Ein Autohändler bei Atlanta in Georgia nennt sich Doc 914. Er fertigt Teile für den Porsche 914, die beim Hersteller selbst nicht mehr zu bekommen sind. So hat er es zu mittelmäßiger Berühmtheit gebracht. Eine Stippvisite.
Früher habe ich Spielzeugautos gesammelt. Hersteller waren Matchbox oder Siku, die meiner Meinung nach die besseren Miniaturen machten. Ganzer Stolz war ein Kran, den ich zum siebten Geburtstag bekam. Am Haken des Arms baumelten dann die kleineren Gefährte, darunter ein Porsche 914, getüncht in warmes Gelb, es war die ADAC-Version.
Über ein Vierteljahrhundert später gibt es ein unverhofftes Wiedersehen – bei einer Reise durch Georgia. Da steht er, der kleine Mittelmotorsportwagen im Dress der Pannenhelfer: in einem Regal im Warteraum des Autohändlers Auto Atlanta im Vorort Marietta.
Zu Besuch bei Auto Atlanta
Auto Atlanta ist das Headquarter des VW Porsche 914. Das habe selbst der Zuffenhausener Hersteller einmal so formuliert, sagt Vize-Chef Sean Buckley, den man zwischen Pin-up-Kalender und ehrwürdigem Blech in der Werkstatt antrifft. Auf dem Hof stehen alte Porsches in Originalgröße, vorzugsweise 914er.
Das Gespräch mit Firmengründer George Hussey im knarrenden Leder-Fauteuil des Besucherzimmers bringt Licht ins Dunkel dieser Ansammlung deutscher Sportwagen auf amerikanischem Boden. In Amerika wurde der 914 als echter Porsche vermarktet, in Deutschland hatte er ein VW-Zeichen am Blech und wurde als Volksporsche verspottet. Hussey braucht eine geschlagene halbe Stunde für die Geschichte, wie er und der Porsche 914 zusammen fanden.
Ein deutsch-amerikanischer Traum
Im Grunde geht sein deutsch-gewürzter amerikanische Traum so: Husseys Familie war arm, er wollte den College-Mädchen mit einem Porsche imponieren. Mit der Anschaffung wurde es aber erst was, als Hussey es nach der Ausbildung einer absoluten 914-Expertise mit dem An- und Verkauf der Fahrzeuge zu respektablem Reichtum gebracht hatte. 1984 war es soweit: Hussey legte sich einen 911 Cabrio zu. Heute sagt der jung gebliebene 59-jährige Hussey unumwunden: „Ich bin weltweit die Porsche-914-Autorität.“
Im Schauraum werden unter anderem ein grüner Sechszylinder aus dem Jahr 1971 gehütet: „Das ist der hübscheste 914 der Welt – in absolutem Originalzustand und nur 5606 Meilen auf dem Tacho. Er hat dreimal den Benson & Hedges Concours in England gewonnen.“ Doch der Goldbarren schlechthin ist ein 916 von 1970 in Silber. Von der leistungsstarken Variante des 914 mit breiteren Kotflügeln wurden nur elf Exemplare gebaut – als Prototypen. Der Wagen schaffte es als eines der wenigen nichtamerikanischen Autos auf das Cover des renommierten „Road & Track“-Magazins. „Wir schätzen den Wert auf 450 000 Dollar“, sagt der Hussey. Zum Verkauf stehen diese Sammler-Fahrzeuge nicht. Wenn einer fragt, nennt Hussey Mondpreise.
Ehrentitel Doc 914
Doc 914 wird Hussey in der Szene genannt. Wenn man selbst bei Porsche scheitert – bei Doc 914 bekommt man garantiert Ersatz. Mittlerweile produzieren die Mitarbeiter bei Auto Atlanta über 200 Teile für den Flitzer, die bei Porsche meist nicht mehr verfügbar sind. Auch nach Deutschland verschicke man jede Menge – vor allem Seitenschweller oder andere rostanfällige Teile.
Und was sie nicht selbst produzieren, lassen die Mitarbeiter von Auto Atlanta bei Bedarf gewissermaßen wiederauferstehen. Denn gleich nebenan, zwei Blöcke weiter liegt der 914-Himmel – ein Ersatzteillager, wenn man so will. „Wenn die Wagen den Straßentod sterben, dann kommen sie hierher“, sagt Buckley. Der Anblick der „weltgrößten Ansammlung an 914-Modellen“ ist bizarr: Über 200, mal mehr, mal weniger schrottreife VW-Porsche lagern da, rosten vor sich hin.
In ausgeschlachteten oder verfaulten Innenräumen haben sich Moos, Löwenzahn und Baumtriebe eingenistet, und wenn es heiß wird, beheimaten sie auch die ein oder andere Schlange. „Im Sommer ist hier alles überwuchert.“ Dann müssen sich die Porsche-Freaks aus Marietta ihren Weg durchs Grün schlagen. Denn was aussieht wie reif für die Schrottpresse, dient tatsächlich als Teilespender. Motoren und Getriebe sind noch gut. Nichts wird weggeschmissen. Seit 35 Jahren sammelt man. „Schließlich wurden zwischen 1969 und 1976 ja 116 000 Fahrzeuge gebaut, da muss es Bedarf geben“, sagt Hussey.
Antwort auf die Wegwerfgesellschaft
Im Grunde ist Auto Atlanta in Georgia ein Fels in der Brandung der Wegwerfgesellschaft, mit der Hussey schnell noch abrechnet, bevor ich zur Probefahrt antreten darf: „Schauen Sie sich doch nur diese chinesische Ramschware an, die es bis überall hin schafft.“
Kaufen und bei dem geringsten Defekt wegwerfen. Diese Logik treffe im Kern selbst bei Porsche-Neuwagen zu: „Man produziert Autos, so billig man kann, und rangiert sie später, vielleicht nach einer Laufleistung von 150 000 Kilometern, einfach aus.“ Anders liege der Fall natürlich beim 914 und alten Modellen des 911. „Diese Autos können sie noch reparieren, so einfach und genial sind sie gebaut.“
Ich lasse mich auf den Beifahrersitz eines modifizierten 914 herab und sitze fast auf der Straße. Am Steuer sitzt Verkaufsleiter Jeff Merrick. Der 24-Jährige pflanzte der Flunder einen 230 PS starken 3,2-Liter-Motor ein. Ab Werk gab es den Mittelmotor-Sportwagen mit nur maximal 110 PS. Fahrwerk und Chassis musste Merrick verstärken, um das knapp 1000 Kilo schwere Leichtgewicht für seine illegalen Rasereien vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. „145 Meilen habe ich auf der I575 schon geschafft – es war aber noch Luft.“ Maximal 75 sind erlaubt.
Ein Verlangen, die Autos zu schützen
Merrick gibt Gas. Der Wagen schiebt sich blitzartig über den Parkway und gibt jede Delle im Asphalt in die Polster weiter, zackig geht’s um die Kurven. 90 Meilen zeigt der Tacho an, 45 das vorbeisausende Verkehrsschild. Und die Cops? „Du musst Ausschau halten und dich zur Not rausquatschen, wenn Du erwischt wirst.“
Auf Sperenzchen dieser Art lässt sich Hussey selbst nicht ein. „Mein inneres Verlangen, diese Autos zu schützen, sagt mir: Verletze sie nicht. Immer wenn ich einen bewege, fährt die Angst mit, dass mir einer reinrast.“
Ferry Porsche, der den Bau des 914 maßgebend vorangetrieben hatte, sah das einst anders, wie der Aufdruck eines T-Shirts im Auto Atlanta-Giftshop verrät: „Diese Autos sind zum Fahren bestimmt, nicht zum Polieren.“ Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich die ADAC-Miniatur jemals geputzt hätte. Zumindest in so fern war ich auch einmal ein richtiger 914-Fahrer.
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