Ein gewisser A. Thon aus Coblenz am Rhein suchte für den Vertrieb vor Ort einen »tüchtigen Vertreter«. B. Reichel hatte »Präparierte Kautschuksaat« im Angebot. Und das Hansa-Haus in Moschi am Kilimanjaro hat für die Deutschen vor Ort gar eine Versorgungskette mit Tropenkoffern, Gänsekeulen in Gelee und anderen Produkten aus der Heimat aufgebaut.
Diese Worte lese ich auf einer der hinteren Seiten der »Usambara Post«, dem »Unabhängigen Organ für die Interessen der Wirtschaft in Deutsch Ostafrika«. Das Inserat stammt aus dem Jahr 1913, als die Geschäfte mit der Kolonie offenbar prächtig genug liefen, um Abenteurer ins heutige Tansania zu locken.
Die Verwaltung der Besatzer war damals schon nach Daressalam weitergezogen. Zunächst jedoch hatten sich die Gesandten des Deutschen Reichs 70 Kilometer weiter nördlich in Bagamoyo niedergelassen. Dort sind ihre Hinterlassenschaften seitdem einem langsamen Verfall ausgesetzt.
Die Ausgabe der »Usambara Post« liegt im Katholischen Museum von Bagamoyo. Um dort hinzulangen, müssen wir zunächst eine Allee aus ausgewachsenen Mangobäumen durchqueren. Anschließend finde ich mich auf einem merkwürdigen Anwesen wieder: In der Luft liegt der süßliche Duft der Mangos. Vor mir sehe ich eine gut erhaltene Kirche, ein verfallenes Missionshaus, besagtes Museum und einen prächtigen Baobab.
Im Museum springt mir zunächst der übliche Folklorekitsch ins Auge: Die Geweihe von Savannenbewohnern, regionsspezifisches Kunsthandwerk und so weiter. Bald aber stoße ich auf notdürftig eingerahmte Bleistiftzeichnungen jener Missionare, die zeitgleich mit den Kolonialisten nach Afrika gekommen waren. Es dauert nicht lange, bis ich mich in ihren Hinterlassenschaften verliere.
Wo die Sklaven ihr Herz niedergelegt haben
Grade einmal 150 Jahre ist es her, dass hier Deutsche unterwegs waren, die man heute wohl als »religiöse Eiferer« bezeichnen würde, weil sie das Neuland im Namen von Jesus Christus betreten haben. Vorgefunden haben sie eine komplexe Situation. Ich erfahre, dass Bagamoyo wörtlich übersetzt »Leg dein Herz nieder« heißt. Eine traurige Referenz an die Geschichte der Stadt als Endpunkt einer Sklavenroute, die nach mehr als 1000 Kilometern am Hafen endete. Wer einmal hier gelandet war, hatte keine Chance mehr auf ein Leben, für das ein Herz erforderlich wäre.
Mehrere Hunderttausend wehrlose Menschen wurden von Bagamoyo ins nahe Sansibar und in arabische Länder verschifft. Es war der traurige Tiefpunkt der lokalen Geschichte, die immer wieder von den Ansprüchen von Eindringlingen geprägt war: Perser, Araber, Inder und die Sultane von Sansibar haben sich vor der europäischen Kolonialmacht an Tansania gütlich getan.
Mit dem Wertekanon der Missionare aber war nicht zu vereinbaren, was sie in Bagamoyo vorgefunden haben. Ich lese, dass die Katholiken ab 1868 so vielen Sklaven wie möglich die Freiheit erkauft haben. Dabei hat sich besonders der schottische Missionar und Abenteurer David Livingston hervorgetan. Der liegt in Westminster Abbey begraben. Doch das wäre wohl eine Geschichte für sich.
All dies aber ändert nichts daran, dass ich mich in dem seltsam verlassen wirkenden Museum inmitten eines Kapitels deutscher Historie wähne, das von den beiden Weltkriegen in die Fußnoten der Geschichtsbücher verdrängt wurde: dem Kolonialismus. In Bagamoyo ist es allgegenwärtig. Doch es ist in einem rasanten Verfall begriffen.
Lediglich für die Missionskirche gilt das nicht. Nachdem uns ein freundlicher Herr das Portal aufgeschlossen hat, kann ich offiziell die Wandmalereien begutachten, die nicht nur bunt sind, sondern auch erstaunlich plump. Eine Sonne, eine Friedenstaube und eine Jesusfigur. Das musste genügen für das katholische Heilsversprechen.
Das Missionshaus mit seinen meterdicken Mauern allerdings möchte ich nicht betreten. Als »Old father’s house« steht es hier zu Buche. Doch niemand fühlt sich zuständig für das Bauwerk, das zusehends von tropischen Gewächsen zu verschlungen werden droht. Wenn es in Tansania für irgendetwas Geld gibt, dann bestimmt nicht für den Erhalt der Baudenkmäler der Kolonialherren. Oder?
Eine ostafrikanische Sklavenroute
Nachdem wir dort, wo die Innenstadt ausgewiesen ist, einige hoffnungslos verwitterte Türen aus Sansibar und ein restauriertes arabische Teehaus passiert haben, gerate ich wieder ins Staunen: Die alte Boma, ein mächtiger Solitär mit einst strahlend weißem Anstrich, wird offenkundig doch restauriert. Die 1895-97 erbaute Trutzburg hat bis zu deren Umzug nach Dar, wie Expats und Tansanier den Namen der Kapitale einvernehmlich abkürzen, die koloniale Bezirksverwaltung beheimatet. 1998 ist die Vorderfront eingestürzt. Dennoch soll der Bau Bestandteil einer »Ostafrikanische Sklavenroute« werden, deren Relevanz bereits der UNESCO vorgestellt wurde.
Ich bekomme meinen Bagaymoyo Blues und werde zunehmend melancholisch an diesem merkwürdig vergessenen Flecken Erde. Da haben sich Besatzer, Kolonialisten und sonstige Ausbeuter seit mehr als 800 Jahren die Klinke in die Hand gegeben. Doch ihre Hinterlassenschaften wurden weder beseitigt noch zu Bestandteil der allgegenwärtigen Mahnmalskultur. Vielmehr verwittern sie mit tropischer Trägheit vor sich hin.
Südlich der Stadt etwa stehen die Kaole-Ruinen. Es sind die Rückstände einer ganzen Siedlung, die aus Mitte des 13. Jahrhunderts von den Shirazi aus Korallengestein errichtet wurde. Die Bewohner der persischen Stadt gelten als die ersten Besatzer Bagaymoyos. Sie haben hier unter anderem die wahrscheinlich erste Moschee auf dem afrikanischen Kontinent gebaut, deren Ruine wir barfuß betreten. Zu ihrer Siedlung gehören auch ein paar traurige Gräber. In einem, so erzählt uns ein freundlicher Tansanier, soll ein Ehepaar gelegen haben, das während eines Schiffsuntergangs vor Sansibar ums Leben gekommen ist. Als sie aus dem Indischen Ozean geborgen wurden, so die Legende, waren ihre Körper eng umschlungen.
Wie unser Guide erklärt, sind wir nur ein paar Schritte vom Meer entfernt. An vielen Tagen puhlen Frauen hier die Muscheln, die sie vorher bei Ebbe gesammelt haben. Der Geruch der zurückgebliebenen Schalen ist nicht angenehm. Mit rustikalen Eindrücken dieser Art aber könnte es bald vorbei sein. Hier, wo die Abenteurer John Hanning Speke und Richard Francis Burton 1857 ihre Suche nach den Quellen des Nils gestartet haben, wird wahrscheinlich noch in diesem Jahr mit dem Bau des größten Hafens Afrikas begonnen. Zehn Milliarden Euro wollen die hier allgegenwärtigen Investoren aus China in die Hand nehmen, um die verbliebenen Rohstoffe aus dem südlichen Afrika so schnell wie möglich gen Osten verschiffen zu können.
Wieder geht ein Heilsversprechen damit einher: 20 000 Arbeitsplätze, eine neue Bahnlinie, Anschluss an die Moderne. Oder kurzum – Wohlstand für alle. Noch aber ist es nicht so weit. Ein Umweltverträglichkeitsgutachten liegt noch nicht vor. Zudem gilt die vorgelagerte Lagune als Hindernis – es droht permanente Versandung.
Vielleicht also bleibt in Bagamoyo alles so, wie es ist: Ein träges Städtchen, etwas aus der Zeit gefallen, wo ältere Männer im Schatten einer Palme bedächtig an hölzernen Booten herumzimmern, während die wenigen Urlauber hier einen Landstrich vorfinden, der so gar nicht an die Hektik des nahen Daressalam und den organisierten Tourismus von Sansibar erinnert.
Am Nachmittag sitzen wir im Restaurant der Travelers Lodge, wo wir Hühnchencurry und Ingwerlimonade zu uns nehmen. Wir sehen eine Brigade Mungos, die eine Wiese nach Schlangen und Echsen durchkämmt. Wir denken uns: ein ziemlich perfekter Ort für ein paar Tage. Und wahrscheinlich eine ergiebige Fundgrube für Anekdoten über die Abenteurer vergangener Jahrhunderte.
Informationen zu Bagamoyo
Der Ort Bagamoyo befindet sich an der Ostküste Tansanias etwa zwei Autostunden nördlich von Daressalam. Vor Ort gibt es einige Lodges.
Text und Bilder: Ralf Johnen, Februar 2016. Der Autor war privat in Bagamoyo.
1000 Dank an Ben und Sabine for taking us.
Comment
Hallo Ralf,
Deinen Eindruck der melancholischen Stimmung in Bagamoyo teile ich uneingeschränkt. Ich war im November 2016 dort. Da war eines der Schilder an der Old Boma schon zerrissen, von Restaurationsarbeiten aber nichts zu sehen. Über den von China zu finanzierenden Hafen hieß es, dass das ganze Projekt bis auf Weiteres auf Eis liege.
Es scheint also, als würde Bagamoyo weiter vor sich hin dämmern und auch zukünftige Besucher erfahren zu können, was Du mit der melancholischen Stimmung gemeint hast 🙂
LG
Stefan