Wir sind Rick dankbar: Er schleicht nicht über den Freeway. Er kommt ohne Navigationsgerät aus und gerät so auch nicht in Versuchung, falschen Kommandos aus dem Orkus zu erliegen. Und er duldet sogar, wenn wir in seinem Bus Bier trinken. Kurzum: Er fährt uns auf höchstem Niveau durch den Süden von Texas. Dabei lernen wir auch das versteckte Nightlife von San Antonio kennen.
Rick wiegt bei einer Körpergröße von knapp 1,80 um die 135 Kilo. Sagt er. Er ist Body Builder und er kennt sich gut aus in San Antonio. Also rät er uns davon ab, den Abend „downtown“ zu verbringen. Der Riverwalk, der die zweitgrößte Stadt des Bundesstaats von allen anderen amerikanischen Städten abhebt, sei zwar ganz hübsch, wenn man ihn noch nicht kenne. Aber das Nachtleben, nun ja, das sei in den Cafés und Bars eher „slow“. Wenn wir was erleben wollten, würde er uns mitnehmen in ein ungentrifiziertes Industriegebiet am nördlichen Stadtrand, da gebe es zwei Clubs, die schon witziger seien. Und er sei ohnehin da, weil er seine Kumpels trifft.
Auftakt mit rotem Schnaps
Nachdem wir mit drei eimergroßen Margaritas und ein wenig Ceviche vorgeglüht haben, beginnen wir in „Sparky’s Pub„, wo noch nicht viel los ist. Rick kennt den Besitzer, der uns abseits der leeren Tanzfläche umgehend mit roten, süßen Schnäpsen versorgt. Ricks Kumpels sind von auffallend ähnlicher Statur wie er. Aber es ist halt nichts los, also wechseln wir ins Pegasus. Kurz vorher kaufe ich mir noch ein Dos Equis, das ich diskret in der Hosentasche verstecke. Auf halben Weg über die Straße schnappt ein Türsteher zielsicher zu. Ich kommentiere das nicht.
Drüben geht schon mehr. Geübte Karaoke-Interpreten verdingen sich auf der Open-Air-Bühne. Abercrombie-Jungs ohne Abercrombie-Oberteile kümmern sich um den Service. Ich ertappe mich dabei, wie ich einen rötlichen Gelee-Fladen inhaliere, dessen Inhaltsstoffe mir nicht bekannt sind, von denen mir bei späterer Rückfrage aber versichert wird, dass es sich nebst Farbstoffen und Bindemitteln ausschließlich um Alkohol in festem Aggregatszustand handelt. Auch die Coronas sind günstig.
Nightlife in San Antonio: Weiter geht es mit Gelee-Fladen
Ein Mitglied unsere Gruppe fühlt sich an unseren Japan-Aufenthalt erinnert, was übersetzt bedeutet, dass er sich auf die Karaoke-Wartelist setzen lässt. Seine Wahl fällt auf „Sexes on Fire“ von Kings of Leon. Gewagt. Aber er macht das souverän. Das Publikum applaudiert. In meinem Leben nicht hätte ich mich in meinem Zustand auf eine Bühne gestellt. Langsam geraten die Dinge außer Kontrolle. Nach dem dritten Gelee-Fladen will ich Zigaretten kaufen.
Ich füttere einen alt aussehenden Automaten mit Dollar-Noten, die der Automat gerne nimmt, allerdings ohne die erwartete Gegenleistung. Ich erkundige mich an der Bar, wie man solche Dinge in Texas klärt, doch der Typ meint trocken, dass die Kiste leider nicht zum Hausinventar gehöre und innerhalb der nächsten 48 Stunden wohl auch niemand vorbeischaue, der sich meines Anliegens annehmen könnte. „Nun“, sage ich, „da kann man wohl nichts machen.“
Die schönsten Drag-Queens von San Antonio
Mittlerweile hat ein zweites Mitglied der Gruppe das Podium erklommen, irgendetwas von Blondie. Sie zieht eine ziemliche Show mit gut choreographierten Hüftschwüngen ab, und das Publikum zeigt sich abermals erkenntlich. Bald wird die Gruppe kleiner, die Müdigkeit. Derweil bringen sich auf einer weiteren Bühne die schönsten Drag-Queens der Stadt für einen von Disco-Sounds begleiteten Cat Walk in Stellung. Rund ein Dutzend kunstvoll aufgebrezelter Gestalten konkurrieren um den Titel der schönsten ihrer Art. Die nunmehr auf kurzem Dienstweg vertriebenen Drei-Dollar-Margaritas verfehlen ihre Wirkung nicht. Ich weiß noch, dass wir mit ein oder zwei Drag-Queens ins Gespräch gekommen sind, aber an den Inhalt der Konversation kann ich mich nicht erinnern.
Wir haben keine Ahnung wo Rick und seine Kumpels abgeblieben sind. Nicht ohne die nötige Bettschwere begeben wir uns abermals auf die andere Straßenseite. Keine Spur von Rick, aber dafür ist die Musik inzwischen gut. Wir tanzen für einen unbestimmten Zeitraum. Eingedenk der Tatsache, dass das Programm am kommenden Morgen (8.30 Uhr) die Besichtigung irgendwelcher Missionsbauten vorsieht, beschließen wir gegen 3, dass ein Taxi jetzt nicht schlecht wäre. Leider vergessen wir zwei Mitglieder der Gruppe, als wir zurück nach downtown fahren.
Am nächsten Tag beschweren sich die beiden bitterlich. Und zurecht, denn sie hatten kein Geld mehr und mussten die drei Meilen zu Fuß gehen. Mitten im ungentrifizierten Industriegebiet hat der eine kurz auf einer Bank Platz genommen, um eine Angelegenheit mit seinen Schuhen zu regeln. Dabei wurde er von einer Kolonie Feuerameisen angefallen. Wenn die Situation richtig überliefert ist, und daran zweifle ich nicht, wurden seine Schmerzbekundungen vom Mitlaufenden mit einem kaltherzigen „shut up“ beantwortet. Der betroffene Unterschenkel schwoll etwa 24 Stunden danach derart an, dass der betroffene Kollege zur Linderung der Schmerzen nach eigener Aussage eine Nacht in einer mit kaltem Wasser gefüllten Badewanne verbracht hat.
Der nächste Morgen muss hart gewesen sein für die Kollegen. Ich habe mich vorab mit Migräne entschuldigen lassen, oder um genauer zu sein, ich habe das erste Holland-Spiel der EM geschaut. Das war auch nicht schön. So habe ich verpasst, … (hier endet die Geschichte aus Gründen der Diskretion). Rick jedenfalls war um 8.30 Uhr einsatzbereit. Ein guter Mann. Ich sage es ja.
Informationen zum Nightlife in San Antonio
Text und Bilder: Ralf Johnen, aktualisiert im Mai 2021.
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