Natürlich sind die verbalen Angriffe auf die E-Scooter und ihre Benutzer ziemlich amüsant. Sie stammen vor allem von Leuten, die in ziemlich trostlosen Vororten in Deutschland ihr Glück gesucht haben, und die in Ermangelung vernünftiger Stadtbahnen auf ihr Auto angewiesen sind. Wir haben das neue Verkehrsmittel getestet und sind mit dem E-Scooter durch Köln gefahren.
Diese ehemaligen Kollegen sind wohlgemerkt Tageszeitungsjournalisten, letztlich also unter anderem Meinungsmacher, und sie hegen einen dermaßen ausgeprägten Groll gegen die grazilen Fortbewegungsmittel, als ginge es für sie und die Menschheit ganz allgemein ums nackte Überleben.
Als drohten die E-Scooter binnen Monaten das Automobil zu verdrängen, speziell den heißgeliebten Verbrennungsmotor, der ja angeblich eine Seele hat, wenn er hochtourig läuft und Lärm erzeugt, der aber natürlich für sich gesehen eine Drecksschleuder ist, die uns Städtern die Luft verpestet, die uns an jeder Kreuzung bedroht – und die wir schlicht und einfach nicht länger als dominierendes Element dulden möchten.
Eine großartige Ergänzung
Doch ich schweife ab. Eigentlich wollte ich nämlich eine Geschichte darüber schreiben, welch großartige Ergänzung des Mobilitätsalltages E-Scooter sind. Wir wohnen mitten in Köln, was ziemlich viele Vorteile hat: wir können innerhalb von 30 bis 45 Minuten alle coolen Veedel zu Fuß erreichen. Die Südstadt mit ihren großbürgerlichen Gründerzeitbauten, das nie schlafende Belgische Viertel, funky Ehrenfeld, das weithin unterschätzte Lindenthal mit seinen Satellitenvierteln Sülz und Klettenberg, das hübsche Agnesviertel, und ich würde hier sogar die Altstadt hier aufzählen, wo sich eher weniger Kölner aufhalten, sondern in erster Linie Touristen, die aber trotzdem ganz hübsch ist.
So gesehen darf es nicht überraschen, dass ich die Kompaktheit Kölns zu den größten Vorzügen der Stadt zähle. Alle Viertel haben ihren eigenen Charakter und es lohnt sich immer wieder, dort vorbeizuschauen. Wir haben zu diesem Zwecke das feste Ritual abendlicher Stadtwanderungen etabliert. Oft, aber nicht immer, mit Weg-Bier, wie das so üblich ist in Köln. Unterwegs schauen wir nach neuen Restaurants, Bars und Geschäften, und wir freuen uns immer, wenn wir in bisher unbekannte Straßenzüge vordringen. So haben wir fast alle Ecken der Stadt abgeklappert.
Mit dem E-Scooter durch Köln und seine Veedel
Seit ein paar Wochen scheint dieses Konzept nun veraltet. Grund ist natürlich der E-Scooter, der unseren Stadtwanderungen plötzlich völlig neue Möglichkeiten eröffnet: waren wir bislang immer in einem einzigen Veedel (so nennen die Kölner ihre Viertel) unterwegs, können wir nun hin und her scootern. Auf einen Happen in die Südstadt gehen. Anschließend über die App von Tier, Circ oder Lime zwei freie Roller suchen und am Rheinufer entlang in Richtung Agnesviertel fahren.
Das ist eine ziemlich feine Sache im Hochsommer, denn die zugelassenen 20 Stundenkilometer sind in der Stadt eine vernünftige Reisegeschwindigkeit und der kühlende Fahrtwind bereitet einige Freude. Nach ein paar Drinks auf dem Ebertplatz oder am Eigelstein setzen wir unsere Runde einfach zu Fuß fort. Oder, wenn wir möchten, mit dem nächsten E-Scooter.
Schimpftiraden von Meinungsmachern
»Überflüssig«, »Verschandelung des Stadtbildes«, »blöde Modeerscheinung« oder »totaler Unsinn«, schimpfen die ehemaligen Kollegen, um sich kurz darauf in ihren SUVs durch den Berufsverkehr kämpfen und fossile Brennstoffe verheizen, organische Masse also, die vor Jahrmillionen entstanden ist, um mit großem Aufwand an die Erdoberfläche befördert und weiterverarbeitet zu werden. Bald werden sie wieder schimpfen über die jugendlichen Nachhaltigkeitsunruhestifter, die ihnen das Fliegen verbieten wollen, oder über die Vegetarier, die es auf allabendlichen sommerlichen Grillfeste abgesehen haben.
Dabei sind sie erstaunlich blind dafür, wie sich die Welt weiterentwickelt. Und genauso, wie es beim Reisen angebracht ist, einen passablen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, dürfte es dem Körper kaum schaden, häufiger mal auf Fleisch du Aufschnitt zu verzichten.
In Köln, Hamburg oder Berlin schreibt niemand den Leuten vor, neue Maßstäbe anzulegen. Es passiert aus sich heraus, weil bei den Bewohnern das Bewusstsein dafür vorhanden ist. Ähnlich verhält es sich mit den E-Scootern. Sie sind ein Beitrag zur innenstädtischen Mobilität, auch wenn ihre Lebensdauer natürlich verlängert werden muss und Ladestationen vor Ort eines Tages unausweichlich sein werden.
Mit dem E-Scooter durch Köln: Die Zukunft ist jetzt
So könnte der E-Scooter gemeinsam mit dem elektrischen Lastenfahrrad, dem herkömmlichen Velo und einem funktionierenden Öffentlichen Nahverkehr einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass wir uns unseren Lebensraum zurückerobern, indem wir die Autos Stück für Stück aus den Straßen unserer Städte verdrängen. Vielleicht macht das Scootern dann schon bald überall so viel Freude, wie am Rheinufer.
Text und Bilder: Benno von Archimboldi, Juli 2019
Über Benno von Archimboldi
Benno von Archimboldi ist für uns mit dem E-Scooter durch Köln gefahren. Er ist Schriftsteller, Utopist und Melancholiker. Er lebt in Santiago de Chile, Venedig und an einem unbekannten Ort im Süden Portugals. Benno leidet ein wenig darunter, lediglich eine fiktionale Figur aus dem Roman »2666« von Roberto Bolaño zu sein. Aus diesem Grunde gibt ihm das Team von Boarding Completed in losen Abständen Gelegenheit, sein Weltbild darzulegen. Zuletzt war er in der modernsten Stadt der Welt. Davor ist von Archimboldi für uns in Portugal unterwegs gewesen. Die Meinungen von Archimboldis sind unabhängig entstanden, für die Reisekosten ist die Redaktion aufgekommen.
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