Die Elbphilharmonie ist ein schönes Desaster. Dieses Zwischenfazit ist nach jahrelangen Kalamitäten unausweichlich.
Die Elbphilharmonie in Hamburg wird immer teurer. Und fertig wird sie auch nicht. Der erhoffte Mechanismus hat gegriffen: Schon lange sie fertig gestellt wird, ist war die Elbphilharmonie eine Ikone. Seit Jahren schon ist der Entwurf des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron omnipräsent. Im Vorspann der „Kulturzeit“ auf 3Sat, in Architekturzeitschriften – vor allem aber in der Selbstdarstellung der Hansestadt Hamburg, die sich schließlich nichts Geringeres als ein neues Wahrzeichen gönnen wollte.
Elbphilharmonie in Hamburg: Perfekt zur Selbstdarstellung
Es bestand wenig Zweifel daran, dass die Beauftragung von Herzog & de Meuron zur Selbstdarstellung taugen würde. Schließlich haben die Basler eine Historie nicht uneitle Auftraggeber wie den FC Bayern München (Allianz Arena), den Modekonzern Prada (Aoyama Epicenter Tokio) und die Volksrepublik China (Nationalstadion Peking) glücklich zu machen.
Schon im Rohbauzustand besitzt die Philharmonie tatsächlich den erhofften Status eines Monuments: Den Sockel bildet ein ehrwürdiger Backsteinspeicher, darüber befindet sich auf 37 Metern Höhe eine offene Plaza, dann erst schließt sich das eigentliche Konzerthaus an, das sich mit seiner Glasfassade und dem gewellten Dach bis in eine Höhe von 117 Metern erhebt. Ein unverwechselbares Bauwerk. Doch die Begeisterung der Hamburger hält sich in Grenzen. Viel mehr hat der Volksmund nunmehr den Terminus Albphilharmonie etabliert.
Eine Albphilharmonie?
Die Gründe sind vielfältig: Erst vorwenigen Tagen hat das ausführende Bauunternehmen Hochtief verkündet, dass sich die Arbeiten wenigstens bis November 2014 hinziehen werden. Ursprünglich war der November 2011 als Fertigstellungstermin vertraglich festgehalten worden. Etwa gleichzeitig kursierte die Meldung, dass die Kosten weiter explodieren würden. Ursprünglich sollte der Eigenanteil der Stadt bei 77 Millionen Euro liegen, eine Zahl, die über die Jahre auf 323 Millionen korrigiert werden musste. Kurz vor dem Jahreswechsel hatte der Boulevard nun die Summe von einer halben Milliarde in den Raum gestellt.
Dies rief umgehend einen Sprecher des Essener Konzerns auf den Plan. Von einer abermaligen Kostensteigerung sei nichts bekannt – und schon gar nicht um 180 Millionen Euro. Zur Erinnerung: Für die Sanierung des Kölner Opernquartiers hat der Rat im November 2011 insgesamt 253 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, was in etwa den bereits eingeräumten Mehrkosten für die Elbphilharmonie entspricht.
Die Architekten Herzog & de Meuron schweigen
Wie immer bei derlei Streitigkeiten schweigen die Architekten in der Sache. Noch vor der Auftragsvergabe an Hochtief allerdings hatten Herzog & de Meuron Mitte 2006 kundgetan, dass die Planung noch nicht abgeschlossen und das Projekt somit noch nicht ausschreibungsreif sei. Sollte dies dennoch geschehen, sei mit erheblichen Mehrkosten zu rechnen.
Dass der Auftrag dennoch vergeben wurde, führte das „Hamburger Abendblatt“ kürzlich auf erheblichen Druck aus der Politik zurück. Mehrere Zeugen hatten demnach in einem
Parlamentarischen Untersuchungsausschuss berichtet, dass man unbedingt einen Großteil der Kosten im guten Haushaltsjahr 2007 verbuchen wollte. Die städtische Realisierungsgesellschaft (ReGe) hatte dies im Auftrag der Staarskanzlei forciert, die dem damaligen Oberbürgermeister Ole von Beust (CDU) unterstanden hat. Beust soll am 2. Februar im Ausschuss aussagen.
Die Elbphilharmonie: Ein schönes Desaster
Doch die Kalamitäten beschränken sich nicht nur auf die politischen Entscheidungen der Vergangenheit. Viel mehr musste der Senat der Öffentlichkeit im Oktober mitteilen, dass es bei der Realisierung der Elbphilharmonie an vier sensiblen Stellen hakt. Bei der Rolltreppe, die von der Eingangshalle quer durchs Haus führt, bei der Sanierung der Backsteinfassade des Sockelbaus, bei der technischen Gebäudeausstattung und – am dramatischsten – beim Saaldach.
Konkret hegt Hochtief Zweifel an der Statik des Daches. Das Unternehmen hat die Arbeiten daran im Oktober bis auf weiteres eingestellt. Die Stadt ihrerseits pocht auf die Verlässlichkeit der Pläne, die Herzog & de Meuron von einem Partnerunternehmen haben erstellen lassen. Für die nunmehr unweigerlichen Verzögerungen bis zur Fertigstellung fordert sie von Hochtief eine Konventionalstrafe in Höhe von 40 Millionen Euro.
Prestigeobjekt für Hamburg
Zwei Schlichtungstermine blieben bislang trotz befürwortender richterlicher Ratschläge ohne Erfolg. Die Fronten sind verhärtet. So sehr, dass sich der Sprecher der Elbphilharmonie, Karl Olaf Petters, zu einem entnervten Appell veranlasst sah: „Saaldach und Gerichtsverfahren, Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Interview-Schlachten sind symptomatisch für die Situation. Es braucht einen konstruktiven Dialog, um die Elbphilharmonie fertig stellen zu können.“
Unabhängig davon, ob das Prestigeprojekt mit seinen drei Konzertsälen, 45 Wohnungen und Hotel nun 2014, 2015 oder noch später fertig wird, und egal, wie hoch die tatsächlichen Kosten letztlich sein werden: Schon jetzt steht fest, dass die Entscheidung für den Bau eine schwere Hypothek für die Stadt Hamburg bleibt.
Entstanden ist diese aus der Haltung, die eigene Stadt mit einem Stück marktschreierischer Event-Architektur aufzuwerten – koste es, was es wolle. Dieser Gestus allerdings ist in Zeiten von Weltwirtschafts-, Staats- und Euro-Krise nicht mehr aktuell. Bleibt zu hoffen, dass die Elbphilharmonie trotz ihrer offensichtlichen ästhetischen Qualitäten für Hamburg nicht zum Fanal für eine Torheit wird.
Text „Die Elbphilharmonie: Ein schönes Desaster“: Ralf Johnen. Der Text ist in ähnlicher Weise 2011 im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen. Aufgrund des zeithistorischen Wertes haben wir uns entschlossen, den Text in der Rubrik »historischer Reisejournalismus« online zu lassen.
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