Eine Schiffstour mit der MS Otto Sverdrup entlang der norwegischen Küste ist ein unvergessliches Erlebnis. Besonders spannend aber ist es, mit Hurtigruten im Winter von Bodø nach Kirkenes zu fahren.
Wir zerren unsere Rollkoffer über einen Eispanzer, der gerade von strömendem Regen geflutet wird. Rückenwind beschleunigt unseren Gang geringfügig. Nach einer Viertelstunde erreichen wir den Fähranleger. Es ist Ende November, wir befinden uns im Norden Norwegens und wir freuen uns auf unseren Trip mit Hurtigruten von Bodø nach Kirkenes (klicke hier, um über meine Erlebnisse in Kirkenes zu lesen). Das Licht ist diffus zum Auftakt unserer Tour mit Hurtigruten im Winter, obwohl die Uhr halb zwei am Nachmittag anzeigt. Und wir sind glücklich, dass wir die MS Otto Sverdrup erreicht haben. Das Flaggschiff der Hurtigruten wird uns die nächsten Tage beherbergen und bis an die russische Grenze bringen.
Unbürokratischer Check-in
Der Check-in im Bauch des Schiffes verläuft unbürokratisch. Ein Ausweis. Eine Kreditkarte. Keine Paranoia. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Bald stehen wir in unserer Kabine. Noch bevor der Kahn um 15 Uhr ablegt, inspizieren wir Deck 7: Zwei Hot Pods, ein Pool. Keine Passagiere. Eine schöne Vorstellung, aus dem Whirlpool auf die Hafen- und Universitätsstadt zu blicken, hinter der sich schneebedeckte Berge aufbauen, die vereinzelt von Skipisten durchzogen werden.
Als um 15 Uhr das Schiffshorn ertönt, konstatiere ich zu meiner Verwunderung: Es ist heller geworden. Nur eine Nuance, doch kurz bevor sich der Tag endgültig verabschiedet, ist die Wolkendecke aufgerissen. Fragmente der Dämmerung sind zu sehen.
Als die MS Otto Sverdrup ausläuft, nehmen wir auf Deck 8 Platz. Umgeben von Panoramafenstern, mit Ohrensesseln und in Gesellschaft einiger anderer Passagiere, die versonnen nach draußen blicken und sich das Ihre zu der urban-arktischen Umgebung denken.
Seit 1893 schon haben die Hurtigruten diesen abgelegenen Teil Norwegens erschlossen. Die heute aus zwölf Schiffen bestehende Flotte transportiert Waren, Autos und schon seit den Anfangstagen auch Touristen.
Mit Hurtigruten zu den Lofoten
Während die Natur in Kanada oder Russland oberhalb des Polarkreises den rauen klimatischen Bedingungen nur mit einer tundraartigen Vegetation zu trotzen vermag und Permafrostboden die Erschließung fast unmöglich macht, versorgt der Golfstrom die Küste Norwegens mit immerhin so viel Wärme, dass das Meer nicht zufriert.
Die MS Otto Sverdrup nimmt Kurs auf die Lofoten. Ein altes Traumziel von mir, weil hier gigantische Kolonien von Papageientauchern leben. Die Inselgruppe liegt etwa vier Fahrstunden in nordwestlicher Richtung. Es ist zugleich die längste Strecke, die über offenes Meer führt.
Windstärke 8 bis 9 bei den Hurtigruten im Winter
Ich starre schon seit einer Stunde in Richtung Süden, wo die Bergrücken immer noch ein bisschen Licht abbekommen. Zaghaft und blass, als wollte die Sonne noch einmal leise an ihre Vorzüge erinnern, ehe sie sich in wenigen Tagen zum letzten Male in diesem Jahr zeigt. Ich schrecke erst auf aus meiner Lethargie, als sich das Bordpersonal mit der Ansage meldet, dass es ruppig wird in den kommenden Stunden: Windstärke 8 bis 9.
Es ist unsicher, ob wir im Hafen von Stamsund werden anlegen können. Tatsächlich geht es anständig rauf und runter. Im Panoramadeck wird es leer. Ein anglophoner Kreuzfahrer mit Rauschebart kann sich bei der Flucht in seine Kabine nur an der Außenfront entlanghangeln. „I lost my sense of balance“, sagt er entschuldigend.
Dramatische Veränderungen auf den Lofoten
Doch gegen 19 Uhr können wir anlegen bei unserer Tour mit Hurtigruten im Winter. An Land wartet ein Bus. Trotz Dunkelheit und Schneedecke wirkt der Ort nicht sonderlich abgelegen. Wir fahren vorbei an hell erleuchteten Häusern. Bald passieren wir ein Autohaus und ein Fitnessstudio. Und wir erahnen, dass wir teuere Tunnels durchqueren und über hochpreisige Brückenbauwerke passieren.
Kristian ist an Bord gekommen, um uns ein wenig über seine Heimat zu erzählen. „Die Lofoten“, sagt er, „haben sich in den vergangenen 30 Jahren dramatisch verändert“. Die einst so abgelegenen Inseln sind heute untereinander und mit dem Festland verbunden. Bis zur nächsten Stadt nach Närvik aber bleiben es weit über 300 Kilometer. Trotz aller neuer Infrastruktur aber ist das Leben in seinen Grundfesten traditionell geblieben. Von Dezember bis März ist Fischfangsaison. „Früher“, sagt Kristian, „kamen bis zu 25 000 Männer hierhin, um ihr Glück zu suchen.“
Skrei und Stockfisch
In diesen Monaten hat das Wasser genau die richtige Temperatur für den arktischen Dorsch, den die Norweger Skrei nennen. Einst kam der Fisch in rauen Mengen vor, doch der Mensch hat es beim Fang auch hier übertrieben. Nun gelten strenge Quoten. Auch die nunmehr nur noch 2000 zugelassenen Fischer kommen auf ergiebige Quantitäten. Der Kabeljau wird zu Stockfisch verarbeitet. Eingeweide raus, dann für acht bis zehn Wochen auf die Holzgestelle, denen er seinen Namen verdankt.
Danach ist er bis zu zehn Jahre haltbar. Er wird nach Italien exportiert, nach Portugal und sogar bis nach Nigeria, wo die Menschen ihn mit einigem Aufwand zubereiten: Bis zu eine Woche wässern, klopfen, dann kochen und schließlich braten oder frittieren. „Kein Fast Food“, sagt Kristian lakonisch.
Mit Hurtigruten zu den Lofoten: Keine Kreuzfahrtillusion
Rund 35 000 Menschen leben auf den Lofoten. Der Fischhandel ist noch immer der wichtigste Wirtschaftszweig. Doch der allgemeine Wohlstand des Landes hat das Leben hier auch im langen Winter um einiges erleichtert. Überhaupt scheint die Jahreszeit hier nicht als Last wahrgenommen zu werden: „Wir kochen. Wir pflegen Traditionen. Wir spielen.“ Und die Lofoter freuen sich über die Passagiere der Hurtigruten, die Abend für Abend das Wikingermuseum besuchen.
Der längliche Holzbau befindet sich auf einer Anhöhe mitten in der Pampa. Er ist mit allerlei Memorablia ausstaffiert: Fischskelette, Brettspiele, Werkzeuge. Die Gäste der Hurtigruten gruppieren sich um ein Lagerfeuer. Hier wird ihnen keine Kreuzfahrtilllusion verkauft. Viel mehr können sie sich einen groben Eindruck verschaffen, wie das Leben im hohen Norden früher einmal war.
Das gilt auch für das Essen: Lammhaxe mit Gerste, Kohlrabi und Moltebeerenkompott. Alles Zutaten aus der Region. Dazu wird Met getrunken. Nach Ende der Mahlzeit fahren wir zurück zum Schiff, das mittlerweile weitergefahren ist nach Svolvaer, dem größten Ort der Insel. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, die Lofoten, wo ich solange hinwollte, wieder zu verlassen.
Nächtlicher Besuch im Trollfjord
Zurück an Bord aber wartet Entschädigung. Die Finnmarken nämlich passiert auf dem Weg nach Norden den Trollfjord, eine zwei Kilometer tiefe und nur 60 Meter breite Meereseinbuchtung, die an beiden Seiten von bis zu 1000 Meter hohen Bergen flankiert wird. Die nahende Ankunft wird an Bord mit Fischküchlein und Punsch regelrecht zelebriert. Dazu gibt der Mond sein Bestes, den Fjord zu erleuchten.
Doch weil sich nicht alle Schneeflocken vertreiben lassen, wirft die Crew die Suchscheinwerfer an. Nach vielen Ahhs und Ohhs kann die Nacht beginnen. Ungefähr zehn Stunden nach Einbruch der Dunkelheit. Auf meinem Teller befindet sich eine Komposition aus Roter Beete, eingelegtem Hering, geräucherter Makrele und ein wenig Smörrebröd. Ein Frühstück für Champions, das ich mit Grünem Tee bedächtig zu mir nehme. Es ist halb zehn und es schneit heftig. Das Licht bei unserer Tour mit Hurtigruten im Winter ist wie gehabt: diffus. Und obwohl wir nah an der Küste entlangfahren, ist außer Bergen, Schnee und aufgewühltem Wasser nicht viel zu sehen.
Die Hurtigruten im Winter: eine wichtige Lebensader
Wir überlegen, ob wir die widrigen Bedingungen für einen Sprung in den Whirlpool nutzen, doch wir entscheiden uns für Latte Macchiato an Deck 7. Urlaub bedeutet schließlich auch, die Zeitung von vorgestern zu lesen. An einem ruhigen Ort. Als die MS Otto Sverdrup wenig später in dem kleinen Städtchen Finnsnes anlegt, gehen wir kurz von Bord. Zum Herumtoben – es ist schließlich der erste Neuschnee des Winters.
Ein freundlicher Norweger beobachtet uns und kommt auf uns zu. Er sagt „hello“, drückt mir eine Papprolle in die Hand und schlendert zurück in sein hell beleuchtetes Hafenkontor. Erst viel später sehe ich, dass er mir ein Nostalgieposter geschenkt hat, dass die Hurtigruten als unverzichtbare Lebensader der Region ausweist. Nach 20 Minuten ertönt das Schiffshorn wieder.
Für einen Moment bricht die Wolkendecke auf. Ich frage mich, ob der Tag doch noch anbricht während unserer Tour mit Hurtigruten im Winter. Die Illusion aber währt nicht lange. Nun steuern wir auf eine Brücke zu. Ein schmales Bauwerk, dessen Bogen auffällig steil ausfällt, weil die Schiffe der Hurtigruten drunter durchpassen müssen. Die mit 1500 Metern zu den längsten Pfeilerbrücken der Welt zählende Konstruktion nämlich verbindet das Festland mit Senja, der zweitgrößten Insel des Landes. Ein Umweg wäre da unpässlich.
Die MS Otto Sverdrup legt in Tromsø an
Als es schon längst wieder dämmert, erreichen wir Tromsø. Wir befinden uns 344 Kilometer nördlich des Polarkreises, in einer Stadt mit 70 000 Einwohnern, die in der kommenden Woche in der Europa League gegen Tottenham Hotspur antritt und die Heimat der nördlichsten Universität der Welt ist.
Vor uns breiten sich steile Berge aus, in die Skipisten hineingefräst sind. Ganz in der Nähe sehen wir wieder eine dieser Brücken, die in Form eines Kamelbuckels den Gisund überspannt – und die sich kein anderes Land der Welt leisten würde. Schließlich fällt unser Blick auf eine Kathedrale, die natürlich die nördlichste der Welt ist. Sie wird die „Arktische Kathedrale“ genannt.
Ein Muss bei der Tour mit Hurtigruten im Winter: Hundeschlittenfahrt in Tromsø
Trotz aller Superlative entscheiden wir uns gegen eine Stadtbesichtigung und für einen Ausflug. Zwar fährt der Bus durch die City, doch die Scheiben sind derart zugefroren, dass wir kaum einen Eindruck von der Stadt bekommen – außer vielleicht, dass der Verkehr einer Großstadt durchaus würdig ist.
Der Bus ist bis auf den letzten Platz gefüllt mit Passagieren, die ein gemeinsames Ziel haben: die Hundeschlittenfarm auf der nahen Walinsel. Die Bedingungen in Villmarkssenter sind perfekt. Als wir nach 45 Minuten bei den Huskies arrivieren, hat es mehr als 30 Zentimeter Neuschnee. Mit Schneeanzügen und Stiefel, die man wohl am ehesten als Moon Boots bezeichnen kann, wähnen wir uns gerüstet für eine Reise bis zum Nordkap.
Winterliche Kakophonie
Die 300 Huskies heulen, jaulen, winseln, und knurren, wobei sie allerlei kapriziöse Posen einnehmen. Vorzugsweise stützen sie sich mit den Vorderbeinen auf einer Holzkiste ab, um die Schnauzen melodramatisch gen Himmel strecken. Vor allem aber bellen sie. Eine winterliche Kakophonie.
Weil die Uhr schon 15.30 Uhr anzeigt, ist er längst zappenduster, als Kristina unseren Schlitten vorbereitet. Sie ist ein junges Mädchen mit blonden Haaren. Sie stammt aus dem hohen Norden und verbringt ihren ersten Winter auf der Farm, wo sie auch lebt.
Kristina hat ihre drei eigenen Hunde mitgebracht, wovon sie zwei vor unseren Schlitten spannt. Gemeinsam mit acht Artgenossen bilden sie das Gespann, das sich auf Kommando in Bewegung setzt. Erst langsam. Dann plötzlich.
Stille im Hundeschlitten
Auf der Strecke angelangt, wird es schlagartig still. Die Tiere brauchen ihre Luft zum Atmen, um den mit drei Mann besetzte Schlitten durch den notdürftig vorgespurten Tiefschnee zu zerren. Dicke Schneeflocken treffen unweigerlich auf die ungeschützten Augen. Auf einmal sehe ich links von mir zwei weitere Hunde die scheinbar überholen wollen, obwohl sie wissen, dass dafür kein Platz ist. Der Übermut des frühen Winters – oder auch der Jugend, das weiß nicht einmal Kristina genau.
Fünf Kilometer in 45 Minuten sollen wir zurücklegen. Die einzige Lichtquelle bildet eine Stirnleuchte. Kristina erzählt vom einfachen Leben, von der großen Kraft der Hunde, vom langen Winter, den sie liebt und zum Ski- und Schlittschuhlaufen nutzt. Mitten im Satz kommen wir mit einem Ruck zum Stillstand. Die Hunde haben den Schlitten gegen eine Birke gesteuert. Wir hängen fest und kommen erst wieder los, als es Kristina und mir gelingt, den Schlitten gegen den Druck der Hunde zu versetzen. Dadurch können die Huskies voll abgehen und Kristina, mit den Zügeln in der Hand, wird umgerissen.
Nur Sekundenbruchteile später hängen wir wieder fest. Jetzt hat sich der Anker des Schlittens um die Birke gewickelt. Wieder stehen wir bis zu den Knien im Schnee, um das vermaledeite Ding zu lösen. Nach ein paar Minuten – hinter uns hat sich ein veritabler Stau gebildet – gelingt uns das endlich. Kristina mag diesen Baum nicht sonderlich. Aber sie nimmt es hin, sich gelegentlich kleinere Verletzungen zuzuziehen. Das gehört zum Leben an der frischen Luft.
Arktisches Winterwunderland
Mit dem Wind nun im Rücken, genießen wir die lautlose Spritztour durch das arktische Winterwunderland. Zurück im Camp werden wir in eine traditionelle Hütte geleitet, wie sie der im hohen Norden lebende Volksstamm der Samen früher gebaut hat. Wir erhalten köstlichen Schokoladenkuchen und heißen Tee. Max, ein hochgewachsener Däne, der hier im Winter sein Geld verdient, erklärt uns, dass die meisten Nicht-Kreuzfahrer nach Kvaløysletta kommen, um das Polarlicht zu sehen. Im Giftshop schaue ich ein wenig sehnsuchtsvoll auf die Fotos, auf denen grünlich-weißliche Schleier zu sehen sind. Auch fällt mein Blick auf ein Buch über die Hurtigruten im Winter.
An Tisch 35 des Bordrestaurants lernen wir Ellie aus England kennen. Bei Blumenkohlsuppe und arktischem Saibling erzählt sie uns von ihrem ersten Arbeitstag als Journalistin. An dem Tag, als sie bei einem Lokalblatt in Plymouth angefangen hat, war einem Fischer ein Lobster in Netz gegangen, der in seinen Zangen eine Brieftasche eingeklemmt hatte.
Hurtigruten im Winter: Zufällige Begegnungen an Bord
Darin befand sich tatsächlich der noch lesbare Ausweis eines Mannes, den Ellie nun ausfindig machen sollte. Das gelang ihr, doch der Mann entpuppte sich als Kleinkrimineller, der sich ständig vor Gericht verantworten musste, der sich sehr an der jungen Reporterin interessiert zeigte und nichts gegen einen hübschen Auftritt in der Zeitung hatte. Später wurde Ellie Gerichtsreporterin – und der Mann winkte ihr regelmäßig von der Anklagebank aus zu, wobei er sich einen Spaß daraus gemacht hat, mit den Händen die Bewegungen von Hummerscheren zu imitieren.
Wir lachen uns fett bei dieser Story. Nach dem Dessert und einer leckeren Flasche Riesling ziehen wir uns auf Deck 8 zurück, um die Zeitung von vorgestern weiterzulesen. Immer wieder blicke ich aus hoffnungsvoll aus dem Fenster: Finsternis. Lediglich wenn wir wieder einen Mini-Hafen ansteuern, um eine Handvoll Paletten auszuspucken, sehe ich Licht. Ich frage mich, ob ich diese Orte wohl jemals wieder zu Gesicht bekommen werde.
Besuch beim Kapitän unserer Tour mit Hurtigruten im Winter
„Hier oben“, sagt Kai Albrigtsen, „wächst gar nichts mehr“. Leicht versonnen blicken wir aus den Fenstern auf kahle, weiße Berge. Der Kapitän auf unserer Reise mit Hurtigruten im Winter erklärt, dass wir uns jenseits des 70. Breitengrades befinden. In einem Landstrich ohne Bäume und Sträucher. Vor etwas mehr als drei Stunden haben wir den Hafen von Hammerfest verlassen. Das ist der Ort, der in meinem Schulatlas etwas inakkurat als nördlichster Hafen Kontinentaleuropas ausgewiesen war.
Es ist kurz vor 10 Uhr und das Licht ist deutlich anders, als an den beiden vorangegangenen Tagen: Trotz der erheblichen Erdkrümmung gelingt es der Sonne, einige Strahlen in den hohen Norden zu senden. An diesem Naturereignis, sagt Albrigtsen, kann er sich nicht sattsehen. Wir stehen auf der Brücke der MS Otto Sverdrup, wo der freundliche Norweger das Schiff gemeinsam mit der Ersten Offizierin Ina Clemens steuert. Er ist ein freundlicher Mann von eher zierlicher Statur, der sein gesamtes Leben den Hurtigruten verschrieben hat. „Angefangen habe ich als Küchenjunge. Doch als ich älter wurde, bin ich zu der Einsicht gelangt, dass ich das nicht dauerhaft machen möchte.“ Also hat er die Marineschule besucht. Und seit einer Handvoll Jahren ist er Kapitän dieses beachtlichen Schiffes.
Die Hurtigruten fahren bis Australien und in die Arktis
Bis nach Australien hat Albrigtsen die MS Otto Sverdrup bereits navigiert. Dort ist sie einige Zeit fremdgegangen, als die Hurtigruten leichte Überkapazität hatten. Über die Jahre ist das Schiff für ihn eine Art Zuhause geworden. Albrigtsen speist im Bordrestaurant. Er nutzt den Whirlpool auf Deck 7 und auch das angrenzende Fitnessstudio – schließlich dauert sein Dienst stolze 22 Tage. Da will etwas Bewegung den Geist frisch halten. „Es ist ein Lebensstil“, sagt der 57-Jährige. „Wenn ich – ebenfalls 22 Tage – daheim bin, habe ich meine Familie. Und hier auch.“
Heute navigiert Albrigtsen die MS Otto Sverdrup hinauf zum Nordkap. Der Himmel ist klar, das Wasser ruhig. Ideale Bedingungen für die Tour durch die vereiste Landschaft. Das ist nicht immer so: „Wenn der Wind aus Südwest kommt, ist es eine Herausforderung.“ Dann können die fünf Propeller nur Schwer der Strömung standhalten. Das Schiff droht abzudriften.
Wir nähern uns Kirkenes
In Richtung der nahen Felswände, durch Wasser, das auch im Sommer nicht wärmer als sechs bis sieben Grad warm wird. Höchste Konzentration ist dann gefragt, denn die Gefahr ist größer als Sturm auf hoher See. „Das Schiff, kommt auch bei 50 Meter hohen Wellen noch nicht in Probleme.“ Im Frühjahr, sagt Albrigtsen, queren an dieser Stelle häufiger Rentiere und Elche das Wasser. Sie vertrauen darauf, dass auf den Inseln im Westen ausreichend Nahrung zu finden ist. Im Winter hingegen kann es so garstig sein, dass die Finnmarken als Rettungsboot fungiert.
Einmal hat Albrigtsen die Besatzung eines französischen Expeditionsbootes aufgespürt, das in Not geraten war. Kaum vorstellbar an diesem Tag, an dem er und seine Assistentin Ina gemächlich in Richtung Honningsvåg steuern. Hier legen wir gegen Mittag an. Wieder einmal weiß ich nicht, ob es gerade hell oder dunkel wird. Aber so ist das wohl bei einer Tour mit Hurtigruten im Winter.
Zwischenstopp mit der MS Otto Sverdrup am Nordkapp
Es ist der nördlichste Hafen der Hurtigruten, gelegen auf der Insel Máhkarávju. Rund 3500 Menschen sind hier zuhause. Honningsvåg verfügt über ein Krankenhaus, einen Supermarkt, einen Flugplatz und über die nördlichste Tankstelle Europas.
Wenn es das Wetter erlaubt, schlendern die Passagiere der Hurtigruten Tag für Tag zu einem Busterminal, das sie durch die karge Landschaft zum Nordkap kutschiert.
Die letzten zwölf Kilometer, die durch bergiges Terrain führen, wird der Bus von einem Schneepflug begleitet. Die Fahrt dauert 40 Minuten. Sie endet vor einem Besucherzentrum mit bizarrem Tiefgang. Auf vier Etagen haben die Norweger hier einen Polarlichtsimulationsraum, ein 3D-Kino, ein Thai-Museum (!) und einen riesigen Memorablia-Laden in die Erde gegraben.
King Krab an Bord der Hurtigruten
Draußen weht ein empfindlich kalter Südwind. Das ist die mildere Wettervariante, doch obwohl das Thermometer nur ein paar Grad unter Null anzeigt, ist es auch in einer Schutzhülle aus winterlicher Funktionskleidung kaum auszuhalten.
Auf der letzten Landzunge steht die Skulptur eines Globus, der das Ende der Welt stilisiert. Ein tolles Fotomotiv vor allem dann, wenn die Mitternachtssonne über dem Norden steht. Davon sind wir weit entfernt, denn heute ist der 24. November – und somit der vorletzte Tag, an dem sich die Sonne wenigstens für ein paar Minuten über den Horizont erhebt. Es ist ein beruhigender Gedanke, dass das riesige Land hier endet und keine Menschen in noch kälteren und dunkleren Gefilden leben.
Am Abend wird die Küchencrew ein Meeresfrüchtebüffet auffahren. Mit King Crab, der aus dem Osten Russlands eingeführten Delikatesse, die langsam die Vorherrschaft auch über diesen Teil der arktischen Gewässer übernommen hat. Nicht ohne Sinn für Show werden die Passagiere schon vorab mit dem Tier vertraut gemacht: Ein Fischer nähert sich der MS Otto Sverdrup, um diese in Begleitung zweier ausgewachsener Königskrabben zu entern.
Die Jagd nach dem Polarlicht in Nordnorwegen
Er erzählt allerlei über die Tiere und ihren Siegeszug, der einem Mangel an natürlichen Feinden geschuldet ist – und der die heimischen Arten zusehends gefährdet. Bei Tisch ist die Stimmung an Bord gemäßigt festlich, es gilt das Erreichen des nördlichsten Punktes der Reise auch kulinarisch zu zelebrieren. Das Dinner verläuft unaufgeregt. Gegen 20.30 Uhr aber ist die Gesellschaft in blitzartigem Aufbruch begriffen. Alle springen von ihren Plätzen auf, stürmen ihre Kabinen, holen Mäntel, Kameras, Handschuhe und Mützen, und bringen sich auf Deck 5 und 8 in Stellung.
Was passiert ist? Nun, aus den Lautsprechern ist die Durchsage gedrungen, dass das Personal auf der Brücke an Steuerbord gewisse Aktivitäten beobachtet hat: „There are some northern lights!“ Im späten Herbst für die meisten Passagiere die Hauptattraktion der Reise. Ein Steward hält die Massenflucht auf seinem Mobiltelefon fest – für Norweger scheint die Polarlicht-Hysterie nur schwer greifbar. „Nice way to clear the tables“, sage ich im Vorbeigehen, womit ich ein Schmunzeln ernte. Einmal draußen sehe ich, dass die Crew alle Lichter abgeschaltet hat, um die Sicht zu optimieren.
Die letzten Seemeilen bis Kirkenes
Mit unseren Weingläsern noch in der Hand, stellt sich jedoch bald Ernüchterung ein: Außer ein paar blassen Sternen ist nicht viel zu sehen. Ich, der stoisch mit Kamera in den Himmel gezielt hat, suche nun meine Begleitung, die verschwunden ist. Bald höre ich ihr Lachen: Sie hat sich in der Dunkelheit in die Arme eines älteren Herren begeben, der ungefähr meine Statur hat. Nun schämt sie sich grad ein klein wenig – während der ältere Herr sich geschmeichelt fühlt.
Wir trinken den Rest unseres Rieslings abermals an Deck 8. Ich fotografiere noch den einsamen Hafen von Berlevåg. Ein Dorf, das sich für seine sommerlichen Naturerlebnisse rühmt. Nach der Tour auf der MS Otto Sverdrup bin ich soweit, dass ich wiederkommen möchte. Wegen der Mitternachtssonne. Aber auch, um das Polarlicht weiter zu jagen. Ich denke: Noch haben wir ja einen Tag im hohen Norden.
Informationen zur Reise mit Hurtigruten im Winter
Die Hurtigruten sind die traditionelle Postschifflinie, welche die Häfen an der norwegischen Küste seit Generationen miteinander verbindet.
Südlichster Hafen ist Bergen, der Wendepunkt im Norden ist Kirkenes.
Die Reise mit Hurtigruten kannst du sowohl pauschal buchen wie auch individuell zusammenstellen. Sowohl Bodø wie auch Kirkenes besitzen einen Flughafen. Die Preise für die einzelnen Abschnitte variieren je nach Länge und Saison stark. Es lohnt sich zudem immer, nach Angeboten Ausschau zu halten.
Die MS Otto Sverdrup wurde 2019 komplett saniert. Zuvor ist sie als MS Finnmarken in See gestochen.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im November 2021. Der Autor war auf Einladung der Reederei mit Hurtigruten im Winter unterwegs. Das Schiff war die MS Otto Sverdrup.
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