Eine Radtour durch Overijssel eröffnet auch Kennern der Niederlande völlig neue Horizonte. Für das andere Holland gilt: Es ist ruhig, ja fast ein wenig einsam. Neben Flussauen und saftigen Weiden wartet im Osten des Landes auch die holländische Sahara.
Eine Wiese, die dicht mit Butterblumen und Löwenzahn bewachsen ist. Der Duft nach den Blüten des Frühlings. Am Horizont ein kleines Dorf mit einem weithin sichtbaren Kirchturm. Und dazu die Farbpalette, die all die großen Meister inspiriert hat. Es ist ein fast schon klassische Szenerie, die wir nach unserer Ankunft in Ommen vorfinden. Ein Stück »lage landen«, wie es immer seltener wird, je weiter die Urbanisierung ausbreitet.
Schon nach den ersten Kilometern auf dem Fahrrad aber erkenne ich wohlwollend, dass hier im Osten der Niederlande das pastorale Idyll vergangener Zeiten fortlebt. Nicht umsonst wird die Region auch »das andere Holland« genannt.
Wir haben uns für diesen Nachmittag die Scharrelroute vorgenommen. Dazu werden wir mit einem robusten Gazelle-Zweirad, einem großzügig gefüllten Picknickkorb und einer Karte ausstaffiert. »Scharrelen« bedeutet auf Niederländisch so viel wie »kramen« oder »wühlen«. Für unsere Radtour durch Overijssel bedeutet das, dass wir über einen Parcours geschickt werden, der uns zu mit den Spezialitäten der Region vertraut macht.
Radtour durch Overrijssel: Nicht nur typisch niederländische Landschaften
Schon auf den ersten Kilometern fühlen wir uns in eine andere Zeit versetzt: Jeder grüßt uns – und weil die Radwege fast durchweg fernab der Hauptstraßen verlaufen, hören wir kaum Zivilisationsgeräusche. Stattdessen eine breite Palette typisch niederländischer Landschaften. An einem Wehr, das der Zügelung der gelegentlich sehr temperamentvollen Vechte dient, hat sich gar eine Malerin mit ihrer Staffelei niedergelassen.
Die erste Station bei der Tour durch das andere Holland ist der Hofladen von Bauer Ernie van der Kolk, wo eine Flasche hausgemachter Apfel-Himbeer-Saft auf uns wartet. Weiter geht es über stets makellos ausgewiesene Pfade, die uns von einem Knotenpunkt zum anderen durch eine Auenlandschaft führen. Von Knotenpunkt 69 und 61 bis zu Nummer 60 befinden wir uns dabei auf der vorzüglich befahrbaren Vechtdalroute, die den Fluss von der Quelle in Deutschland bis zur Mündung ins Zwarte Water bei Zwolle treu begleitet.
Unterwegs könnten wir uns auf die Suche nach 75 Kunstwerken machen, welche sich entlang der Strecke aufbauen. Nicht ohne Stolz bezeichnen die Einheimischen das »Kunstwegenprojekt« als »Europas größtes Freilichtmuseum«. Der Fluss mäandert derweil träge vor sich in.
Auf dem Weg in die holländische Sahara
Bald befinden wir uns in einem kleinen Wald, wo es intensiv nach Kiefern duftet, dann wieder folgen violett schimmernde Heidegräser. Auf den Feldern ruhen gerundete Heuballen. Ach ja, und auf einem Hochsitz füttert eine Weißstorchmama ihren noch federlosen Nachwuchs. Schwer zu glauben, dass wir heute Morgen noch in Köln waren.
Unterwegs sammeln wir mit unseren Vouchers ein halbes Dutzend Freilandeier und ein Orangeneis aus Biomilch ein. Wir passieren Rapsfelder und Kuhweiden, bis schließlich ein Steinpflock mit einer Aufschrift meine Aufmerksamkeit erregt: Sahara. Neugierig folgen wir den Hinweisschildern. Weil sich die für heute letzte Schulgruppe gerade aus der Natur verabschiedet, befinden wir uns ganz alleine auf einer Sandfläche von erheblichen Ausmaßen.
Picknick in der Wüste: Auch das ist das andere Holland
Wir schieben die Räder minutenlang durch den Sand und räsonieren, was der Lehrer seinen Schützlingen wohl erzählt hat: »Das hier ist natürlich keine Wüste.« »Dafür regnet es doch zu oft hier.« »Es handelt sich um Ablagerungen aus der letzten Eiszeit.« Und so weiter.
Uns soll es recht sein, denn wir haben während unserer Radtour durch Overijssel nun einen ziemlich perfekten Ort zur Ausbreitung unserer Picknick-Decke gefunden. Rosinenbrot mit altem Käse und frische Erdbeeren. Dazu ein paar Seiten aus »Der Blinde von Sevilla«, dem düster psychologisierenden Krimi von Robert Wilson. Und Stille. Herrlich.
Zurück zur Herberg de Klomp
Nach einer verträumten Stunde packen wir widerwillig unsere Sachen. Doch es gilt noch einen Bauernhof aufzusuchen, wo ein hausgemachter Käse mit Kreuzkümmel und Nelken auf uns wartet. Es ist die längste Etappe – auch weil Wind aufgekommen ist. So gesehen sind wir nicht unglücklich, als wir nach gut 40 Kilometern den Kirchturm von Vilsteren erblicken, dem Start- und Zielort.
Die leise Perfektion des Tages wird in der Herberg De Klomp abgerundet, wo uns eine hopfenhaltige Erfrischung und der Klassiker der niederländischen Snack-Kultur serviert wird: eine Bittergarnituur.
Nach der Radtour durch Overijssel haben wir uns für den Abend das Fünfgangmenü mit Weinbegleitung gebucht. Lamm, Spargel und Reh. Mit einem klaren Fokus auf die Produkte und, so weit es geht, von den Höfen aus der Nachbarschaft. Zum Nachtisch wartet ein traumloser Schlaf – und die Gewissheit, dass die einfache Dinge im Leben immer noch zu den schönsten gehören.
Informationen zur Radtour durch Overijssel
Das Vechtetal (niederländisch: Vechtdal oder Overijsselse Vechte) ist vom Ruhrgebiet mit dem Auto bequem in anderthalb Stunden erreichbar. Mit der Bahn dauert es von Köln mit Umsteigen in Arnhem und Zwolle gut 2 Stunden und 45 Minuten.
Das Vechtetal wird von einer Fahrradroute begleitet, die sich über die Länge von rund 180 Kilometern von der Quelle bei Darfeld im Münsterland bis zur Mündung bei Zwolle führt. Die Strecke ist durchgängig flach und führt durch ein vergleichsweise dünn besiedeltes Gebiet.
Die touristische Infrastruktur der Vechtdalroute durch das andere Holland ist durch die Bank gut – am Rande der Strecke, die zugleich als Landelijke Fietsroute 16 (LF 16) firmiert, befinden sich gute Hotels, Restaurants und Cafés, in denen radfahrerfreundliche Spezialitäten wie Pannekoeken (Pfannkuchen) serviert werden.
Die Scharrelroute ist eine Initiative der Herberg De Klomp in Vilsteren. Die Teilnahme kostet 22.50 Euro pro Person (Mi–Sa). Auf Anfrage kann das Hotel auch Leihfahrräder zur Verfügung stellen. Das Hotel bietet auch kulinarische Arrangements an, die wir für sehr gelungen halten – die Küche genügt hohen Ansprüchen, ohne dabei überkandidelt zu sein. Die Weinauswahl war formidabel, das Personal sehr freundlich. Für die besten Fotomotive fahrt ihr am besten in die holländische Sahara bei Ommen.
Text & Bilder zur Geschichte über das andere Holland: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Mai 2021. Die Geschichte über das Vechtetal ist in Kooperation mit dem Niederländischen Büro für Tourismus & Convention (NBTC) entstanden. Weitere Informationen über die Vechte und die holländische Sahara auf der Webseite des Tourismusverbandes der Provinz Overijssel.
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