Die Markthalle in Rotterdam ist ein rundherum spektakuläres Gebäude, das zeitgleich als Attraktion, Wohnraum und Food Hall fungiert. Nur als Markt funktioniert sie leider nicht.
Event-Architektur war gestern. Zu zahlreich sind mittlerweile die Baumeister, die Frank O. Gehry nacheifern. Zu austauschbar sind die Gebäude, die dem Guggenheim-Museum in Bilbao ähneln wollen. Und zu oft ist die Idee kopiert worden, mit einer einzigen Bau-Ikone dem daniederliegenden Tourismus neues Leben einhauchen zu wollen. Das zumindest dachte ich – bis ich erstmals die Pläne für die neue Markthalle in Rotterdam gesehen habe.
Vor nunmehr acht Jahren hat Königin Maxima den von zwei riesigen Rundbögen geprägten Bau eröffnet. Und die Idee der Bauikone scheint mit einem Male wieder brillant, denn die vom örtlichen Architekturbüro MVRDV entworfene Markthalle wird Jahr für Jahr große Mengen von Besuchern nach Rotterdam locken, da bin ich mir absolut sicher.
Markthalle in Rotterdam: Hedonismus pur
Die Idee dahinter ist so einfach, wie sie dem Zeitgeist entspricht. Kaum etwas nämlich liegt mehr im Trend unserer zunehmend hedonistischen Gesellschaft, als hochwertige Nahrungsmittel. Und ebendiese werden seit dem 1. Oktober 2014 in spektakulärer Kulisse inszeniert, zur Schau gestellt, verkauft und, ja, auch konsumiert.
Das Konzept als solches wäre noch kein Garant für Erfolg, schließlich gehören Markthallen zum festen Inventar vor allem südländischer Städte. Die von MVRDV lancierte Idee aber ist neu: Die Architekten haben in die beiden gewölbten Außenwände 228 Wohnungen eingebaut. Diese bieten einen direkten Blick auf das Marktgeschehen mit zum Teil großartigen Aussichten auf die aufregende Stadt. Auch dem Dach sind die 40 Meter hohen Bögen durch eine 120 Meter miteinander verbunden.
Rotterdam: Interessante »Second City«
Hinzu kommt, dass sich die Markthalle von Rotterdam im Stadtviertel Blaak befindet, das sich in den vergangenen Dekaden ohnehin zu einer Spielwiese für Architekten entwickelt hat. Nicht zuletzt ihrer anhaltenden Kreativität verdankt die Stadt ihren Ruf, zu den interessantesten »Second Cities« Europas zu gehören. Kaum eine Stadt mit rund einer Million Einwohner ist derart pulsierend und innovativ.
Doch es sind wiegesagt nicht allein Stadtplanung und Architektur, die die Markthalle zu einer Attraktion machen: Die rund 100 Stände versprechen permanente lukullische Freuden. Ein Garant hierfür zum Beispiel ist die beste Fischhandlung Hollands, Schmidt Zeevis, die sich mit drei Partnern zu den »Fresh Food Friends« zusammengetan hat. Hinter dem »Mart Café« stecken dieselben Personen, die das Grand Café »Dudok« zur besten Adresse für Apfelkuchen gemacht haben. Und »Van Vliet Siroopwafels« kultivieren die holländische Kultur der Stroopwafel.
Marktbeschicker wenig begeistert
Im Keller befindet sich zudem eine XL-Filiale der Supermarktkette Albert Heijn. Diese soll dafür bürgen, dass auch die Rotterdamer selbst den Weg in die City suchen, um den Alltagseinkauf mit dem Besuch der Spezialitätengeschäfte zu verknüpfen. Auch das scheint ein überzeugender Gedanke – beide Seiten brauchen keine Berührungsangst voreinander zu haben.
Wenig begeistert indes waren zunächst einige Beschicker des Wochenmarktes, der traditionell jeden Dienstag und Samstag in nur einem Steinwurf Entfernung auf dem ehemaligen Bahngelände abgehalten wird. Niemand mochte von dem Angebot Gebrauch machen, an zwei Standorten ihre Waren anzubieten. Und keiner der alteingesessenen Marktbeschicker wollte fortan sieben Tagen die Woche von 10 bis 20 Uhr in der Markthalle in Rotterdam präsent sein.
Die Entwicklung nach acht Jahren
Acht Jahre nach der Eröffnung fällt die Bilanz eher durchwachsen aus. Zwar hat die Markthalle der Stadt Rotterdam eine enorme Aufmerksamkeit beschert. Doch im Innern des Gebäudes will der Funke einfach nicht überspringen. So ist die Fluktuation der Anbieter groß. Auch verkaufen die Standbesitzer inzwischen zum Teil minderwertigen Touristenkrempel. Schließlich gehören die Passagier von Kreuzfahrtschiffen und Reisebussen zum Stammpublikum.
Auch habe ich persönlich mich an der Markthalle bereits mehr als satt gesehen. Mir ist der Bau schon jetzt eher ein Dorn im Auge. Und es zieht mich kaum noch dorthin, um irgendetwas spannendes zu essen oder zu trinken. Das finde ich stattdessen draußen auf dem Markt auf der Binnenrotte. Da, wo 465 Beschicker frische Waren anbieten. Da, wo die echten Menschen sind.
Weitere Informationen zur Markthalle in Rotterdam
Die Markthalle ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet, einige Gastronomiebetriebe haben auch länger auf. Unter der Markthalle von Rotterdam befindet sich eine rund um die Uhr geöffnet Tiefgarage. Eine gute Adresse zum Übernachten ist die SS Rotterdam, ein ausgemusterter Ozeanriese vergangener Zeiten.
Interesse an Architektur in Rotterdam? Hier geht es zu meiner Geschichte über eine Fahrradführung zu den baulichen Attraktionen der Stadt.
Informationen zu weiteren Märkten in Rotterdam findest du hier.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im März 2022. Der Autor auf Einladung von Rotterdam Partners vor Ort.
2 Comments
Habe gerade einen Bericht in Galileo gesehen und war begeistert. Dein Bericht hat meinen Entschluss bestärkt das ich die Markthalle Leif sehen muss.
Schön, Sonja. Es wird Dir gefallen dort – eine coole Stadt!