Der Pilanesberg Nationalpark in Südafrika gilt als Geheimtipp. Nur zweieinhalb Autostunden von Johannesburg entfernt, sind hier im Norden des Landes die Big Five beheimatet.
Es scheint erst ein paar Minuten her als wir darüber sinniert haben, dass Johannesburg eher wie Houston oder Atlanta denn wie eine afrikanische Stadt wirkt. Doch auch diese Aneinanderreihung von Wolkenkratzern, Gated Communities und Shopping Malls von Sandton und Midrand ist endlich. Bereits bevor wir auf dem Weg in den Pilanesberg Nationalpark das Städtchen Hartbeespoort erreicht haben, wird die Landschaft hügelig und karg.
An der Grenze zu Botswana
Nach gut zwei Stunden Fahrt haben wir die Option, die skurrile Resortstadt Sun City anzusteuern. Doch wir verzichten dankend auf einen Besuch im Las Vegas Südafrikas. Stattdessen wähnen wir uns binnen weniger Minuten in der Wildnis. Nur noch vereinzelt durchqueren wir Siedlungen, die mit etwas gutem Willen als Dörfer durchgehen. Hier eine Gruppe lachender Schulkinder in Uniformen, dort ein paar scheinbar herrenlose Rinder, die müde am Straßenrand entlang paradieren.
Die finalen 20 Kilometer fahren wir parallel zur Außengrenze des Pilanesberg Nationalpark, der sich im Norden von Südafrika ausbreitet. De facto sind wir gar nicht so weit entfernt von der Grenze zu Botswana. Als wir nach geringem bürokratischem Aufwand die Registrierung für den Nationalpark abgeschlossen und das Tor durchquert haben, fällt mein Blick auf das Thermometer: 38 Grad. Kein Wunder, dass hier am Wegesrand nur die stacheligen Skelette von Schirmakazien stehen. Erst später erfahren wir, dass dies nicht dem Klima geschuldet ist.
Die Black Rhino Game Lodge im Pilanesberg Nationalpark
Gut 15 Minuten fahren wir über Schotterpisten, deren staubtrockenem Zustand wir entnehmen, dass es hier länger nicht geregnet haben dürfte. Bald erreichen wir die Black Rhino Game Lodge, in der wir uns für drei Nächte einquartiert haben. Sie befindet sich ganz in der Nähe von rund zwei Dutzend anderen Unterkünften in allen Preisklassen, die das touristische Herz des 1979 gegründeten Nationalparks bilden.
Nicht ahnend, dass es die letzten heißen Stunden unseres Aufenthalts sein werden, checken wir in der sengenden Sonne ein. Unsere Hütte erweist sich als großzügiges, geschmackvolles Domizil mit einer Terrasse, die von einem elektrischen Zaun umgeben ist. Eine kleine Erinnerung daran, dass wir uns in der Wildnis befinden.
Safari-Charme und ein erster Game Drive
Gegen 16.30 Uhr machen wir uns zum Hauptgebäude auf, das mit seinem Dach aus Holzbalken und Stroh, dunklem Interieur, Bibliothek und Bar vor allem maskuline Draufgänger triggert, oder anders ausgedrückt diskreten Safari-Charme verbreitet.
Nach einem Welcome Drink werden wir für die Dauer unseres Aufenthalts dem Wagen von Ranger Phillip Jima aus Simbabwe zugeteilt, in dessen offenem Wagen wir platznehmen. Am Horizont haben sich als Vorboten für einen Wetterumschwung Wolkentürme aufgebaut, doch vorerst bleibt es trocken.
Phillip entscheidet sich für eine Route, die in den Norden des Parks führt. Dabei steht er über Funk in Kontakt mit Kollegen auch von anderen Lodges, die sich über Codes gegenseitig über Tiersichtungen informieren. »Wenn wir das nicht verschlüsselt machen und unsere Gäste hören würden, dass irgendwo ein Löwen-Baby sei, gäbe es einen Aufstand«, erläutert er später. Das Zeitalter, in dem sich eine Mehrheit nach der Meinung von Experten richtet, scheint auch im Norden von Südafrika Geschichte.
Pilanesberg Nationalpark: Begegnung mit einem Breitmaulnashorn
Nach wenigen Minuten gerät der Funkverkehr in Vergessenheit. Aus dem Augenwinkel hat Phillip etwas erspäht, das sich im Dickicht bewegt. Nachdem er den Wagen ein paar Meter zurückrollen lässt, wird deutlich, um was es sich handelt: ein Breitmaulnashorn von imposanter Statur steht gut zehn Meter von uns entfernt. Als es sich bewegt, sehen wir, dass es einen Artgenossen im Gefolge hat. Beide stapfen mit versteinerter Miene durchs Unterholz. Auch an den Dornen der Akazien scheinen sie sich nicht zu stören.
Nach der Aufregung bleibt es erstmal ruhig im Geländewagen. Wir fahren durch eine steppenähnliche Landschaft, aus der hier und dort ein einsamer Shepherd’s Tree hervorragt. Auf Deutsch trägt das Gewächs den fast schon diskriminierenden Namen Stinkender Hirtenbaum, was auf die unangenehm riechenden Blüten zurückgeht.
Erst als wir uns einer Anhöhe nähern, zeigt Phillip abermals Regung. »Wer sieht etwas?«, fragt er fordernd. Da dauert es noch eine ganze Weile, bis die ersten Fahrgäste den Hals einer Giraffe ausmachen.
Lagerfeuerromantik
Der Himmel zeigt sich nun in immer dramatischeren Orangetönen. Für Phillip das Signal, den offenen Geländewagen zu einem Aussichtspunkt mit Fernsicht zu navigieren, wo er uns mit der Bitte um Beachtung möglicher Raubtiersichtungen ein eiskaltes Bier kredenzt.
Später am Abend bittet uns einer der Gastgeber zu einem von blickdichten Zäunen umgeben Areal, in dessen Mitte ein Lagerfeuer lodert.
Gemeinsam mit den anderen Gästen der Lodge laben wir uns unter freiem Himmel an einem gut bestückten Buffet, auf dem uns sofort afrikanische Speisen wie Bobotie und Chakalaka mit Pap auffallen.
Auf die sonst üblichen Folkloreeinheiten verzichtet die Black Rhino Game Lodge. Auch vom viel gepriesenen Sternenhimmel ist nichts zu sehen. Dafür grollt es unheilvoll in der Ferne.
Donnerschlag direkt über dem Dach
Gegen 2 Uhr werden wir von einem Donnerschlag wach. Direkt über unserer Hütte scheint sich die Atmosphäre zu entladen. Wütend prasst der Regen auf das Dach, das nicht nachgibt. Durch das Oberlicht beobachten wir eine Kaskade tanzender Blitze, die den für 5 Uhr morgens angesetzten Game Drive aus unserer Sicht in weite Ferne rücken.
Der Wecker klingelt dennoch. In der Gewissheit, unseren Schlaf gleich fortsetzen zu können, machen wir uns zum Hauptgebäude auf. Die Luft ist stark abgekühlt und überall steht das Wasser.
Doch vor dem Eingang künden eine Handvoll Geländewagen davon, dass die Ranger von der Sintflut wenig beeindruckt sind. Viel mehr haben sie den Regenschutz an den Flanken ihrer Wagen heruntergezogen. Dazu statten sie ihre Gäste mit Decken aus.
Pilanesberg als erstes Etappenziel einer Rundreise
Noch in der Dunkelheit setzt sich eine Kolonne in Bewegung, die sich schon bald auflöst, weil jeder Ranger seine eigenen Vermutungen hat, wo sich bei diesen Bedingungen sehenswerte Tiere aufhalten könnten. Konditionen die gar nicht so schlecht sind, lernen wir, denn der Kälteeinbruch verleite nicht nur die Big Five im Pilanesberg Nationalpark zu erhöhter Aktivität.
Die Reihe vor uns wird heute von einer Familie aus Berlin eingenommen, die in der Nacht angekommen ist. Wie Sylvia und Majid erklären, machen sie Südafrika im Schnelldurchgang: Nachdem sie nachts in Johannesburg angekommen sind, haben sie sich von einem Chauffeur hierhin fahren lassen. Nach zwei Nächten in der Black Rhino Game Lodge geht es zurück zum Flughafen und von dort aus nach Kapstadt. »Ich war hier früher schon mal«, erklärt Sylvia die Wahl von Pilanesberg als erstes Etappenziel. »Ich fand es damals so großartig, dass ich unbedingt mit meiner Familie zurückkommen wollte.«
Pilanesberg ist etwa so groß wie Ibiza
Abgesehen von den allgegenwärtigen Guineafowls (Perlhühnern) bekommen sie in der ersten Stunde nicht viel zu sehen, während der wir ein gutes Stück parallel zu jenem Zaun fahren, der den Nationalpark eingrenzt. Auf dem drei Meter hohen Maschendrahtzaun entdecken wir später einen Grautoko, einen im südlichen Afrika weit verbreiteten Vogel von mittlerer Größe. Dank seines gebogenen, langen Schnabels sieht die Spezies chronisch missmutig aus.
Den Zaun übrigens hatte ich vor Antritt der Reise für problematisch gehalten. Ich dachte, er würde mir permanent vor Augen führen, dass die hier zu besichtigende Wildnis keine richtige Wildnis sei, sondern eine vom Menschen eingerichtete Schutzzone. Vor Ort aber beschäftigt mich der Gedanke nicht, denn obwohl Pilanesberg zu den kleineren Nationalparks in Südafrika gehört, ist er mit 550 Quadratkilometern ungefähr so groß wie Ibiza. Eine Insel, auf der man es auch wochenlang aushalten kann, ohne klaustrophobische Anwandlungen zu bekommen.
Verspielte Löwenbabys im Pilanesberg Nationalpark
Als es hell wird, regnet er weiterhin. Die Bedingungen sind schwierig und die Pisten so rutschig, dass wir einen steckengebliebenen Wagen einer anderen Lodge entdecken. Zwei auf einem Traktor sitzende Männer versuchen ihn zu reaktivieren. Wir nehmen derweil Kurs auf die Höhenlagen des Parks, die auf eine uralte Vulkanstruktur zurückgehen.
Ranger Phillip hat einen Funkspruch erhalten, der ihn auf die Fährte gern gesehener Tiere bringt. Die gemäßigte Langeweile der vom Dauerregen durchgefrorenen Passagiere weicht maßvoller Aufregung. Bald wird klar, dass es sich bei den Tieren um Löwen handelt. Phillip hat sie dabei gesichtet, wie sie in gut 80 Metern Entfernung gemächlich eine Anhöhe hinaufschreiten. Erst ein erwachsenes Weibchen, danach vier Junge, die einen verspielten Eindruck machen. Lina und Kilian, die Sprösslinge der Berliner Familie, sind entzückt auf ihrer ersten Safari.
Tiersichtungen im Minutentakt
Obwohl es weiterhin regnet, geht es danach Schlag auf Schlag. Wir halten vor einer Herde Impalas, die mit ihrem 180-Grad-Bambi-Blick begeistern.
Es folgen klatschnasse Zebras, die sich wie so oft in der Gesellschaft von Gnus befinden. Mit leicht affektiertem Blick schaut uns bald eine Steinbockfamilie an – und als wäre die Mission Regensafari noch nicht erfolgreich genug gewesen, zieht als nächstes eine kleine Elefantenfamilie vorbei, deren Körpersprache keine Rückschlüsse über ihr Verhältnis zum Niederschlag zulässt.
Gegen 8 Uhr baut Phillip an einem kleinen See seine mobile Frühstücksstation auf. Im Wasser sollen sich Krokodile aufhalten. Weil diese sich verstecken, begnügen wir uns mit der Bestimmung von Wasservögeln. Ein Pied Kingfisher und grellgelbe Dorfweber lassen sich mehrfach blicken, während wir Tee trinken.
Eine Landschaft wie in Arizona
Den Rest des Tages verbringen wir lesend in der Hütte und auf der Terrasse. Während sich Gewitter und sonnige Abschnitte abwechseln, ziehen immer mal wieder Kudus und andere Vierbeiner vorbei. Die Wasserstelle der Lodge kann nicht der Grund ihres Ausflugs sein, denn in dem Reservoir mit seiner üppigen Kapazität steht auch nach den ergiebigen Regenfällen nur eine Pfütze. Es muss lange trocken und heiß gewesen sein in diesem Teil von Südafrika.
An unserem letzten vollen Tag lassen wir den Gamedrive am frühen Morgen aus. Schließlich sind wir im Urlaub. Am späten Nachmittag sind wir dafür mit frischer Begeisterung dabei. Phillip entscheidet sich für eine Route, die uns landschaftlich an die uns mit ihren schroffen Felsen und ihrer rötlichen Erde an die Wüsten Arizonas erinnert. »Das liegt an dem hohen Eisenoxidgehalt«, erläutert Phillip.
Dieser sei gleichzeitig dafür verantwortlich, dass sich in diesem Teil des Pilanesberg National Park selbst anspruchslose Gewächse wie der Shepherd’s Tree schwertun und der Boden nicht viel mehr als ein Dornengebirge hervorbringt.
Blaue Echsen und ledrige Blätter
Unser finaler Game Drive unterscheidet sich erheblich von den vorherigen. Während sich die großen Tiere bei den nun wieder spürbar höheren Temperaturen rar machen, schließen wir Bekanntschaft mit einem Blue Headed Agama, einer Echse aus der Familie der kammlosen Agamen, die gemächlich einen Baum emporklettert.
Direkt daneben entdeckt Phillip einen Blue Guarri, dessen Blätter die Südafrikaner früher zum Zähneputzen verwendet haben. »Die Blätter der Euclea Crispa«, sagt er, »sind außerdem sehr tanninhaltig. Sie sind lederartig und brennen nicht, daher benutzen wir sie auch, um Feuer zu löschen«. Wieder etwas gelernt.
Übertroffene Erwartungen
Als sich die Sonne abermals zu senken beginnt, werden wir wehmütig. Es ist der letzte Abend in diesem Nationalpark, der es bezüglich der Ausmaße nicht im Entferntesten mit dem Kruger oder der Serengeti aufnehmen kann.
Doch während die Sonne hinter einem knorrigen Shepheard’s Tree untergeht und sich der Himmel in ein breites Spektrum von Farben hüllt, sind wir uns einig: Pilanesberg hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen.
Informationen zum Pilanesberg Nationalpark in Südafrika
Die Black Rhino Game Lodge ist mit dem Auto vom Flughafen Johannesburg in knapp drei Stunden erreichbar. Auf der Strecke sind keine größere Komplikationen zu erwarten. Gelegentlich stehen an einer Schwelle ein paar Einheimische, die so tun als würden sie wichtige Bauarbeiten ausführen, um vorbeifahrenden Wagen dann um eine Spende zu bitten. Dies solltest du geflissentlich ignorieren.
Die Übernachtung in der Black Rhino Game Lodge kostet je nach Buchungsmodalitäten und Saison zwischen 285 und 450 Euro pro Nacht und Hütte. Leider ist es so, dass die Buchung über international agierende Krakenkonzerne oft günstiger als über die Homepage ist. Die Mahlzeiten und die Game Drives sind im Preis inbegriffen. Daher bewerte ich den Preis als moderat.
Lediglich alkoholische Getränke kommen obendrauf, doch der Preis für eine Flasche ordentlichen südafrikanischen Wein liegt bei unter 20 Euro.
Der Pilanesberg Nationalpark ist malariafrei.
Weitere Informationen auf der Webseite des Pilanesberg Nationalpark.
Text und Bilder: Ralf Johnen, März 2023. Der Autor war privat im Pilanesberg Nationalpark.
2 Comments
..wieder ein großartiger Berichtn, mit starken Formulierungen, aber vor allem wunderschönen Bildern – auch den persönlichen…Verstärkt das Verlangen, dem Autor auf seinen Reisne zu folgen. Manni.
Vielen Dank – zur Nachahmung ausdrücklich empfohlen!