Von der Lüneburger Heide über Hamburg quer durch das Alte Land nach Stade und anschließend nach Neuharlingersiel an der Nordsee. Ein Roadtrip durch Norddeutschland ist besonders schön, wenn die Natur langsam erwacht.
Endlich weg vom Bildschirm. Frische Luft durch die Lungen strömen lassen. Und der Apple Watch endlich mal wieder einen Anlass zum Jubeln geben. Das waren streng genommen die Gründe, weswegen wir uns zum Auftakt unseres Roadtrip durch Norddeutschland die Lüneburger Heide aufgesucht haben.
Ehrgeiz auf dem Weg zum Wilseder Berg
Als wir uns auf den Weg zum Wilseder Berg machen, kommt es doch ganz anders. Die Erhebung hatten wir uns als Ziel unserer Wanderung ausgesucht, weil wir Großstädter nun einmal ständig von Ehrgeiz getrieben sind und der Wilseder Berg seinen 169 Metern der höchste Hügel der Heide ist. »Können wir danach von der Bucket List streichen«, habe ich Generationsgenossen bei vergleichbaren Anstrengungen schon mal sagen hören.
Einmal vor Ort aber entpuppt sich die Idee von der schnellen Wanderung durch die zaghaft frühlingshafte Landschaft als Illusion. Zu oft sehen wir uns genötigt, einen Fotostopp einzulegen. Erst ist es eine Herde junger, schwarze Schafe, die uns beachtenswert erscheint. Bald darauf begegnen wir einer imposanten Population ausgewachsener Heidschnucken.
Pastorales Szenerio
Noch bevor wir den Gipfel erreichen, erreicht das Szenario endgültig eine pastorale Dimension. Vor uns baut sich eine gut gelaunte, junge Schäferin auf, die routiniert ihren Hunden Anweisungen erteilt wie ein Dirigent seinem Orchester.
Die Vierbeiner jagen in atemberaubendem Tempo über die Wiese und halten die aus mehreren Hundert Schafen bestehende Herde spielerisch im Zaum.
Wir Großstädter würden in dieser Situation vermutlich Stress empfinden. Doch nicht so diese Dame, die sich uns als Josefine vorstellt. Ihr Leben in Sachsen habe sie aufgegeben, erzählt sie heiter, um nun tagein, tagaus in der freien Wildbahn zu arbeiten.
Gin aus der Lüneburger Heide
Wir nicken, denn wir glauben zu verstehen, was sie meint. Spätestens, als wir den Wilseder Berg erreichen und zwischen knorrigen Eichen hindurch in die Ferne blicken.
Auf dem Rückweg reiben wir an den Früchten eines Wacholderbusches. Ein paar Wanderer beobachten dies, woraufhin ein Frau uns fragt, ob wir die Aromen mögen. Falls ja, dann sollten wir doch mal den Gin probieren, den die Brennerei Bosselmann im nahen Egestorf produziere. »Ein preisgekrönter Gin«.
Stopover im Hamburger Hafen
Gesagt, getan: Nach dem Ende der rund 15 Kilometer langen Wanderung besuchen wir den Schnapsbrenner und kaufen ihm eine Flasche Heide-Gin ab. Die Nacht verbringen wir im Hotel Acht Linden, wo wir uns saisongerecht an Spargel laben.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg nach Hamburg. Zwar soll der Roadtrip durch den Norden von Deutschland in erster Linie Erholung von der Stadt sein. Doch wo wir schon mal in der Nähe sind, wollen wir doch einen Blick auf die Elbphilharmonie werfen und eine Hafenrundfahrt unternehmen.
Ein Abend im Knust
Eher ungeplant schlendern wir durch die Speicherstadt, wo wir das Miniaturwunderland besuchen.
Am Rande der Hafen City besuchen wir das Oberhafenquartier mit der legendären Oberhafen-Kantine, deren ursprünglicher Bau mit viel Elan unter eine Brücke gequetscht zu worden scheint.
Doch der vielleicht der wichtigste Grund für den Stopover in Hamburg ist die Tatsache, dass am Abend Teenage Fanclub in einer der sympathischsten Konzerthallen in Deutschland spielen, dem Knust.
Nach der Übernachtung im Lindner Park-Hotel Hagenbeck sind wir früh unterwegs. Wir haben uns sagen lassen, dass die Apfelbäume im Alten Land in voller Blüte stehen.
Wir verlassen Hamburg über Wilhelmsburg, um bei Harburg die Süderelbe zu überqueren. Noch begleiten uns Schiffe, Hafenkräne und Raffinerien, doch als wir uns bei Brakenburg wieder der Elbe nähern, wird es ländlich.
Apfelblüte im Alten Land
Großzügige Bauernhäuser mit charakteristischer Architektur säumen unseren Weg. Die Kombination aus reetgedeckten Satteldächern und Backsteinfachwerk ist typisch für das Alte Land. Nicht selten ergänzen blühende Apfel- oder Kirschbäume das malerische Gesamtbild hinter dem Elbdamm.
Im kleinen Dorf Jork steuern wir einen Hof an, der großflächig für seine Produkte wirbt und der sich nicht ohne Gespür für geschickte Vermarktung Herzapfelhof nennt. Er ist in der gesamten Region bekannt und auch für Hamburger Familien ein beliebtes Ausflugsziel, denn es handelt sich unübersehbar um einen Erlebnisbauernhof.
Roadtrip durch Norddeutschland: Besuch einer Plantage
Jetzt im April ist es am schönsten. Die Besucher lassen sich mit zufriedenen Gesichtern von einem Traktor auf Anhängern durch die opulent blühenden Plantagen ziehen. Später im Jahr können sie von dem Angebot Gebrauch machen, die Früchte eigenhändig zu pflücken.
Heute bleibt ihnen stattdessen die Verkostung verschiedener Sorten. Auch ich als Allergiker muss nicht verzichten, denn wie Juniorchef Rolf Lühs erläutert, hat sich die Sorte Santana diesbezüglich bewährt.
Als wir die Fahrt fortsetzen, verändert sich die Szenerie kaum: Bauernhäuser, Obstplantagen und propere Dörfer prägen das Alte Land und machen es zu einer der gepflegtesten Kulturlandschaften in Deutschland. Nächstes Etappenziel unseres Roadtrips durch den Norden ist Stade.
Etappenziel Stade
In der Hansestadt geben wir unserem frühlingshaften Übermut nach, und begeben uns an Bord eines Flüsterboots. Der Kahn umrundet die ehrwürdige Stadt auf dem Burggraben – eine Perspektive, die sich gut eignet, um Stade als bevorzugten Wohnort zu identifizieren.
Der Durchbruch zum fließenden Gewässer, der in die Elbe mündenden Schwinge, ist jedoch für die Passage zu klein.
Später können wir bei einem Rundgang durch die museale Innenstadt doch noch einen Blick auf den Fluss werfen, dessen Wasserspiegel sich weit unterhalb der Kaimauern befindet. Aufwendig verzierte Giebelhäuser und norddeutsches Backsteinfachwerk verleihen Stade ein vornehmes Antlitz.
Zu Monumenten umgewidmete Hafenkräne erinnern an die glorreiche Vergangenheit als tonangebende Handelsstadt der Hanse.
Roadtrip durch Norddeutschland: Endlich an die Nordsee
Am frühen Abend wir das letzte Etappenziel unseres Roadtrips durch den Norden von Deutschland: Neuharlingersiel. Der kleine Küstenort ist für seinen Hafen bekannt, wo die Fähren nach Spiekeroog ablegen.
Als wir auf der Deichkrone stehen und nach Norden blicken, versteckt sich die Nordseeinsel jedoch im Nebel. Dafür ist es windstill an der ostfriesischen Küste, was schon eher die Ausnahme ist. Das Meer ist ebenso glatt wie grau und es scheint nahtlos in den Himmel überzugehen.
Tee und Schwarzbrot mit Nordseekrabben
Angesichts dieser Umstände begnügen wir uns damit, das Dattein zu besuchen Die Kneipe kultiviert das Seemannsleben auf sympathische Weise. Untergebracht ist sie in einem mehr als 300 Jahre alten Haus direkt am Hafen, das mit einem Schwimmdach ausgestattet ist. Dies bedeutet konkret, dass Bewohner und Gäste im Falle einer Sturmflut von Innen hinaufkönnen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Die Tische im Dattein sind auch in der Nebensaison gut besetzt. Einige Gäste trinken dunkles Bier, doch wir entscheiden uns für das ostfriesische Nationalgetränk: eine Kanne Tee. 300 Liter des Gebräus trinkt jeder Ostfriese pro Jahr im Schnitt. Mehr als Chinesen, Japaner oder Briten. Ein erstaunlicher Weltrekord, der ebenfalls von Beschaulichkeit und Ruhe kündet. Dazu gönnen wir uns Nordseekrabben mit Schwarzbrot. Eine traditionelle Spezialität der Region, die wegen abnehmender Bestände zunehmen in Gefahr gerät.
Aufregung im Hafen von Neuharlingersiel
Anschließend gehen wir noch ein wenig spazieren. Als wir nach einer Dreiviertelstunde zurückkehren, herrscht im Hafen so etwas wie Aufregung. Sie gilt der »Polaris«, einem von acht Fischkuttern, die hier ihren Heimathafen haben. Nach einem Tag auf hoher See nimmt die NEU230 mit noch ausgefahrenen Netzen Kurs auf ihren Ankerplatz.
Es hat etwas altmodisch Beruhigendes, wenn das routinemäßige Einlaufen eines Bootes zu den Höhepunkten des Tages zählt. Als gäbe es die ganzen elektronischen Geräte nicht, die unsere Aufmerksamkeit einfordern. Es ist noch früh am Abend, als wir zum Abschluss des Tages einmal das Hafenbecken umkreisen. Bald aber gehen wir ins Bett. Zu einladend ist die Stille, die über Neuharlingersiel liegt, als wollte sie gemeinsam mit dem Nebel eine bleierne Schwere erzeugen, die den Körper zu Ruhe verurteilt.
Wattwanderung zum Abschluss
Nach einer langen Nacht mit tiefem Schlaf im Hotel Rodenbäck machen wir uns auf, die nächste Erholungsstufe zu erklimmen. Wir haben uns für eine Expedition ins Wattenmeer angemeldet. Gegen 10 Uhr hat sich das Wasser weit zurückgezogen. Man könnte jetzt ins acht Kilometer entfernte Spiekeroog laufen, wenn nicht in einem für die Schifffahrt ausgehobenen Priel immer Wasser stehen würde. So ist eine Wattwanderung theoretisch nur zur Nachbarinsel Langeoog möglich – für trainierte Menschen in Begleitung eines erfahrenen Guides.
Wir begnügen uns mit zwei Stunden vor der Küste, wo uns der Biologe Bernd Koopmann zur Seite steht. Als Mann aus der Region hat er von Kinderbeinen an viel Zeit im Watt verbracht. Er sagt: »Wer hier lebt, muss entweder bescheuert sein oder sehr gut angepasst. Und wer bescheuert ist, lebt nicht sehr lange.«
Abendlicht über dem Wattenmeer
Damit möchte er zum Ausdruck bringen, wie ungeheuer vielseitig Flora und Fauna dieses besonderen Lebensraums sind. Obwohl wir nur ein paar Muscheln sehen. »Mehr als ein Viertel aller Tierarten und mehr als ein Fünftel als Pflanzenarten Deutschlands sind hier zuhause«, so Koopmann. Entsprechend erfreut war er, als die Unesco das Wattenmeer 2009 zum Weltnaturerbe erklärt hat. In rascher Abfolge macht uns der Naturwissenschaftler mit Wattwurm, Muschelarten und diversen Algen vertraut.
Gegen Ende der Exkursion zeigen sich erste Risse am Himmel. Am Horizont sind nun auch die Umrisse von Spiekeroog zu erkennen. Und als wir uns dem kleinen Hafenbecken nähern, kann sich die Sonne tatsächlich durchsetzen. Sie wirft ein sanftes Licht auf die Fischerboote und die dahinter aufgereihten Häuser. Viel beschaulicher kann es nicht werden. Gut also, dass wir noch einen Tag an der Küste haben. Ganz ohne Termine.
Informationen
Der in dieser Geschichte beschriebene Roadtrip von Egestorf in der Lüneburger Heide bis Neuharlingersiel ist auf drei bis vier Reisetage ausgelegt. Die Streckenlänge beträgt 300 Kilometer.
Mietwagen für den Roadtrip durch Norddeutschland
Unseren Mietwagen haben wir bei Europcar gebucht. Wer einen Wagen am Flughafen Hamburg in Empfang nimmt und wieder abgibt, hat gut 630 Kilometer vor sich. Die Preisspanne beläuft sich auf 150 Euro im Fiat 500 bis 900 Euro in der S-Klasse von Mercedes. Im Tarif inbegriffen ist eine Basisabsicherung gegen Kollisionen und Diebstahl sowie unbegrenzte Kilometer.
Übernachtungen
Egestorf: Hotel Acht Linden (hotel-acht-linden.de)
Hamburg: Lindner Park Hotel Hagenbäck (lindner.de/hamburg-park-hotel-hagenbeck)
Neuharlingersiel: Hotel Rodenbäck (hotel-rodenbaeck.de)
Allgemeine Informationenzum Roadtrip durch Norddeutschland
Weitere Informationen findest auf der Webseite der Lüneburger Heide (lueneburger-heide.de), bei Stade Tourismus (stade-tourismus.de), auf Hamburg Tourismus (hamburg-tourism.de) und auf der Webseite von Neuharlingersiel (neuharlingersiel.de) .
Text und Bilder: Ralf Johnen, April 2023. Der Autor war auf Einladung der Deutschen Zentrale für Tourismus sowie des Tourismusnetzwerks Niedersachsen auf dem Roadtrip durch Norddeutschland.
2 Comments
…ein weiterer hochprofessionell und gleichzeitg vorbehaltlos uns liebevoll geschriebener Bericht mit tollen Fotos, der zur Wiederholung einer Reise in die Heide und nach Hamburg einlädt. Manni
Ja, es muss nicht immer das Ende der Welt sein!