an der Kreuzung gebildet. Wir lernen, dass es links nach Babonneau geht. Und wo wir jetzt stehen, das gehöre schon zu Fond Assau, ziemlich genau auf der Mittelachse der Insel, wenn wir so wollten. Tatsächlich, sagt Roger, sei es im Hochland von St. Lucia kühler als an der Küste.

Der Blick reicht bis zur Nachbarinsel Martinique
Zwei, drei Grad vielleicht. Außerdem gehe meist ein Wind. Genug Argumente, um Tag für Tag den Weg zurückzufinden von der Marigot Bay, einer dieser palmengesäumten Traumbuchten, auf welche die Touristen so abfahren, und wo er, Roger, eine Lizenz als Strandverkäufer besitze.

Rogers Arbeitsplatz: Der Strand von Marigot Bay
Ein Job, für den Roger in seinem Wohnort Respekt erntet. Schließlich habe er es als einer der wenigen von hier geschafft, von den zunehmenden Besucherzahlen zu profitieren. Und sei es nur, indem er Kühlschrankmagneten und anderen Nippes verkauft. Hochwertige Arbeitsplätze seien eben immer noch rar auf dem Eiland, das als eigenständiger Staat zum britischen Commonwealth gehört.

Unerfreuliche Kundschaft: bleichhäutige Sauftouristen mit eigenem Gefährt
Spiritualität und Leidenschaft
Zum Abschied empfiehlt uns Roger noch ein paar Meter weiterzugehen, da könnten wir noch ein Stück authentisches Karibikleben mitnehmen. Es ist Sonntagmorgen – und schon nach wenigen Schritten hören wir, was er meint: Aus einer unscheinbaren Baracke dringen Gospelgesänge nach draußen.

I see faces – St. Lucia edition
Ein Gottesdienst. Als uns eine Frau in einem roten Kleid erblickt, winkt sie uns herein. Wir werden Zeugen leidenschaftlich praktizierter Spiritualität. Oft sind es eben die einfachen Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben. Vor allem an Orten, wo die Tourismusindustrie ihre Macht auszuspielen versucht.

Immer wieder schön: der Markt von Castries, der Hauptstadt von St. Lucia
So ist es auch in der Inselhauptstadt Castries, die dank ihres sicheren Naturhafens gerne von Kreuzfahrtschiffen angesteuert wird. Während am Terminal eine trostlose Shopping-Mall zum Geldausgeben auffordert, wartet nur wenige Hundert Meter weiter authentische Karibikkultur.

Auf dem Markt die Farben der Karibik
Diese kulminiert am Central Market, wo sich Muskatnüsse, Chilischoten und Gewürzmischungen auftürmen, wo Obsthändler verlockend frische Ware anbieten und wo ansonsten mit allem gehandelt wird, was in den schickeren Geschäften der Gegenwart für die Allgemeinheit unerschwinglich geworden ist.

Der Katholizismus lebt auf St. Lucia
Nationalheld Derek Walcott
Außerhalb des Marktes prägen enge Gassen und halbherzig gepflegte Kolonialbauten das Gesicht der Kapitale, in der rund ein Drittel der 165 000 Inselbewohner leben. Der zentrale Platz ist nach dem mutmaßlich ruhmreichsten Bürger benannt, den St. Lucia je hervorgebracht hat: Derek Walcott, dem im März 2017 gestorbenen Literaturnobelpreisträger, der mit seinen Versepen das Karibikbild und das Selbstverständnis ihrer Bewohner wie kein anderer in Worte gefasst hat. Unter einem Regenbaum, der angeblich 400 Jahre alt ist, erinnert ein Schild an die Verdienste des Nationalhelden.

Ein Literat als Nationalheld: Nobelpreisträger Derek Walcott
Bekannter als der Dichter sind im Rest der Welt wohl nur die Pitons, zwei erloschene Vulkane, die dem Südwesten der Insel eine unverwechselbare Silhouette verleihen. Mehr als 700 Meter hoch ragen die Gipfel in den Himmel.

Komplizierte Anreise auf St. Lucia: Wo ging es hier noch zu den Pitons?
Und da die Zwillingsberge sich in unmittelbarer Nähe zur Küste aus dem Karibischen Meer erheben, ist der Aufstieg durchaus eine Herausforderung.
Früh morgens am Fuße der Pitons
Gegen 7 Uhr stehen wir am Fuße des Gros Piton, wo uns Cynthia in Empfang nimmt. Die Mittdreißigerin ist auf der Insel geboren, begleitet fast täglich Touristen den Berg hinauf – und ist entsprechend drahtig. Als wir den Weg in Angriff nehmen, ist es mit 24 Grad noch vergleichsweise kühl.

Um 7 Uhr morgens ist es mit 24 Grad noch recht kühl am Fuße der Pitons
Durch dichten Regenwald bahnen wir uns den Weg nach oben, meist über einen gut sichtbaren Trampelpfad, der an kritischen Stellen durch Zäune gesichert ist, manchmal aber auch über nackten Stein.

Die Steigung zum Gipfel ist, nun, erheblich
Auf dem Weg zum Gipfel der Pitons
Wir haben vier Liter Wasser pro Person im Rucksack, dazu ein wenig Kuchen und ein paar Mangos. Als wir nach knapp drei Stunden den Gipfel erreichen, sind wir klatschnass. Zwar steht die Sonne noch lange nicht im Zenit, doch die körperliche Anstrengung ist beträchtlich. Dafür wartet oben in 770 Metern Höhe ein beeindruckender Ausblick, der an diesem klaren Tag sogar bis zur Nachbarinsel St. Vincent reicht.

St. Lucia ist bis heute vulkanisch
Am Abend können wir den Umriss der Pitons trotz des Mondlichtes allenfalls erahnen. Wir sitzen im Restaurant des Crystals, das gleichfalls nicht ohne Strapazen erreichbar ist.

Tropischer Abend im Baumhaus: das Restaurant des „Crystals“
Das kleine Resort nämlich schmiegt sich an die Hügellandschaften im Norden des Städtchens Soufriere an, wo der Ausblick auf die beiden Gipfel tagsüber besonders reizvoll ist. Doch die letzten Meter hinein in den Regenwald sind steil und ruppig. Sie können nur mit Hilfe eines Allradwagens absolviert werden, dessen Fahrer sich als Hasardeur erweist.

Am Abend ein wenig Melodrama: Sonnenuntergang auf St. Lucia
Menü in einem Baumhaus
Der Lohn für die Mühen ist ein spektakulärer Abend. Das Crystals nämlich ist kein gewöhnliches Hotel mit einem banalem Restaurant. Viel mehr steigen die Besucher nach der Ankunft über eine Treppe hinauf in die oberen Gefilde einer kleinen Mangobaumplantage, wo sich auf zahllosen Holzpanelen ein Baumhaus ausbreitet.

Manche Szenen traut man sich kaum zu fotografieren, sie gehören gemalt
Während der vom Rum scheinbar leicht beduselte Patron das Piano betätigt, erzeugen Kerzenlicht und von innen beleuchtete Masken eine fast schon unwirklich anmutende Atmosphäre. Dazu wird ein Menü mit kreolischen Gerichten serviert, wie Hühnchen mit Kokosnusssauce und Rum.

Mein persönliches Highlight auf St. Lucia: die Übernachtung im Hotel Anse Chastanet
Zum Abschluss unserer einwöchigen Tour über die Insel leisten wir uns ein absolutes Highlight: Zwei Nächte im Hotel Anse Chastanet. Das Resort liegt am Nordende der Soufrière Bay auf einer steil abfallenden Klippe, zu deren Füßen sich eine Badebucht ausbreitet, die allen Karibik-Klischees gerecht wird. Schnorchler und Taucher nutzen sie als Einstieg für Unterwassertouren. Verliebte Pärchen hingegen dinieren bei Kerzenschein am Strand.

Kunst in den Gemächern des Hotels Anse Chastanet
Das alles wäre vielleicht nicht weiter erwähnenswert, wenn es da nicht diese freistehenden Bungalows gäbe. Diese kommen ohne Fernseher und ähnliche Geißeln der Zivilisation aus. Ja, sogar auf Fensterscheiben haben die Bauherren verzichtet.

Einen hammer noch
So fällt der Panoramablick direkt auf die Vorzüge des Eilands: Regenwald im Vordergrund und dahinter die besagte Bucht von Soufrière, aus der sich die Pitons erheben. Die optischen Eindrücke werden vom Konzert der Tropenvögel orchestriert. Einzelne Solisten wagen sich gar ins Zimmer hervor.
Informationen über St. Lucia
Allgemeine Auskünfte auf der Webseite der Insel oder www.jetzt-saintlucia.de
Anreise nach St. Lucia
Mit Condor/Thomas Cook ab diversen Flughäfen in Deutschland via Manchester, etwa 900 Euro pro Person
Übernachten
Die Unterkunftsmöglichkeiten sind vielseitig. Eher simpel: Coco Beach Resort in Rodney Bay ab etwa 100 Euro pro Zimmer und Nacht.
Unvergesslich: Anse Chastanet bei Soufrière ab 370 Euro. Eines der coolsten Hotels, in dem ich je gewesen bin – und das nicht nur zum Übernachten auf St. Lucia.
Extravagant: Das Crystals ab etwa 200 Euro.
Mietwagen
zum Beispiel über Auto Europe (www.autoeurope.de) ab etwa 350 Euro pro Woche
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