Wer mit dem Fahrrad durch das Val Trompia fährt, entdeckt die archaische Seite der Lombardei. Die zwischen Gardasee und Lago d’Iseo gelegene Bergregion war lange von der Eisenförderung geprägt.
Noch befinden wir uns ins Brescia, wo wir einige Facetten der italienischen Geschichte in Augenschein genommen haben. Den Kapitolinische Tempel und andere Relikte aus der Römerzeit, aber auch die pompösen Bauten der Faschisten. Doch schon als wir am nächsten Vormittag die Höhe unserer Sattel einstellen, sehen wir die Berge. Wir können es kaum abwarten, die Tour mit dem Fahrrad durch das Val Trompia in Angriff zu nehmen.
Von der Po-Ebene in die Voralpen
Viel ist nicht bekannt über die Region, obwohl sie sich inmitten zweier äußerst populärer Ferienziele befindet: dem Iseosee und dem Gardasee. Hierzu haben wir uns einen Radweg ausgesucht, der seit einiger Zeit den Fluss Mella begleitet. Er führt aus der Po-Ebene in die Voralpen oder die Prealpi Gardesane, wie die Italiener sagen.
Andrea Pagliari begleitet uns durch die Region. Der 51-Jährige ist von vielen Outdoor-Touren gestählt und er kennt hier jeden Anstieg. Zuletzt hat er auf dem Rennrad das 2757 Meter hohe Stilfserjoch erklommen, wobei er während der Abfahrt von dem gefürchteten Pass unerwartet in Schnee gekommen ist. Etwas in dieser Art erwartet der Outdoor-Freak für unsere Tour nicht. Doch weil er mit uns um die 2000 Höhenmeter zurücklegen wird, hat er uns zu E-Bikes geraten.
Mit dem Fahrrad ins Val Trompia
Der Weg aus der Stadt ist unspektakulär, bis wir hinter Concesio erstmals dem Fluss Mella begegnen, der in den Bergen entspringt und in den Po mündet. Hinter Sarezzo dann zücken wir immer öfter die Kameras.
Erst als wir Ponte Zanano erreichen, wo wir von einer alten Brücke auf verwinkelte Bauten blicken, die sich an den Fluss schmiegen. Später, als wir einen kleinen Betrieb mit der Aufschrift »Renato Gamba – Italian Fine Guns« passieren.
Die Heimat der Beretta
Wie Andrea erklärt, prägt der Abbau von Eisenerz seit Jahrhunderten das Trompiatal: »Aus diesem Material werden eben auch Waffen hergestellt.« Unmissverständlicher Beweis sind die Produktionsstätten von Beretta, die wir bald darauf in Gardone erreichen. Bereits 1524 wurde das Unternehmen als Hersteller von Handfeuerwaffen urkundlich erwähnt, weshalb es ältester Rüstungskonzern der Welt gilt.
Damit ist die Geschichte der Eisenerzgewinnung allerdings noch lange nicht zu Ende erzählt. Wenige Kilometer weiter besuchen wir das Museo Il Forno Di Tavernole. Hier erfahren wir, dass einige Jahre vor der Gründung Berettas niemand geringeres als Leonardo da Vinci das Trompiatal aufgesucht hatte – und das gleich drei Mal, um die Verarbeitung von Eisen zu erlernen und später den sogenannten Eisenhammer zu entwickeln.
Historischer Hochofen
Mit dessen Hilfe kann das Metall zu hauchdünnen Blechen geformt werden, was bis heute in kaum veränderter Manier geschieht. Ein historischer Hochofen kündet davon, dass die Region führend bei der Eisenverarbeitung war. Experten aus dem Tal waren in ganz Europa gefragt.
Nach diesem Exkurs in die Geschichte der Waffenherstellung ist es höchste Zeit für leichtere Kost. Hierfür steuern wir nur einen Kilometer weiter die Rebecco Farm an, in deren Garten wir umringt von Apfel- und Birnenbäumen Platz nehmen. Mit Blick auf die Berge laben wir uns an Leckereien aus biologischem Anbau: mit gegrillten Zucchini, eingelegtem Rotkohl und gerösteten Walnüssen belegte Brote etwa, oder köstlichem Käse mit hausgemachten Tapenaden.
Das Val Trompia: Slow Tourism in Norditalien
Den Schmaus haben wir einer Gruppe von fünf Landwirten zu verdanken, die sich im Val Trompia zusammengetan haben, um das Konzept des in Norditalien erfundenen Slow Tourism zu fördern. Alle Leckereien stammen allesamt aus biologischem Anbau und die vier rustikalen Gästezimmer befinden sich in restaurierten Steingemäuern.
Bald darauf sitzen wir wieder im Sattel, um unsere heutige Etappe zu vollenden. Schilder weisen bereits den Passo Maniva Collio aus, doch der steht erst für morgen auf dem Programm. Heute biegen wir auf einer Höhe von 680 Metern in Bovegno auf die Via Fassole ab, die uns über steile Serpentinen tief in die Gardaseealpen führt. Ziel ist der Ferienhof Chichimela, der auf dem finalen Kilometer nur über unbefestigte Wege erreichbar ist.
Die unverbaute Bergwelt des Val Trompia
Als wir den alpin anmutenden Gasthof erreichen, fehlen uns zunächst die Worte. Wir blicken auf eine unverbaute Bergwelt, die bis in Gipfelnähe bewaldet ist. Nur wenn wir uns auf die Zehenspitzen stellen, können wir unten im Valtrompia Anzeichen der Zivilisation erkennen. Als wir uns nach dem Check-in auf der Terrasse niederlassen, begrüßt Andrea einen älteren Mann, der eine deutliche Ähnlichkeit zu ihm aufweist.
Es ist sein Vater Sergio, der den Ort vor einigen Jahren gemeinsam mit Gemahlin Francesca bei einer Wanderung entdeckt hat. Bald darauf haben der Industriedesigner und die Buchhalterin das Anwesen erworben, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen, ohne ihr altes Leben in Brescia ganz aufzugeben. Ein Leben mit frischer Bergluft und fernab von Zivilisationsgeräuschen.
Ein »abandoned place«
Nach einer herrlich entspannten Nacht werden wir vor der Abfahrt mit Blaubeeren verwöhnt, die vor dem Haus im Steilhang wachsen. Sowohl den dickflüssigen Saft wie auch den Kuchen werten wir als weitere gute Argumente für das Leben in den Voralpen. Mit vollen Akkus (für die Ladestation auf dem elterlichen Anwesen hat Andrea gesorgt) und frischen Kräften radeln wir zurück ins Trompiatal. Nach einer Weile kommen wir an einem ehemaligen Bergwerk vorbei, der Miniera Torgola.
Der einst stolze Betrieb ist auf fotogene Weise dem Verfall ausgesetzt und wird auf einschlägigen Portalen als »abandoned place« angepriesen. Mit Erklärungen vertröstet uns Andrea vorerst, bis wir einen ähnlichen Ort erreichen: die Miniera Sant’Aloisio in Tassara. Wir beschließen, ihr auf dem Rückweg einen Besuch abzustatten.
Kleine Dörfer und Steinpilze
Unterdessen fahren wir bei spätsommerlichen Temperaturen von knapp über 20 Grad durch immer kleiner werdende Dörfer und über teils abenteuerliche Straßen weiter in die Berge. Nicht selten wird der Weg an der Bergseite von Mauern flankiert, während uns auf der Talseite nur eine Leitplanke vom steilen Abhang trennt. Auf jedem noch so kleinen freien Flecken parken Autos, was Andrea mit der laufenden Pilzsaison erklärt: »Die Lombarden lieben ihre Porcini«, Steinpilze sind ein Kernbestandteil der lokalen Küche.
Am späten Nachmittag erreichen wir unser zweites Etappenziel, das zugleich Wendepunkt unserer Strecke ist. Da wir die Motorunterstützung des E-Bikes auf die unterste Stufe eingestellt haben, spüren wie die Tagesleistung von etwas mehr als 40 Kilometern bis zum Passo Maniva in den Beinen. Wir befinden uns nun auf immerhin 1700 Metern, wo wir wenig später Zeugen eines spektakulären Sonnenuntergangs werden. Anschließend folgt ein üppiges Mahl im Restaurant unseres Hotels.
Mit dem Fahrrad durch das Val Trompia: Deftige Speisen in Gipfelnähe
Das Dosso Alto Maniva ist ein Familienbetrieb, wo im Winter Skiläufer und im Sommer Radfahrer und Wanderer einkehren. Holzvertäfelte Wände, rotweißkarierte Tischdecken sowie ein Holzofen halten eine Gemütlichkeit aufrecht, die an längst vergangene Tage erinnert. Weil die meisten Gäste anstrengende Tage hinter sich haben, servieren Rosa und Manuela Rambaldini deftige Speisen, die schon den Bergarbeitern der Region geschmeckt haben.
Es sind köstliche Casoncelli Bresciani – mit Fleisch, Spinat, oder Käse gefüllte Teigtaschen in Salbeibutter, wie man sie in der Region in vielen Variationen kennt. Später gibt es Risotto mit Steinpilzen und zum Abschluss Grappa aus einer bizarr großen Flasche. So dauert der Abend länger, als wir uns das vorgestellt haben.
Der erste Schnee der Saison im September
Am nächsten Morgen dann die Überraschung: Als wir den Vorhang aufziehen, blicken wir auf eine Wand aus Nebel. Auf dem Balkon liegt Schnee – es ist der erste der Saison, am vorletzten Tag des kalendarischen Sommers. Obwohl das Thermometer nur 2 Grad anzeigt, ist der vom Stilfserjoch gestählte Andrea fest entschlossen, die geplante Wanderung durchzuziehen. Auch wenn wir weder geeignete Garderobe noch passendes Schuhwerk für einen Fußmarsch durch den Schnee mitgebracht haben, bleibt uns wenig anderes übrig, als ihm zu folgen.
Um uns versöhnlich zu stimmen, führt uns Andrea zunächst auf einen Espresso ins nicht allzu ferne Hotel Locanda Bonardi. Von hier aus stapfen wir über die von Schneematsch überzogene Straße in Richtung Passo Ravenola. Auch eine Gruppe älterer Motorradfahrer mit offensichtlich sehr teuren Maschinen scheint von dem Wintereinbruch überrascht, doch sie lassen sich von den widrigen Umständen nicht beirren.
Weinende Häuser
Obwohl wir eigentlich mit dem Fahrrad durch das Val Trompia fahren, arbeiten wir uns über einen ausgewiesenen Wanderweg vorbei an einer Schafherde zu einem Wasserfall vor. Andrea möchte uns diesen unbedingt zeigen. Später erreichen wir einen kleinen See, den Laghetto Dasdano.
Hier liegt der Schnee am Boden knöchelhoch, doch weil die immer noch kräftige Sonne mittlerweile durchgebrochen ist, sind die Picknicktische bereits weitgehend frei. Am Dach der Hütte tropfen die Eiszapfen so, als würde das ganze Haus weinen.
Nach heißem Tee und einem deftigen Sandwich fühlen wir uns stark genug für den Rest der Wanderung, die uns zur Bergstation von Maniva Ski führt, einem kleinen Skigebiet. Als wir nach gut vier Stunden zurück am Hotel sind, interessiert sich niemand für unserer leicht unwirkliches Abenteuer: Ausflügler sitzen im T-Shirt in der Sonne und trinken aus großen Gläsern Bier.
Unverstellter Sternenhimmel
Wir hingegen wärmen uns erstmal im Bett auf. Erst nach Einbruch der Dunkelheit gehen wir wieder an die frische Luft, diesmal um den von Streulicht fast unbeeinträchtigten Sternenhimmel zu bewundern.
Zum Frühstück erfreuen wir uns ein letztes Mal an der Bergküche. Besonders die mit dem örtlichen Bauernkäse Bagòss überbackenen Spiegeleier auf Graubrot haben es uns angetan. Eine gute Grundlage für den Weg zurück nach Brescia, den wir an besagter Miniera Sant’Aloisio unterbrechen.
Wie ein Schlund öffnet sich der Eingang des verschachtelten Komplexes oberhalb der Mella. Bald darauf müssen wir uns festlegen, ob wir im Erlebnisbergwerk der Gegenwart unsere Geschicklichkeit auf die Probe stellen, oder ob wir noch tiefer in die Historie der Region eintauchen.
Exkursion unter der Erde
Wir entscheiden uns für Letzteres. Konkret nehmen wir an einem Rundgang durch ein Geflecht aus Stollen teil, wo bis weit ins 20. Jahrhundert Eisenerz gefördert wurde. Es ist eine fremde Welt aus Schächten, Stalagmiten, Weißschimmel und verrosteten Gleisen, die gleichbleibend kühl und dunkel ist.
Führerin Alessandra erklärt, dass die Jungs aus dem Valtrompia hier bis zum Zweiten Weltkrieg oft schon im Alter von neun Jahren arbeiten mussten – am Presslufthammer. Viele sind zwischen 35 und 40 an Staublungen gestorben.
Die Waffen, die aus dem Eisenerz des Valtrompia hergestellt wurden, waren also gleich in mehrfacher Hinsicht tödlich. Ein Gedanke, der zu Demut verpflichtet, jetzt, da sich das prächtige Tal immer mehr für die Freizeitgestaltung öffnet.
Informationen zut Fahrradtour durch das Val Trompia
Die Strecke von Brescia bis zum Passo Maniva ist pro Richtung knapp 70 Kilometer lang. Weite Teile führen über einen abgetrennten und gut ausgeschilderten Radweg. Weitere Informationen auf greenwayvalliresilienti.it (greenwayvalliresilienti.it/en/trails/52/). Die Strecke eignet sich auch für Auto und Motorrad.
Aktivitäten mit Mille Monti
Ein- oder mehrtägige Führungen in kleinen Gruppen inklusive Fahrradverleih, Streckenauswahl und Begleitung. millemonti.it.
Essen und Trinken
Trattoria Porteri, Traditionsrestaurant in rustikalen Gemäuern mit Spezialitäten aus der Region und eigenem Feinschmeckerladen. Via Trento 52, 25128 Brescia, Tel 030 38 09 47, trattoriaporteri.it.
Rebecco Farm, Lokale Produkte direkt vom Bauern serviert unter Sonnenschirmen in einem herrlichen Garten. Außerdem vier Gästezimmer. Loc. Rebecco, Frazione di Lavone, Pezzaze, Tel. +39 320 21 29 986, rebeccofarm.it.
Trattoria Tamì, Hervorragendes Lokal mit Regionalküche auf hohem Niveau und exzellenten Weinen, dazu läuft gerne amerikanischer Rap. Piazza Zanardelli, 9, Collio, Tel. +39 30 927112, tamitrattoria.com.
Übernachtungen
Azienda Agricola Chichimela, abgelegener Berggasthof mit herrlicher Aussicht, eigenen Produkten und guter Küche. Via Sant’Andrea, 107-25061, Località Dofini Bovegno, Tel. +39 32 84 73 74 79, chichimela.com.
Albergo Ristorante Dosso Alto, Familiengeführtes Berghotel mit einfachen, gemütlichen Zimmern und gutem Restaurant. Via Maniva 254 -25060, Collio Tel. +39 30 92 76 42, dossoaltomaniva.it
Attraktionen während der Tour mit dem Fahrrad durch das Val Trompia
Miniera Sant‘Aloisio. Erlebnisbergwerk, wo Besucher an Führungen durch die Stollenanlagen teilnehmen können, alternativ warten Action-Sportarten. Via Castiglione, 25060 Collio, Tel. +39 33 96 05 51 18, minierasantaloisio.it
Museo Il Forno Di Tavernole. Kleine Ausstellung über die Geschichte von Eisenabbau und Hochöfen im Valtrompia. Via Forno Fusorio 1, 25060 Tavernole sul Mella, Tel. +39 333 142 5093, Webpräsenz auf Facebook
Maniva Ski, kleines Skigebiet mit acht Liften und 18 Pisten, Skipass ab 28 € pro Tag. manivaski.it
Allgemeine Informationen zum Val Trompia auf der Webseite der Region Brescia.
Text und Fotos: Ralf Johnen, Januar 2024. Der Autor ist auf Einladung des Tourismusbüros mit dem Fahrrad durch das Val Trompia gefahren.
2 Comments
Tolle Fotos und Beschreibung wie immer, und auch sehr einladend, ich gerate ins Schwärmen, danke und weiter so!!! Manni.
Vielen Dank, lieber treuer Leser! Ich freue mich über jeden einzelnen Kommentar.