Was haben Hieronymus Bosch und die Kathedrale von Den Bosch gemeinsam? Nun, auf dem Dach stehen Fabelwesen, die stark an den berühmtesten Sohn der Stadt erinnern.

Totale der Kathedrale mit jungem Frühlingsgrün
Manchen Ereignissen wird auch im medialen Dschungel der Gegenwart immer noch mit Erfolg attestiert, dass sie sich in dieser Form nie mehr wiederholen werden. Die Hieronymus-Bosch-Ausstellung in seiner Heimatstadt Den Bosch war so etwas: 17 Gemälde und 19 Zeichnungen des Visionärs waren 2016 anlässlich seines 500. Todestages im kleinen Noordbrabants Museum zu sehen. Auch konnten Besucher das Dach der Kathedrale von Den Bosch besteigen.

Temporäres Gerüst mit Plattform auf dem Dach der Kathedrale von Den Bosch
Andrang auf das Dach der Kathedrale von Den Bosch
Mehr als 100 000 Ausländer haben das zum Anlass für eine Reise in die Provinzhauptstadt genommen. So unterschiedliche Autoren wie David Byrne von den Talking Heads und Jan-Böhmermann-Apologet und Springer-Vorstandsvorsitzender Matthias Döpfner haben darüber Geistreiches geschrieben. Kurzum: die Ausstellung war eine Sensation.

Skulptur nach Hieronymus Bosch auf dem Dach der Kathedrale von Den Bosch
Noch viel interessanter aber fand ich den Gedanken, anlässlich der Ausstellung die nahe Sint-Jans-Kathedrale in Den Bosch ein neues Licht zu rücken. Der Sakralbau wurde vom 1530 vollendet – und auch dem Laien drängt sich der Verdacht auf, dass es schon verwunderlich wäre, wenn sich der bedeutendste Künstler der Stadtgeschichte ob der zeitlichen Überschneidungen nicht mit eingebracht hätte. Beweisen allerdings lässt sich die These in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht.

Engelsmutter nach Hieronymus Bosch
Eine einmalige Gelegenheit
Um der Vermutung emotionalen Nachdruck zu verleihen, haben die Masterminds des Bosch-Jahres 2016 einen kühnen Plan gefasst: Jeder sollte sich davon ein Bild machen können, ob die vielen Figuren auch dem Dach der Kathedrale eine mehr oder wenige auffällige Ähnlichkeit mit den Fabelwesen aus Hölle, Erde oder Paradies besitzen, für die Bosch heute in beispielloser Manier gehyped wird.

Plakat und Gerüst anlässlich der Dachbegehung
Dafür haben sie mit niederländischem Pragmatismus den kühnen Plan geschmiedet, das Dach des Kirchenschiffs für gut ein halbes Jahr begehbar zu machen. Möglich wird dies durch ein Stahlgerüst, das, diese Behauptung wage ich, weltweit noch nie zu diesem Zwecke diente.

Temporäres Gerüst mit Plattform auf dem Dach der Kathedrale von Den Bosch
Blick auf die Weite der Landschaft
Als ich vor Ort bin, erinnere ich mich an meinen ersten Besuch in der Kathedrale. Es war der 20. März 2010. Jener Tag, an der in Island der Eyjafjallajökull ausgebrochen ist und der Abendhimmel in Den Bosch durch die vulkanischen Partikel so rot wie nie zuvor war. Ein Hauch von Apokalypse und Inferno – ein passender Rahmen für Hieronymus also.

Hieronymus Bosch war nicht für seine gut gelaunten Figuren bekannt
Wenig später steige ich die keineswegs blickdichten Treppen hinauf, bis ich wenige Meter unterhalb des Dachfirsts stehe. Eine Schautafel mit allen möglichen Sponsoren versucht die Aufmerksamkeit hier oben auf sich zu ziehen, doch das gelingt ihr nur für den Bruchteil einer Sekunde. Mein Blick fällt viel mehr auf die Weite der Landschaft. In der Ferne geht ein Regenschauer nieder. April, so wie er sein muss.

Augenzwinkerndes Zitat der Bosch-Skulpturen mit telefonierender Frau
Rittlings auf den Diagonalbögen
Nach ein paar Schritten sehe ich die Figuren aus Stein, die von den Baumeistern und den ausführenden Kräften mutmaßlich in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts rittlings auf die äußeren Diagonalbögen der Kirche gesetzt wurden – wohl wissend, dass sie vermutlich niemals jemand zu Gesicht bekommen würde. Außer jenem, dem das Gotteshaus gewidmet ist. Und den Engeln vielleicht.

Besucherin vor dem „wundersamen Aufstieg“
Diese Beobachtung steht auf der Hitliste meiner transzendentalsten Gedanken ganz weit oben. Unweigerlich frage ich mich, wie man dies mit so bescheidenen Mitteln realisieren konnte und was es für eine enorme Willenskraft bedurft haben muss, in über 30 Metern Höhe 96 Statuen zu verewigen, die das mittelalterliche Leben in all seinen Facetten abbilden.

Der Autor auf dem Dach der Kathedrale von Den Bosch
Ich könnte den ganzen Tag da oben stehen bleiben und darüber sinnieren. Ebenso, wie ich die Organisatoren beglückwünschen möchte, diese kühne Idee mit Hilfe eines Gerüsts und ein paar Holzbalken umzusetzen. Ihnen verdanke ich Eindrücke, die ich nie aus meinem inneren Speicher lösche.
Informationen über den Aufstieg auf das Dach der Kathedrale von Den Bosch
Die Sint-Jans-Kathedrale in Den Bosch konnte nur 2016 bestiegen werden, danach ist der Anblick wieder den Engeln oder den Kunden zukünftiger Versionen von Google Earth überlassen. Das Ganze nennt sich mit Recht »Een wonderlijke klim« (Ein bemerkenswerter Aufstieg).

Skulptur mit Phantasiefiguren in der Fußgängerzone von Den Bosch anlässlich der Ausstellung über Hieronymus Bosch
Wer die Bosch-Ausstellung verpasst hat, kann ins nahe gelegene Jheronimus-Bosch-Art Center ausweichen. In dem Dokumentationszentrum hängen zwar nur Repliken, aber immerhin sind diese standesgemäß in einer Kirche platziert. Wunderbar ist auch ein Besuch des Groeninge-Museums in Brügge, wo »Das jüngste Gericht« dauerhaft ausgestellt ist.
Text und Bilder: Die Geschichte ist ein Beitrag zur Reihe »Historischer Reisejournalismus«. Das Dach der Kathedrale von Den Bosch ist nicht mehr für Besucher zugänglich.
Ralf Johnen, Mai 2016. Der Autor war privat vor Ort, um die Geschichte von Hieronymus Bosch und die Kathedrale von Den Bosch zu recherchieren.
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