Neukölln ist der vielleicht hipste Stadtteil Berlins. Doch das Viertel pflegt seinen Ruf, unzugänglich zu sein. Nicht ohne stolz bleibt Neukölln dreckig.
Trashig, rau, mietbillig: Das war der Ruf Neuköllns noch bis vor Kurzem. Doch längst ist der Begriff Gentrifizierung im allgemeinen Wortschatz der Einwohner gelandet, und Wohnraum wird teuer. Denn der Berliner Stadtteil ist hip, neue Gesichter tauchen auf und bleiben. Studenten, Künstler und Wohlhabendere sind die Gentrifier. Auch Touristen bekommen in Flugblättern einen auf den Deckel.
Der Humor bleibt nicht auf der Strecke
An Hauswänden, Plakatwänden und Litfaßsäulen finden sich Indizien. Es rumort unter den Alteingesessenen – in Rixdorf, dem sich aufwertenden Schillerkiez nahe des stillgelegten Berliner Flughafens Tempelhof und anderswo. Bei allem Ernst bleibt der Humor nicht auf der Strecke, manchmal zumindest. Ein fotografische Spurensuche in einem sich wandelnden Stück Großstadtdeutschland.
Künast fletscht die Zähne: Vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin im Jahre 2011 startete eine Initiative gegen Mieterhöhungen eine Plakataktion. Sie nannte sie die Wahlkampf-„Fressen“
Gegenmittel sind vorhanden
Wenn Wohnraum teuer wird, gibt es einfache Gegenmittel. Nachzulesen an dieser Hauswand im Schillerkiez…
… doch wenn alles nichts hilft, ruft man schon einmal zu drastischeren Maßnahmen auf wie dem Abfackeln von Autos. Das soll Investoren abschrecken
Leiser Widerstand gegen den Dreck in Neukölln
Zur Abwertung Neuköllns trägt auch die viele Hundekacke auf den Bürgersteigen bei. Der Neuköllner führt gern seinen Kampfterrier Gassi, lässt ihn Geschäfte verrichten und rührt aus sakralem Respekt das Ergebnis nicht mehr an. Aber es regt sich leiser Widerstand wie in diesem Fenster.
Ebenfalls spezifisch, wenn auch noch nicht ein ausgereiftes Parteiprogramm sind diese Forderungen an einer zur Streetart-Spielwiese umgewidmeten Plakatwand in der Böhmischen Straße
Legale Rauschmittel
Immerhin Gras wird angebaut in Neukölln – wie auf dieser Telefonzelle in der Mareschstraße (Dazu eine Kurzanekdote: Die Wohnung über unserer in der Schudomastraße wurde einmal als Hanfplantage zweckentfremdet. Die Mieter wohnten dort nicht und hatten den ganzen Boden mit Planen ausgelegt, auf denen sie Cannabis züchteten. Dann bekam die Decke in meinem Bad braune Flecken – ein Wasserschaden durch die Bewässerungsanlage für den Drogendschungel zwei Meter über mir. Die Sache flog auf, als die Handwerker anrückten)
Legale Rauschmittel werden hier verköstigt, wenn auch kräfteraubende 24 Stunden am Tag. Manchmal glitzert das Pils in der Morgensonne auf den Tischen. Die Lieblingskneipe der neuen Gesichter Neuköllns ist das »Zum stumpfen Eck« nicht. Eher was für dienstalte Kiezkenner…
… und die wehren sich, wie diesem, an eine Scheibe geklebten Flugblatt zu entnehmen. Man beachte das Siegel unten rechts.
Neukölln wird teuer
Weniger Aufruf als Abgesang im Ikea-Duktus ist dieser Tag an einer Rutsche auf dem Spielplatz am Weichselplatz
Teuer wird Berlin vor allem für die, die kein Geld verdienen. In Neukölln liegt die Arbeitslosenquote nach offizieller Statistik bei über 18 Prozent. Beim amtsschimmeligen Dienstleistungs-Wanna-be namens Arbeitsagentur fühlt sich mancher offenbar nicht so richtig aufgehoben
Dieser Mann arbeitet noch, wenngleich er seinen patinaüberzogenen Betrieb in der Mareschstraße wegen Krankheit gerade geschlossen hält. Hätte er geöffnet, wäre vielleicht…
… dieses Paar auf seinem Tisch gelandet. So aber steht das spitze Schuhwerk seit Tagen auf einem Stromkasten am Eingang der Bartastraße.
Niedrige Lebenshaltungskosten?
Die Lebenshaltungskosten gelten als niedrig in Neukölln – das macht den Stadtteil attraktiv. Aber nicht jeder Dumping-Kurs wird akzeptiert. Diese Sandalen und Puschen liegen in einem Gemischtwarenladen in der Schudomastraße, der hautsächlich Pokale verkauft, unverückt in der Auslage – seit Jahren.
Ominös bleibt dieses Geschäft, wenn es denn eines ist. Das Schild zumindest wirft Fragen auf, während.
… der Deal in diesem Laden auf der Karl-Marx-Straße klar geregelt ist: Alles kostet einen Euro.
Und schon für 7,99 Euro werden in diesem kulturimperialistischen Barbierhandwerksgeschäfts auf der Flughafenstraße pfiffige Herrenfrisuren angefertigt. Aus Gründen wie solchen und weil…
… es ein Kleinod wie den Comeniusgarten an der Richardstraße zu bieten hat oder den.
… Britzer Garten mit manchmal wahrlich impressionistische Szenen und im Frühjahr ein….
… Tulpenmeer, das dem niederländischen Keukenhof alle Ehre macht, ja aus diesen Gründen….
… feiert die ganze Welt Neukölln, wie die „Bild“-Zeitung titelte – Szene im S-Bahnhof Sonnenallee
Ob die ganze Welt ein Auge hat für diesen aus Kork gefertigten Street-Yogi, den ein Yoga-Lehrer als seinen Beitrag zur Streetart aufgestellt hat, darf bezweifelt werden
Reinigung auf der Karl-Marx-Straße
Und trotz solcher Reinigungsaktionen auf dem Rathausvorplatz an der Karl-Marx-Straße…
… wird Neukölln wohl noch ein bisschen dreckig bleiben, wie dieses Stillleben auf dem Böhmischen Platz ebenso zeigt wie…
Weitere Informationen über Neukölln
Schau auf die Homepage von Visit Berlin, die dem Stadtteil einige Aufmerksamkeit widmet.
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