Ich habe eine gewisse Schwäche für Panama City Beach. Das geht ziemlich weit zurück. Die unwahrscheinliche Geschichte über eine Romanze mit der Redneck Riviera.
Als ich das erste Mal in Panama City Beach war, wummerten in Florida Dr. Dre und Ice Cube aus allen Boxen. Jeder, der etwas auf sich hielt, hatte an der Redneck Riviera lila Neonleuchten unter seinen Wagen montiert und cruiste damit über den Strandboulevard.
Pappmascheemonster und Flutlichtminigolf
Auf der Landseite konnte man zwischen Pappmascheemonstern Flutlichtminigolf spielen oder für zwei Dollar ein Junkfood-Menü abgreifen. Auf der anderen Seite waren dieser strahlend weiße Strand und der azurblaue Golf von Mexiko zu sehen. Wenn man nicht grade das Unglück hatte, sich im Schatten brachialer Betonburgen zu bewegen.
Panama City war immer damals in »heavy rotation« auf MTV. Schon vor dem offiziellen Anbruch des Zeitalters von Abercrombie & Fitch haben dort enthemmte Studenten ihre aufgepumpten Oberkörper entblößt und ihre weiblichen Gespielinnen dazu ermuntert, sich auf Laufstegen ihre Tops benetzen zu lassen – im besten Fall mit Wasser.
Panama City Beach in Florida: We sell beer on Sundays
Es war definitiv eine andere Zeit, als ich damals als studierender Lufthanseat in Begleitung zweier Kollegen in einer DC 10 nach Atlanta geflogen bin, um von dort aus die ebenso prüde wie würdevolle Südstaatenopulenz Georgias kennen zu lernen, ehe wir an der Grenze zu Florida dieses Schild gesehen haben: »We sell beer on sundays«. Und ich habe diese Zeit geliebt. Schließlich sollten wir für 39 Dollar in einem riesigen Zimmer hausieren: Howard Johnson, mit sorgfältig abgepackten Seifenrationen, Kabelfernsehen und Blick aufs Meer.
Wir würden am Strand auf unseren Betten rumhängen, uns NBA-Spiele und süßliches Dosenbier reinpfeiffen (»Milwaukee’s Best«?), bis endlich der Club La Vela aufmacht. Es war Standard, dass man dort unabhängig vom persönlichen Bewusstseinszustand mit dem Auto hingefahren ist. Schließlich hatten die Taxis keine Neonleuchten unter der Karosse. Und laufen ging schon gar nicht, denn dann hielten einen die Cops für abgefuckte Crack-Ratten, die sich keine Karre mehr leisten konnten.
Die größten Clubs der USA
Die paar Kilometer im Buick aber haben sich immer gelohnt. Zum Glück waren wir vor dem eigentlichen Spring Break in PCB. Sowohl der »Club La Vela« als auch der angrenzende »Spinaker« waren für uns, die wir uns gerade erst aus dem Teenageralter verabschiedet hatten, ein Traum: Bars, die zum Meer hin offen waren. Techno-Floors. Riesige Pools und billige Drinks.
So konnte eine Woche ziemlich schnell vorübergehen. Und abgesehen davon, dass ich mich bei den nächtlichen Bädern im Meer immer davor gefürchtet habe, in einen Stachelrochen zu treten, ist nicht so viel aufregendes passiert. Doch seitdem wollte ich unbedingt eines Tages zurück nach Panama City Beach.
Die Redneck Riviera
Vordergründig gab es da nicht viele Gründe für. Schließlich gilt der langgezogene Küstenort als Hauptstadt der »Redneck Riviera«, ein Name, der auf die Popularität der Region unter konservativen, weißen Südstaatlern zurückgeht. Die Architektur, das hatte ich bereits angedeutet, ist von ästhetisch fragwürdigem Wert. Und auch das ganze Tohuwabohu in Sachen Entertainment würde nach aktueller Einschätzung nicht unbedingt meinen zeitgenössischen Präferenzen entsprechen.
Eine Reunion im klassischen Sinne kam leider nicht in Frage, da einer der beiden Begleiter von damals inzwischen zu einem verwirrten AfD-Jünger geworden ist, der noch beim Zähneputzen seine Paranoia pflegt, statt ein Leben zu führen. Immer wenn ich daran denke, werde ich traurig. Aber das nur am Rande.
Panama City Beach: Check-in im 21. Stock
Ich jedenfalls habe vor Freude gebebt, als ich durch den Auftrag für meinen Florida-Reiseführer die Chance hatte, tatsächlich wieder nach PCB zu gelangen. Schon die Ankunft im zweiten Januardrittel war denkwürdig: Nach einem formidablen Tag an der sogenannten forgotten coast wollten wir in unserem Domizil einchecken: Ein Klotz des Ferienwohnungsgiganten Wyndham, in dem nach meiner ersten Einschätzung eine ganze Kleinstadt aus dem Mittleren Westen Unterschlupf finden könnte.
Es war schon nach 19 Uhr, was spät ist in weiten Teilen der USA. Doch eine Nachricht mit dem Zugangscode zu unserem Appartement war artig in einem Holzbriefkasten aufgebahrt, dessen eigenen Zugangscode ich nach einem Telefonat mit einer wo auch immer stationierten Dienstleistungsdrohne erhalten habe. Schließlich konnten wir in den 21. Stock fahren, wo sich unsere Unterkunft für die kommenden beiden Tage befinden sollte.
An der Redneck Riviera gilt: Meerblick für alle
Allein funktionierte der Code nicht. Um es kurz zu machen: Nach zwei Stunden, etlichen Telefonaten und der unglaublich energischen Unterstützung eines Nachtwächters namens Curtis (dem wir zum Dank ein Glas Honig geschenkt haben), haben wir ein Ersatzappartement im dritten Stock bezogen. Uns beiden war das angesichts der niedrigen Balkongeländer letztlich lieber so.
Die Wohnungen, von denen wir nun eine bezogen hatten, gehören in der Regel irgendwelchen Yuppies, die zwecks Abbezahlung ihrer Kredite bei Abwesenheit einen Agenten einschalten. Dabei gilt die architektonische Devise: Meerblick für alle! Dabei kultivierten unsere »landlords« bei der Inneneinrichtung einen dezidiert amerikanischen Geschmack: alles in der Wohnung war groß, bequem und ziemlich braun. Nur der Kühlschrank war eine Ausnahme: er war silbern – und bald darauf die neue Heimat für zwei Sixpacks IPA.
Verdammt gute Austern
Nach dem etwas holprigen Check-in sind wir wider besseren Wissens zu Fuß ins nächste Restaurant gelatscht: »Dusty’s Oyster Bar«, eine Kaschemme ohne Webauftritt, in der das Personal T-Shirts mit derben, heute würde man sagen: sexistischen Sprüchen trägt, wo ungeachtet der Tatsache, dass wir uns im Jahr im 21. Jahrhundert befinden, Südstaatenrock läuft – und wo es verdammt gute Austern gibt. Vorausgesetzt man verzichtet auf die Panade. Nach einigen Yuenglings fallen wir ermattet ins Bett.
Recht früh am Morgen klingelt das Telefon. Ich rechne damit, dass die rechtmäßigen Besitzer nun ihr Appartement beanspruchen. Doch es ist nur David, der hier lebt und der mir gerne ein paar Tipps für das Buch geben würde. Um das Eis sofort mal zu brechen, erzähle ich ihm nach seiner Ankunft von meiner Absicht, »Dusty’s« auf jeden Fall einen Platz im Buch einzuräumen. Ich mag den Laden und seinen derben Humor.
Donuts in Pleasantville
Doch David pariert tapfer und schlägt vor, dass wir uns einen prächtigen Tag machen. Dazu muss man wissen, dass Januartage in Nordflorida zum Sterben schön sein können: Kalte Nächte. Dann ein wenig Nebel. Und schließlich Sonne, Sonne, Sonne und windstille 20 Grad.
Wir fahren zum Pier. Ziehen uns Grits und Pastries zum Frühstück bei Thomas’s Donut Shop rein. Wir erkunden die pastellfarbenen Häuser von Carillon Beach, die mich an den Film »Pleasantville« erinnern (hier staunen wir besonders über die herrlichen Holzbrücken zum Strand). Wir erkunden zwei meiner heiß geliebten (und chronisch alligatorverseuchten) State Parks, die direkt ans Stadtgebiet angrenzen.
Shell Island ist der schönste Strand in Panama City Beach in Florida
Am Nachmittag schließlich meint David, dass es nun wohl an der Zeit wäre mit einem Pontonboot nach Shell Island zu fahren. Shell Island ist eigentlich nur eine Halbinsel. Doch sie ist ausschließlich mit dem Boot über die St. Andrew’s Bay zu erreichen. »Lass uns Sandwiches holen und dann schauen wir nach den Delphinen«, meint David noch.
Shell Island ist schmal und unbewohnt. Ein karibisch anmutender Traum mitten im Panhandle – und ein herrliches Revier für eine Winterwanderung. All das hatten wir damals in den 90ern nicht gesehen, obwohl ein Shuttle hingefahren ist. Am Abend dinieren wir im »Fireflies«. Trockene Martinis und als Entree (keine Ahnung, wer es zu verantworten hat, dass die Amis so ihren Hauptgang apostrophieren) ein Thunfischsteak in Sesamkruste.
Südstaatenflair an der Redneck Riviera
David plaudert aus dem Nähkästchen. An vielen Orten in den USA hat er gelebt, zuletzt in »funky« Nashville. Aber an keinem Platz fühlt er sich so wohl, wie daheim in PCB. Es mag nicht der Nabel der Welt sein. Doch das Klima, der Strand und das Meer – all das habe schon was Unersetzliches: »The more you go north, the more south Florida gets.“
Ich kann ihm nur zustimmen und sehe mich, vielleicht eines gar nicht so fernen Tages, mal einen ganzen Januar hier verbringen. Irgendwo muss dieses ganze Gerede von den digitalen Nomaden zu gut sein.
1000 Dollar Monatsmiete
Und für 1000 Dollar im Monat ist so ein Strandappartement in Panama City Beach zu haben. Mit Meerblick vom fetten Boxspringbett, mit dicken Sofas und 60-Zollglotze.
Ein angenehmer Gedanke – auch ohne Besuchen im Club La Vela, der außerhalb der Saison nur sporadisch auf hat (und zu dessen Zielgruppe ich mich nicht mehr zähle). Aber ich könnte Ausflüge machen. Nach New Orleans, wo wir es damals nicht hingeschafft haben. Oder, um mit Dylan zu sprechen: »We were stuck inside of Mobile.« Und dann haben wir uns unverzüglich zurück nach Panama City Beach bewegt.
Informationen über Panama City Beach in Florida
Anreise
Wer ein Gefühl für die Südstaaten bekommen möchte, sollte nach Atlanta fliegen und von dort aus die 450 Kilometer mit dem Mietwagen runterfahren. Antizyklisches Reisen ist auf jeden Fall empfehlenswert: Im Winter ist es herrlich und leer in PCB, im Frühling kommen die partywütigen Studenten und im Sommer massenweise Südstaatler.
Sehenswertes an der Redneck Riviera
Carillon Beach: Die Fassaden der nagelneuen Villen sind in heiteren Farben gestrichen. Einige Anwesen verfügen über einen eigenen Strandzugang. Außerdem sind die palmengesäumten Straßen verkehrsberuhigt. Wenn alle Menschen ihre Träume verwirklichen könnten, sähe die Welt möglicherweise aus wie die Vorzeigesiedlung Carillon Beach im Westen von Panama City Beach. Auch wenn sie nicht so gut sichtbar sind: Zwischen den Häusern führen einige Holzstege zum (öffentlichen) Strand.
Shell Island: Der schönste Flecken Land weit und breit. Shell Island ist zwar technisch gesehen nur eine Halbinsel, die über einen kleinen Zipfel mit dem Festland verbunden ist. Dennoch ist sie nur auf dem Wasserweg erreichbar. Wer es per Shuttle oder Pontonboot hierhin geschafft hat, kann einen fast elf km langen Landzipfel erkunden, auf dem lediglich zwei Häuser stehen. Ansonsten gibt es hier nur: Feinen weißen Strand aus Quartz, der unter den nackten Füßen knirscht, smaragdgrünes Wasser, Dünen – und Unmengen Muscheln. Irgendwo muss der Name der Halbinsel ja herkommen (Shuttle ab St. Andrews State Park, März–Oktober alle 30 Min, 25 $).
Einkaufen in Panama City Beach
Pier Park: Die Seelenlosigkeit amerikanischer Einkaufszentren kann zuweilen sehr deprimierend sein. Was das betrifft, markiert der nagelneue Pier Park eine Ausnahme: Palmen und pastellfarbene Fassaden schmeicheln dem Auge. Zudem befinden sich die 120 Geschäfte unter freiem Himmel. Für alle, die unter akutem Heimweh leiden: In Strandnähe lockt ein Hofbräuhaus mit Freiluftbiergarten. »German Gemütlichkeit« made in Florida (600 Pier Park Drive, www.simon.com/mall/pier-park, Mo–Sa 10–20 Uhr, So 12–18 Uhr).
Essen & Trinken an der Redneck Riviera
Das beste Frühstück: Andy’s Flour Power Café & Bakery, Eigentümer John Certo steht gerne früh auf. Nur so kann er gewährleisten, dass sein Frühstückslokal täglich selbstgemachtes Brot auf den Tisch bringt. Diese Art von Anstrengung wiederum belohnen die Bewohner von PCB mit bedingungsloser Treue. Auch die Cheese Grits und die Omeletts sind delikat, gelegentlich schaut John zum Schwätzchen vorbei (3123 Thomas Drive, 850 230 00 14, 7–14 Uhr, So ab 8 Uhr).
Gute Bierauswahl: The Craft Bar, ein Gastropub mit behaglichem Ambiente, sorgfältiger Bierauswahl und einem Gespür für passende Snacks? Das geht auch am Rande eines Freilufteinkaufszentrums. Sehr gute Fisch-Tacos. Wer noch fahren muss, sollte sich vorab über den Alkoholgehalt der gezapften Biere informieren, denn der ist zum Teil erheblich (15600 Panama City Beach Parkway, 11–23 Uhr, Fr & Sa bis 0 Uhr, So bis 22 Uhr).
Liebling der Locals: Dusty’s Oyster Bar & Eatery, serienweise werden die frischen Austern hinter dem Tresen geknackt, um sie dem Gast in verschiedenen Zubereitungen zu reichen. Dabei geht es in dem von Einheimischen hoch geschätzten Lokal ruppig zu: Lauter Südstaatenrock und derbe Sprüche begleiten die Aufnahme fester und flüssiger Nahrung. Auch der Fisch ist frisch und lecker (16450 Front Beach Road, 11–23 Uhr).
Koch mit Olympiaerfahrung: Firefly, Chefkoch Paul Stellata durfte seinen kurzgebratenen Zackenbarsch bei den Olympischen Spielen von London servieren. In seinem schummrigen Lokal beweist er, dass er sich auf verschiedene Koch-Disziplinen versteht: auch die Sushi sind sehr gut. Die Getränkekarte hat olympische Ausmaße. Kenner greifen zu den gekonnt gerührten Martini-Variationen (535 Richard Jackson Boulevard, www.fireflypcb.com, tgl. ab 16 Uhr).
Club La Vela: Der größte Nachtclub der USA wurde durch die Live-Übertragungen von MTV zur Legende. Pool-Landschaften, offene Strand-Bars und diverse Themen-Dancefloors bürgen für Abwechslung. Die nach außen hin so prüden Amerikaner lassen hier gerne die Sau raus – zum Beispiel in Form von »Wet-T-Shirt-Contests«, bei denen meist junge Damen aus dem kalten Norden etwas fürs Selbstvertrauen tun. Namhafte DJs und Rapper gastieren regelmäßig (8813 Thomas Drive, www.clublavela.com, wechselnde Öffnungszeiten und Eintrittspreise).
Übernachten in Panama City Beach in Florida
Appartement auf Amerikanisch: Tidewater Beach Resort, es mag eine gewisse Überwindung kosten, sich in einem Hochhaus einzuquartieren. Aber die Vorteile liegen auf der Hand: Die geräumigen Appartements befinden sich in Privatbesitz und werden von den Besitzern auch genutzt. Entsprechend komfortabel ist die Einrichtung. Zudem wird der Zweck erfüllt, von Balkon und Bett auf Sonne, Strand und Meer blicken zu können (16819 Front Beach Road, www.wyndhamvacationrentals.com).
Alles weitere unter auf der deutschsprachigen Homepage von Panama City Beach.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im September 2022. Der Autor war mit Unterstützung von Visit Florida in Panama City Beach und an der Redneck Riviera.
Thank you, David Demarest, for showing us around and let us have such a great 36 hours in PCB!
2 Comments
Wonderful photos, Ralf! And I really enjoy your writing style — very funny and entertaining.
Hi David, glad you like the story. It really is more personal than most of my blog entries, because I do have a special relationship to the place. I still love PCB and we had a whale of a time. Thanks again for everything!