In Palau mit Haien zu tauchen, ist ein spektakuläres Abenteuer. Unter Wasser ist Respekt angebracht, Angst jedoch musst du nicht haben. Die Begegnung mit den Superstars der Evolution lehrt zugleich eine Menge über unseren Planeten.
Der Computer an meinem Handgelenk zeigt 35 Meter Tiefe und 31 Grad an. Schwerelos gleite ich mit den anderen Tauchern nach oben. Eine mit Korallen überwucherte Riffwand zieht an meiner Froschmaske vorbei. Die Sichtweite liegt bei weit über zwanzig Metern. Allein die Begleitumstände lassen jedes Taucherherz höher schlagen, ganz zu schweigen von den vielen Schwärmen bunter Aquariumfische. Aber der Höhepunkt kommt noch für uns Pressluft atmende Unterwasserenthusiasten.
Haie in Hülle und Fülle
Je näher die glitzernde Wasseroberfläche rückt, desto deutlicher werden sie, die kreisenden Silhouetten derer, die uns hier an der Blue Corner, einem der bekanntesten Tauchreviere im Pazifischen Ozean, ins Wasser gelockt haben. Haie in Hülle und Fülle. An der oberen Riffkante verankern wir menschlichen Eindringlinge unsere Metallhaken. Dann ein bisschen Luft ins Jacket, die Leinen spannen sich, zwanzig Minuten großes Unterwasserkino.
Die Strömung drückt uns hin und her. Riffhaie patrouillieren in Achten, die Mäuler spaltweit geöffnet. Einige versinken in blauer Tiefe, andere wagen sich bis auf drei, vier Meter an die Froschmänner heran. Blicke gegenseitiger Ehrfurcht treffen sich. Ohne den Kopf zu drehen, habe ich zwölf der grauen Meeresräuber im Sichtfeld. Das Naturschauspiel ist erhaben – aber zu feiern gibt es nichts.
In Palau mit Haien tauchen: 100 verschiedene Arten
Das fast schwarmartige Vorkommen in den Gewässern des Inselstaates Palau, in denen rund 100 Haiarten heimisch sind, trügt. Denn Haie gehören zu den am meisten verfolgten Tieren, seit Jahrhunderten. Die Schätzungen variieren. Gerhard Wegner, Präsident der Schutzorganisation Shark Project International in Offenbach geht von jährlich bis zu 100 bis 150 Millionen getöteter Tiere aus. Gut die Hälfte gehe für den Bedarf an Haifischflossensuppe drauf.
Die IUCN, die internationale Union für die Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen, die die Rote Liste international gefährdeter Arten erstellt, führt über 20 Prozent der weit über 500 bekannten Haiarten als vom Aussterben bedroht. Geschützt durch das Washingtoner Artenschutz-Übereinkommen sind indes nur wenige: darunter der Weiße Hai sowie Wal-, Riesen- und Heringshai. 2013 kamen Weißspitzen-Hochseehai und drei Hammerhaiarten dazu. Für eine Art werden wohl alle Bemühungen zu spät kommen.
Der Weiße Hai ist biologisch ausgestorben
»Der Weiße Hai ist nach Expertenmeinung bereits biologisch ausgestorben.« Zwar gebe es noch Tiere, erklärt Wegner, aber ihre Reproduktionsrate reiche nicht mehr aus, die Population lange aufrecht zu halten. Als wir wieder an der Oberfläche auftauchen, unsere Augen das nahende Begleitboot suchen und Mundstücke herausgenommen werden, kann die Begeisterung endgültig artikuliert werden: »Das war die absolute Erfüllung«, sagt eine. Ich schweige und lasse mich noch einen Moment treiben.
Haie gibt es schon seit zirka 400 Millionen Jahren, eigentlich sind sie damit die Superstars der Evolution. Es gab sie vor den Dinosauriern schon. Und jetzt? »Wir sind auf dem schnellsten Wege, die Gattung Hai in den kommenden 20 bis 30 Jahren auszurotten«, befürchtet Wegener.
Chinas Hunger auf Haifischflossensuppe
Während wir in Palau mit Haien tauchen, lernen wir, dass die Tiere früher auf der Wunschliste der Fangflotten eher abgeschlagen waren. Mit dem Rückgang Bestände von Thun- oder Schwertfisch jedoch rücken sie zunehmend in den Fokus der industriellen Jagd. Und weil die Nachfrage im boomenden China nach Haifischflossensuppe steigt.
Langleinen-Schiffe lassen ihre manchmal fast einhundert Kilometer langen Leinen mit unzähligen Haken aus. Den erbeuteten Haien werden beim sogenannten Finning die Flossen für die auch in anderen Ländern als Delikatesse verehrte Suppe abgeschnitten, um danach die Karkassen der noch lebenden Tiere wieder über Bord zu werfen.
Gewinnspannen wie beim Rauschgift
»Der Handel mit Haiflossen hat Gewinnspannen wie der von Rauschgift«, sagt Wegner. 30 bis 50 Dollar je Kilo bekomme der Fischer vom Händler, später im Restaurant koste ein Teller Haiflossensuppe mit 100 Gramm vom Tier letztlich 90 bis 120 Dollar.
Aber es geht nicht nur um jene altchinesische Suppe, der manche eine potenzsteigernde Wirkung nachsagen. »Der Markt für Haiprodukte floriert insgesamt«, hat Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack beobachtet. Die Bauchlappen des Dornhais landen als Schillerlocke in den Auslagen der Fischhändler; als See-Aal wird sein Rückenfilet inkognito feilgeboten. Das Steak vom Heringshai wird verhüllend Kalbsfisch oder Seestör genannt.
Wissenschaftler schlagen Alarm
Die Pharmaindustrie versorgt sich laut Greenpeace zur Gewinnung des Kollagens für Schönheitscremes mit Haiknorpel, das in Costa Rica wiederum – getrocknet – als Knabberei beliebt ist. Auch als Beifang in den riesigen Netzen der sogenannten Fish Aggregating Devices (»Fischsammler«) verenden die Knorpelfische in Massen – neben Meeresschildkröten, Delfinen, Seevögeln.
Wissenschaftlern der Dalhousie University im kanadischen Halifax zufolge sind die Folgen dramatisch: Zwischen 1986 und 2001 sind die Bestände großer Haiarten im Nordwestatlantik ihrer Erkenntnis nach um mehr als 75 Prozent geschrumpft. Einzelne Arten sind so gut wie ausgerottet, so die Hammerhaiarten an der US-Ostküste, und die Population des Weißspitzen-Hochseehais im Golf von Mexiko reduzierte sich zwischen 1950 und 1990 um 99 Prozent. Auch beim Vorkommen großer Haiarten im Mittelmeer schlagen die Wissenschaftler seit Jahren Alarm – auch das lernen wir, während wir in Palau mit Haien tauchen.
Karriere als Haischützer
Das Boot mit uns Neopren-Touristen hat wieder angelegt am Steg der Tauchbasis Sam’s Tours auf Palau. »Die Haie von Blue Corner gingen mir nicht mehr aus dem Kopf«, sagt Geschäftsführer Dermot Keane, den ich am Anleger zum Gespräch treffe. Der aus Irland stammende Taucher kam 1995 erstmals nach Palau. Als Tourist. Er erlebte ein ähnliches Schauspiel wie seine heutigen Kunden.
Doch er erlebte auch etwas Verstörendes: »Damals lagen vierzig, fünfzig Langleinen-Boote in der Bucht.« Keane steht auf dem Steg und zeigt raus aufs Wasser. »Und es stank ganz fürchterlich nach Verwesung.«
Das weltweit erste Haischutzgebiet
Ein Meeresbiologe erklärte ihm die Auswirkungen der Fischerei auf die Hai-Population. Damit waren die Würfel gefallen, er musste wiederkommen. Seine Karriere als Haischützer begann. »Es gab ja keine Gesetze damals«, sagt Keane.
Heute zieht der Ire die Fäden eines der wichtigsten umweltpolitischen Anliegen des Inselstaates und korrespondierte persönlich mit dem Staatspräsidenten. Schon 2003 gilt in Palau ein absolutes Haifangverbot. Doch für internationales Aufsehen sorgten letztlich Keanes Mühen: Im September 2009 trat der Präsident Johnson Toribiong vor die UN-Vollversammlung und erklärte die Gewässer Palaus zum »weltweit ersten Haischutzgebiet«. »Damit hatte sich für mich ein Traum erfüllt«, sagt Keane.
Drakonische Strafen
Nur eine einzige Flosse an Bord eines Schiffes führt mittlerweile zu drakonischen Strafen. Zudem bekommt eine Lizenz zum Fischen nur, wer ein VMS (Vessel Monitoring System) an Bord hat. Über Satellit können die Schiffe damit jederzeit geortet werden. Doch zur Überwachung des Schutzgebietes von der ungefähren Größe Frankreichs liegt bislang nur ein Schiff vor Anker.
Warum ist der Schutz der Haie überhaupt so wichtig? »Das liegt an ihrer Top-Räuber-Position«, erläutert Keane. »Sie sind an der Spitze der Nahrungskette und dadurch erhalten sie gewissermaßen die Population aller Meeresbewohner.« Sie fressen kranke und schwache Tiere und sorgen dafür, dass andere Räuber nicht Überhand nehmen.
In Palau mit Haien tauchen: Lehrstunde in Sachen Evolution
Und damit ihr Bestand selbst im Gleichgewicht bleibt, haben sie eine »natürliche Vermehrungsbremse eingebaut«, wie Haiexperte Wegener den Mechanismus nennt. Sie werden erst sehr spät geschlechtsreif und bekommen nur wenige Nachkommen. Dezimierte Bestände können sich deshalb nur langsam erholen.
Gäbe es keine Haie mehr, hätte das verheerende Auswirkungen auf das Leben in den Ozeanen. Wegner: »Ohne Regulation der Topräuber bricht das marine Ökosystem zusammen.« Eine Ahnung, was das bedeutet, keimt mit einem Experiment eines mexikanisch-spanischen Forschungsteams auf. Per Simulation wiesen die Wissenschaftler nach, dass mit dem Hai auch Riffe sterben – in der Versuchsanordnung binnen eines Jahres.
Ohne die Haie stirbt das Meer
»Das Meer stirbt ohne Haie«, konstatiert Wegner. »Nur die wenigsten Menschen wissen, dass die Meere den Sauerstoff für jeden zweiten unserer Atemzüge produzieren. Wir können uns nicht einfach die Lebensgrundlage entziehen.«
Mittlerweile haben neben Palau auch andere Staaten wie Honduras, die Malediven, die Bahamas oder Kolumbien und Mexiko in ihren Gewässern das kommerzielle Fischen von Haien untersagt. Auch im US-Staat Hawaii ist seit Juli 2011 das Fischen von Haien sowie der Besitz, Handel und Verkauf von Haiflossen generell verboten.
Und im Januar 2011 setzte Präsident Obama seine Unterschrift unter den Shark Conservation Act, womit das Gesetz in Kraft trat. Es verbietet Finning von Haien vor der Atlantikküste der USA und im Golf von Mexiko, nicht aber vor der US-Pazifikküste. Das Gesetz verbietet es nun auch generell, Haiflossen anzulanden. Das war zuvor nur Fischerbooten untersagt. In der EU verbietet eine Verordnung das Finning bereits seit 2003, nicht aber den Fang von Haien. Kritiker monieren die mangelnde Umsetzung.
Der Haitourismus in Palau floriert
So lange der Handel mit Haiflossen hochlukrativ bleibt, bleiben auch die Anreize zu hoch, weiterzumachen mit den massenhaften Tötungen von Haien. Zu den eigentlichen Vorbildern taugen Scuba-Taucher wie wir an der Blue Corner, die die pure Faszination ins Wasser lockt. Tatsächlich könnte der Hai als Touristenmagnet weitaus mehr Geld generieren als als Suppenopfer. »Ein lebender Hai bringt zum Beispiel auf den Bahamas während seiner Lebenszeit als Unterwasserattraktion rund 50 000 Dollar ein und ein totes Tier einmalig 150 Dollar«, rechnet Haischützer Wegner vor. Doch um Fischer vom Hai fernzuhalten, müssten sie an den Erträgen aus dem Tourismus beteiligt werden. »Fischer verdienen mehr als am Fang der Tiere, wenn sie Taucher zu den Haien bringen«, sagt Wegner.
In Palau ist der Haitourismus bereits weit entwickelt. Tauchtouren machen einer Studie vom Australischen Institut für Meereswissenschaften zufolge fast ein Zehntel des Bruttoinlandsproduktes des kleinen Inselstaates aus. Die Daten zeigten, dass die Tiere als Tourismusressource viel mehr als als Fangziel eintragen könnten, hebt auch Mark Meekan, Hauptautor der Studie hervor. Johnson Toribiong, den ich am Abend auf ein Glas Rotwein treffe, weiß das schon längst:»Haie sind sehr wichtig für uns – sie sind die Attraktion.«
In Palau mit Haien tauchen
Anreise: Flüge ab Frankfurt am Main über Taipeh zum Beispiel mit China Airlines. Für geringen Aufpreis dürfen zehn Kilo mehr mit ins Gepäck – etwa für die Tauchausrüstung (30 kg insgesamt).
Ein- und Ausreise nach Palau: Es reicht der Reisepass, der allerdings sechs Monate über das Ausreisedatum hinaus gültig sein muss. Notwendig ist auch ein Visum, das Touristen nach Vorlage eines Rück- oder Weiterflugticket erhalten. Vor dem Heimflug wird eine Flughafensteuer von 50 US-Dollar erhoben.
Währung: Landesweit ist der US-Dollar (USD) im Einsatz, eine Landeswährung gibt es in Palau nicht. Einige Banken tauschen Euro gegen sehr hohe Gebühren. Gängige Kreditkarten werden akzeptiert. In Koror gibt es auch einige Geldautomaten.
Gesundheit: Bei Einreise aus Deutschland sind keine besonderen Impfungen vorgeschrieben. Zur Vorbeugung gegen Denguefieber sollten besonders auch tagsüber Mückenschutzmittel aufgetragen werden. Malaria kommt in Palau nicht vor.
Text und Fotos: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im August 2022.
Die Reise wurde unterstützt von Samstours. Stefans Dank für die Haibilder geht an Christoph Hoppe von Tourism Unlimited.
3 Comments
Ganz toller Artikel mit schönen Fotos! Palau ist ein Traumreiseziel von mir, es ist aber weit, teuer und nicht so einfach hinzukommen 🙂 Daher werde ich wohl nicht so schnell dorthinreisen. Besonders das Schnorcheln und Tauchen würde mich dort interessieren aber auch die Kultur.
Haie sind ganz tolle Tiere. Ich bin nicht so heiß drauf sie beim Tauchen zu begegnen- habe zu viel Respekt- hatte aber auch schon – ungewollt – das Vergnügen einige beim Schnorcheln und Tauchen in Fiji und Malediven zu treffen.
Kann man in Palau noch etwas anderes machen als tauchen? Wie sind die Menschen dort? Ist es etwas wie in der Südsee? Ich kenne die Fiji Inseln sehr gut.
Viele Grüße und viel Freude beim Schreiben! Miss Senibua
Hallo Stefan
Wow!!! Einfach nur beeindruckend, die Fotos sind fantastisch geworden.
Liebe Grüsse,
Simon
Danke für die netten Worte, Simon. Viele Grüße, Ralf