Der Usain Bolt Tower in Ostrava ist eines der touristischen Highlights im Osten von Tschechien. Das nach dem schnellsten Mann der Welt benannte Bauwerk steht inmitten eines stillgelegten Stahlwerks.
Im Sport geht es fast immer um Superlative. Dementsprechend habe ich mir so meine Gedanken gemacht, als ich davon gehört habe, dass in Ostrava ein Turm nach Usain Bolt benannt ist. Der schnellste Mann aller Zeiten und ein ausgemustertes Industriegelände, das schien mir eine beunruhigende Kombination.
Im Ticket von Colours of Ostrava inbegriffen
Gleichwohl hatte ich den Turm bald wieder vergessen. Schuld daran war unter anderem eine Schutthalde, die seit 100 Jahren dampft (dazu eines Tages mehr). Doch als wir schließlich Dolni Vítkovice erreichten, fiel es mir mit Schrecken wieder ein. Auf dem stillgelegten Stahlwerk wartete dieser Hochofen auf mich – mitsamt einer kühnen Umbauung.
Das Relikt der Schwerindustrie aus noch nicht so lange vergangenen Zeiten überragt das Gelände, auf dem seit 2002 ein ziemlich prächtiges Festival stattfindet: Colours of Ostrava. Der Aufstieg – ob zu Fuß oder im vermutlich ersten und einzigen tschechischen »Funicular« – ist im VIP-Ticket inbegriffen. Die nur in der Landessprache moderierte Fahrt ist steil, doch sie endet in durchaus behaglichen Gefilden. Auf festem Boden.
Usain Bolt Tower: Achterbahn der Atemlosigkeit
Natürlich hatte ich von unten gesehen, dass die Turmspitze von unwirklich aussehenden Stegen umgeben ist – so als hätte ihn Tim Burton errichten lassen, vielleicht um Edward mit den Scherenhänden einer Mutprobe zu unterziehen. Auch war mir bewusst, dass sich Lebewesen auf diesen freischwebenden Gebilden bewegen. Was ich nicht ahnen konnte, war dass lediglich der erste Übergang einen blickdichten Untergrund hatte.
Doch es wird rasch schlimmer: Nachdem die ersten sanft ansteigenden Traversen lediglich mit einem Netzgitter aus Stahl zu erschrecken wussten, ragen die nächsten immer weiter über die Grundfläche des Turms hinaus. Es folgt eine Achterbahn der Atemlosigkeit mit immer neuen Kicks, die ich nur mit reiner Willenskraft bewältige. Mit der Hoffnung auf Aussichten, die so schnell nicht wieder kommen. Und mit Vertrauen in die tschechische Ingenieurskunst.
Bolt ist Dauergast beim Sportfest
Nach vielleicht fünf Minuten, die mir wie ein halbes Leben vorkommen, erreiche ich die Spitze, wo sich Usain Bolt verewigt hat. Erst hier oben in rund 90 Metern Höhe frage ich mich, wie es dazu kommen konnte. Die Antwort ist relativ banal: Ostrava bastelt seit einiger Zeit an einer Zukunft ohne Schwerindustrie – und dazu gehört neben Kultur vor allem Sport.
Beim örtlichen Sportfest sollte der Jamaikaner zum Dauergast werden, wobei er die 300 000-Einwohnerstadt in Nordosttschechien in sein Herz geschlossen hat. Die Namenspatenschaft für den Usain Bolt Tower war daher Ehrensache.
Ähnlichkeiten zum Ruhrgebiet
Das alles ist sehr innovativ und ohne weiteres spektakulär genug, einen Besuch im tschechischen Bergbaugebiet zu rechtfertigen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass ich im heimischen Ruhrgebiet schon eine ähnliche Anlage gesehen habe: Die Henrichshütte in Hattingen. Die ist in ihrer konservierten Form auch beeindruckend, kann aber nicht annähernd mit dem Kick von Vítkovice mithalten.
Nach so viel Adrenalin und Aufregung ist es höchste Zeit, dass ich mich dem Festival zuwende. Auf dem Programm steht Anohni. Ob sie wohl auch hier oben war?
Informationen zum Usain Bolt Tower in Ostrava
Der Eintritt zum Usain Bolt Tower kostet um die 8 Euro. Schwindelfreiheit ist nahezu unabdingbar. Oben gibt es ein winziges Café, das ohne weiteres zu den erstaunlichsten gehört, die ich bisher gesehen habe. Ostrava ist mit knapp 300 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Tschechiens, sie befindet sich rund drei Autostunden östlich von Prag. Die Stadt kann auch per Flugzeug (mit Czech Airlines) und per Bahn (im IC/EC) erreicht werden.
Text & Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im September 2022. Der Autor war auf Einladung von Czech Tourism und der Stadt Ostrava vor Ort.
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Wie das Leben so spielt. Erst war Usain Bolt dort, jetzt ihr. Wer folgt?