Ein Hauch von Sozialismus, coole Vibes und Aufbruchsstimmung allerorten – Stadturlaub in Sofia ist spannend, aber ein klein wenig anders.
Auf den Betonplatten vor dem Nationalen Kulturpalast haben sich ein paar improvisiert wirkende Cafés angesiedelt. Kompositionen aus der Computerwelt wummern aus den Boxen. Das Thermometer zeigt 38 Grad und die Jugend von Sofia hängt ermattet unter den Sonnenschirmen. Mancher blickt wehmütig auf die Gipfel des Vitosha-Gebirges hinaus, das sich hinter dem wuchtigen Mahnmal sozialistischer Baukunst erhebt. Wenig mehr als 20 Kilometer sind es bis zu dem Gebirgszug, der sich bis auf 2280 Meter hinter der bulgarischen Hauptstadt erhebt.
Wer es sich leisten kann, verbringt die heißen Sommertage auf den Flanken der Berge. Doch auch im Winter sind sie beliebt – kaum eine Hauptstadt kann mit einem Skigebiesich so dicht vor den Toren der Stadt befindet. Die meisten Sofioter aber müssen mit dem gleichnamigen Boulevard vorlieb nehmen, der sich auf der anderen Seite entlang des Yuzen-Parkt aufwarten, dasausbreitet. Immerhin ist es hier schön ruhig – seit die Stadtväter die Hauptschlagader der Metropole kürzlich für den Verkehr gesperrt haben, stören hier nur die archaischen Straßenbahnen die freie Entfaltung des Stadtlebens.
Es ist eine Urbanität, wie man sie zurzeit in den Metropolen von Osteuropa so häufig vorfindet: Verfallene Villen bröckeln mit benachbarten Plattenbauten um die Wette, dazwischen wecken die Niederlassungen global agierender Unternehmen mit glitzernden Schaufensterauslagen Lust auf Konsum. Und allerorten versuchen Gastronomen mit gar nicht einmal schlechtem Erfolg, das kulinarische Niveau auf internationale Standards anzuheben. Mit ungestümer Energie also baut auch in Bulgarien eine neue Generation an einem anderen Land. Dazu gehören kreative Klamotten, Freundlichkeit gegenüber Besuchern, unübersehbare Lebensfreude – und im Sommer eben auch die netten Cafés mit einem Flair, das an Ibiza erinnert.
Begegnung mit der Stadtpatronin
Der Wandel vollzieht sich rapide und nicht jeder Eingriff ruft Begeisterung hervor: Zwar thront am Ende des Vitosha-Boulevard nicht mehr Lenin, sondern das nagelneue Abbild der Stadtpatronin Sofia auf einem Sockel.
Doch nur einen Steinwurf entfernt ist das einst glamouröse Kaufhaus »Cum« zu einer gesichtslosen Shoping-Mall mutiert. Und einige architektonische Überbleibsel des Sozialismus werden der Stadt wohl dauerhaft erhalten bleiben. Allen voran die mächtige, im Zuckerbäckerstil errichtete Zentrale der Kommunistischen Partei, die heute demokratische Instanzen beherbergt.
Ebenfalls auf russisches Gedankengut – wenn auch auf die Zeit vor der Oktoberrevolution – geht die meist besuchte Sehenswürdigkeit zurück: Die neobyzantinische Aleksander-Nevski-Kathedrale, deren mit Gold verzierte Kuppeln weithin sichtbar sind. Typisch für Sofia ist, dass sich auf dem Boulevard, der dorthin führt, ein Flohmarkt mit sehr unwestlichen Warensortiment befindet: Pickelhauben, antike Waffen und Embleme verbotener militärischer Organisationen geben der Sache einen eigenen Charakter.
Apropos Markt: Kein Besucher sollte auf eine Visite des Frauenmarktes verzichten, der sich etwas abseits der City die »Car Samuil« entlang schlängelt. Hier stapeln sich noch Paprikas, Tomaten oder Kirschen, denen man ansieht, dass sie nicht nach Industrienorm gefertigt werden. Es riecht nach gegrillten Sardellen und streng gewürzten Würsten, die kaum mehr als 20 Eurocent kosten. Hinter den Kulissen geht es unterdessen rustikal zu: Männer und Frauen mit Charakterköpfen beschimpfen sich gegenseitig lautstark. Dazu wird heftig geraucht und schon früh Bier getrunken. Die Menschen hier sind arm aber sie sind zäh.
Stadturlaub in Sofia: Traditionelle Küche
Die Tradition aber ist in Sofia auf dem Rückzug. Wer kann, öffnet sich den Gepflogenheiten des zeitgenössischen Metropolenbewohners. Vessi zum Beispiel hatte das Glück, bis nach Australien zu kommen, wo sie in die Geheimnisse der Rebstockzucht eingeweiht wurde. Zurück in der Heimat hat sie die erste Weinbar der Stadt eröffnet. In einem Seitentrakt der Militärakademie (Tsar Osvoboditel Boulevard 9) serviert sie die Produkte aufstrebender bulgarischer Winzer, die sie alle persönlich kennt. Dazu gibt es eine kalte Gurkensuppe, die mit Dill, Nüssen und scharfen Chilis gewürzt ist. Eine herrlich erfrischende Speise.
Abkühlung verschafft auch ein Ausflug in den Vorort Boyona. Hier, am Fuße der Berge, lebt die High Society. Zudem befindet sich hier die Boyana Kirche, der vielleicht kleinste Eintrag auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbe: Das seit dem 11. Jahrhundert in mehreren Abschnitten errichtete Sakralbauwerk ist kaum größer als ein Schuppen. Besonders bemerkenswert ist sein Portal, das maximal 150 Zentimeter hoch ist.
Ein Ufo-artiges Scheusal
Ungleich bombastischer fällt hingegen das Nationalhistorische Museum aus. Es liegt hoch über der Stadt und befindet sich in einem Ufo-artigen Scheusal, das die Kommunisten „nach dem Geschmack der Zeit“ entworfen haben. Im vorgelagerten Park konkurrieren Überbleibsel aus der Römerzeit mit Relikten aus dem Zeitalter der Planwirtschaft um die Aufmerksamkeit der Besucher. Eine eigenwillige aber faszinierende Sammlung, die aus Sarkophagen,
Kampflugzeugen, Grabsteinen und Trabbis besteht. Da verblasst das Innere, wo nur vereinzelt kunstbeflissene Touristen dem Vermächtnis der Thraker gebührenden Respekt zollen.
Aufschlussreich ist auch ein Ausflug auf die Terrasse, welche sich einer verruchten Parkanlage öffnet. Hier nämlich schließt man rasant Bekanntschaft mit jenen Banden, die Einheimische als größte Gefahr in einer ansonsten sicheren Stadt bezeichnen: Abgemagerte Hunde, die furchtlos das Areal durchstreifen. Ihre Vorfahren waren ausgesetzt worden, als die Wirtschaft nach dem Ende des Kommunismus kollabiert war – mittlerweile haben sich regelrechte Populationen gebildet. Doch die Bulgaren haben mehrheitlich ein Herz für Tiere: Töten kommt für sie nicht in Frage und Kastration halten sie für inakzeptabel.
Stadturlaub in Sofia: Sin City
Der andere Gefahrenherd hat mit den Aufklebern zu tun, die auf den Eingangstüren zu Nachtclubs und einigen Bars angebracht sind: Von einem diagonalen Balken durchzogene Schusswaffen. Wie in vielen anderen Städten hat die organisierte Kriminalität in Sofia Fuß gefasst. Auch auf dem Eingang zum „Sin City“ ist ein solcher Sticker zu sehen. Wer jedoch die Türsteher passiert hat, kann sich auf ein ungewöhnliches Vergnügen freuen.
Zunächst gilt es einen Tisch klar zu machen, auf dem alsbald die obligatorische Flasche Wodka mit einer Auswahl von Verdünnern platziert wird. Zu gegebener Zeit betritt eine Frau den Laufsteg, um auf ihrer Mandoline zu spielen. Kurz darauf folgen Musiker mit Gitarren, Drumsets und einem Akkordeon. Spätestens wenn die Techno-Beats aus den Lautsprechern hämmern, gerät die Lage außer Kontrolle. „Chalga“ nennt sich diese bulgarische Variante der auch bei uns so populären Balkandisco. Es gehört zum Ritual, dass die Leute auf den Tischen tanzen.
Nicht schlecht für eine Stadt, von der es heißt, dass sie allenfalls von Fußballmannschaften bereist wird, wenn sie im Uefa-Pokal lästige Ost-Gegner eliminieren müssen. So gut sogar, dass Sofia nicht nur für experimentierfreudige Reisende eine echte Alternative zum herkömmlichen Städtetrip ist. Eine Metropole, von der wir noch hören werden.
Informationen zum Stadturlaub in Sofia
Schau auf die Seite von Visit Sofia.
Anreise: Wenn du mit dem Auto nach Bulgarien fährst, solltest du beachten, dass Mautgebühren fällig werden. Die erforderliche Plakette kannst du bei Mautgebuhren umkompliziert bestellen.
Mit dem Flugzeug, kannst du mit Lufthansa bis zu sechs Mal täglich über München oder Frankfurt nach Sofia gelangen.
Übernachtung: Das Hilton Sofia (1, Bulgaria Blvd) ist ein moderner Hotelpalast im Laufentfernung zur Innenstadt, Zimmer ab 117 Euro. Das Arena di Serdica (2-4, Budapeshta Str.) ist ein Boutique-Hotel mitten in der Stadt, ab 150 Euro.
Preise: Abgesehen von Übernachtungen in Hotels gehobener Kategorie und international erhältlichen Konsumgütern ist das Preisgefüge sehr günstig, die meisten Sachen kosten im Vergleich zu Deutschland weniger als die Hälfte. 100 bulgarische Leva entsprechen ungefähr 50 Euro.
Verständigung: Die meisten Schilder sind in kyrillischer Schrift verfasst, man kommt jedoch auch mit Englisch passabel bis gut zurecht. Vierteljährlich erscheint kostenlos auf englisch „Sofia – the insider’s guide“, in dem zwei Frauen aus Sofia auf sehr gute Weise die neuesten Trends auffangen.
Text und Bilder zur Geschichte über Stadturlaub in Sofia: Ralf Johnen, zuletzt bearbeitet im Mai 2023.
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