Die Hippies von Ibiza hatten einen sehr guten Riecher, als sie sich ihre Wahlheimat ausgesucht haben – und sie sind ziemlich geschäftstüchtig. Dieser Eindruck hat sich gerade aufgedrängt, als ich zuletzt die Insel erkundet habe. Schließlich hat das zweitgrößte Balearen-Eiland in den vergangenen Jahren einen beispiellosen Aufstieg erlebt: Noch vor 50 Jahren herrschten hier Armut und ein Gefühl von Isolation. Später erhielt eine durchaus zweifelhafte Party-Kultur Einzug. Heute jedoch geben sich die Promis die Klinke in die Hand.
Egal, ob sie nun Cristiano Ronaldo, George Clooney, Leo di Caprio oder Naomi Campbell heißen: Die Stars aus Sport und Show-Business legen Zehntausende für die Miete ihrer Feriendomizile hin. Wer längerfristige Absichten verfolgt, muss für eine standesgemäße Villa mit Pool und Meerblick einen stattlichen Millionenbetrag hinblättern.
Freiheit statt Luxus
Dies alles mag protzig wirken, entspringt aber letztlich ähnlichen Gedanken, wie die Suche der Hippies nach einer neuen Heimat fernab einer geregelten Arbeit und den kontrollierenden Blicken aus grauen Amtsstuben. Der große Unterschied indes ist: Die Hippies wollten nicht Luxus, sondern Freiheit – und sie konnten sich in den ausklingenden 50er und beginnenden 60er Jahren ungehindert breit machen. Grundstücke, die auf dem platten Land der unbarmherzigen Sonne ausgesetzt waren, kosteten ebenso wenig, wie die weiß getünchten Steinhäuser der Ibizenkos, wie sich die Einheimischen nennen.
Auch bei den Hippies von Ibiza aber konnte der Schornstein nicht allein von Liebe rauchen. Weil es sich bei den Aussteigern oftmals um kreative Geister wie Designer, Musiker und Architekten handelte, begannen die vermeintlichen Blumenkinder schon bald mit Gegenständen zu handeln, die sie nach den Bedürfnissen ihres Lebensstils modellierten: weiße Baumwollkleider, Korbhüte oder Zubehör für VW-Busse (und andere mobile Unterkünfte).
Weil es sich auch dabei um nichts anderes als Waren oder Produkte handelte, haben die Hippies von Ibiza Märkte ins Leben gerufen. Diese prosperieren bis heute, ja sie sind sogar zu einer eigenständigen Touristenattraktion geworden.
Las Dalias: Die Mutter aller Hippiemärkte
Der bekannteste Markt, den die Hippies von Ibiza ins Leben gerufen haben, ist Las Dalias. Jeden Samstag (März bis Oktober 10 bis 20, sonst 10 bis 18 Uhr, neuerdings von Juni bis September auch als Nachtflohmarkt, Mo bis Di 10 bis 19 Uhr) ereignet sich vor den Toren des kleinen Ortes Sant Carles ein beispielloses Schauspiel.
An Hunderten von Ständen werden Batik-Tücher, Modelle von pastellfarbenen VW-Bussen, hochhackige Espadrilles und Bio-Kosmetika angeboten. Pauschaltouristen werden in Reisebussen angekarrt. Der Verkehr rundum das Areal kommt zum Erliegen.
Das mag man für kommerziell halten. Vielleicht aber ist der Erfolg auch nur die Bestätigung dafür, dass die Hippies Recht hatten mit der Schaffung einer alternativen Konsumwelt. Diese übrigens ist über die Jahre nicht nur zu einer Attraktion, sondern auch zu einem Exportgut geworden: einmal im Jahr zieht der ganze Tross in die Ferne, um auch die Bewohner von Amsterdam oder Berlin an Las Dalias teilhaben zu lassen. So wie das mit Erfolgskonzepten nun einmal ist in unserer globalisierten Welt.
Weitere Hippie-Märkte
Der Erfolg von Las Dalias hat Nachahmer auf den Plan gerufen – da unterscheiden sich die Hippies von Ibiza nicht sonderlich von anderen Menschen. So konnten sich die Ibizenkos bald über weitere Hippie-Märkte freuen. Kurios etwa ist der Markt von Punta Arabí.
Am Rande des Touristenortes Es Canar wird eine ansonsten recht gewöhnliche Ferienanlage mittwochs Gastgeber Hunderter Stände (April bis Oktober 10 bis 19 Uhr) mit Hippie-Bedarf. Das Warenangebot ist durchaus ähnlich wie bei Las Dalias, wobei Reggea-DJs und Jongleure für Kurzweil sorgen.
Deutlich abgerockter geht es auf dem Mercadillo Cala Llenya zu. Auf dem Schotterparkplätz kurz oberhalb der gleichnamigen Bucht wird sonntags in der Früh (9 bis 16 Uhr) kaum mit Neuware gehandelt. Dafür hängt schwerer Bluesrock in der Luft – und der Geruch von Bratwürsten deutscher Herkunft. Der Stand mit »Salchicha Alemana« hat auf der Insel eine gewisse Berühmtheit erlangt.
Weniger auf Hippie-Bedarf ausgerichtet ist der Sonntagsmarkt im hübschen Sant Joan de Labritja. Im zauberhaften Inselnorden kommen eher regionale Produkte wie Olivenöl, der Kräuterlikör Hierbas oder Lavendelhonig auf die Verkaufstische (jeden Sonntag von 10 bis 16 Uhr). Die Atmosphäre ist wunderbar entspannt, die Kulisse fast schon verträumt.
Andere Pilgerstätten
Die Hippies von Ibiza aber sich keineswegs nur dem Kommerz verschrieben. Viel mehr haben sie bestimmten Orten eine magische Wirkung zugeschrieben. Unabhängig davon, ob sie dabei nüchtern gewesen sind oder sich an halluzinogenen Substanzen berauscht haben, kann man ihnen dabei durchweg Geschmackssicherheit attestieren.
Magische und magnetische Kräfte: Es Vedra
Die bekannteste Ikone der Hippies von Ibiza ist sicherlich Es Vedra. Die Insel baut sich vor der Südwestküste Ibizas auf und erreicht dabei eine Höhe von 385 Metern. Wenn dieses Szenario vom Sonnenuntergang orchestriert wird, kann man schon mal ins Phantasieren geraten. Die Hippies von Ibiza hielten den Berg für die letzten Überreste der versunkenen Stadt Atlantis. Andere Geschichten drehen sich um magische Kräfte oder wahlweise um eine magnetische Wirkung, die sich auch auf Ufos anziehend auswirken soll.
Rund einen halben Kilometer östlich des Felsvorsprungs, der Es Vedra am nächsten ist, wird die Sache noch geheimnisvoller: Hier beginnt ein abenteuerlicher Abstieg über die Klippen, der direkt nach Atlantis führen soll. Tatsächlich zeigen sich knapp über dem Meeresspiegel rätselhafte Formationen, die mit einem gehörigen Maß an Phantasie als Reste einer versunkenen Stadt ausgelegt werden könnten. Doch in diesem Fall sind den Hippies die Pferde durchgegangen, denn es handelt es sich um den Steinbruch »Sa Padrera«. Hier wurden schlicht und einfach große Blöcke aus der Felswand geschnitten, um diese bei der gigantischen Stadtmauer von Eivissa zu verbauen.
Trommeln bis zum Untergang: Cala Benirras
Während sich Es Vedra zum Träumen eignet, haben sich die Hippies von Ibiza an anderer Stelle einen Ort geschaffen, an dem es um Rhythmus geht. Dabei bildet der Rhythmus der Natur den äußeren Rahmen, denn der Sonnenuntergang steht im Mittelpunkt des Geschehens. Jeden Sonntag begleiten Männer mit Pferdeschwänzen und gestählten Oberkörpern das Naturereignis auf ihren Trommeln, was die Hippie-Mädchen der Gegenwart dazu veranlasst, ausgelassen über den Strand zu tanzen und möglichst viele Blicke auf sich zu ziehen.
Kurz vor der Apotheose begeben sich echte Poserinnen dann ins Wasser, um sich unter dem Beifall Tausender Sonnenuntergangsanbeter möglichst unbekleidet in den Fluten zu winden. Kein unsympathischer Brauch, wenn ich es mir recht überlege.
Anlaufstation für alle Alt-Hippies: Die Bar Anita
Deutlich unspektakulärer geht es in der Bar Anita (Lugar Barri in San Carlos) zu. Ganz in der Nähe von Las Dalias haben sich die Einwanderer mit den langen Haaren und dem Bedürfnis nach einem alternativen Lebensstil schon in den 1960ern zum Meinungsaustausch und zum gemeinsamen Verzehr von Alkoholika und Rauchwaren getroffen.
Die Bar zeugt bis heute von einem Leben in einer dramatisch anderen Zeit: Die Telefonzelle war die einzige in der näheren Umgebung. Und wer seine Post lesen wollte, musste sie hier aus den personalisierten Briefkästen holen. Promis, Millionäre, Kreuzfahrer und Pauschaltouristen gab es damals noch nicht auf der Insel. So bleibt die leicht nostalgische Schlussfolgerung. Die Hippies von Ibiza waren nicht nur Lebenskünstler und gute Geschäftsleute, nein sie waren Visionäre. Ich beneide sie ein wenig, denn ich hätte auch ganz gerne ein kleines Landhäuschen auf meiner Lieblingsinsel.
Weitere Geschichten über Ibiza: Ich habe auch ein Buch über Ibiza geschrieben, das hier erhältlich ist.
Weitere Informationen
Die Geschichte ist in Kooperation mit Alltours entstanden.
Text und Bilder: Ralf Johnen, Juni 2017.
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