Die Wasserkuppe in der Rhön gilt als Wiege des Segelflugs. Wer mag, kann im Grenzland von Bayern, Hessen und Thüringen aufgrund hervorragender Thermik für kleines Geld das Segelfliegen lernen.
500 Meter über der Wasserkuppe klinkt Dieter Syfuss das Seil aus. Das Schleppflugzeug dreht im Sturzflug ab. Nur ein Zischen ist jetzt noch zu hören. Der Segler gleitet über die ehemalige innerdeutsche Grenze. Noch heute ist sie als Schneise zu erkennen, die sich die Vegetation längst nicht zurückerobert hat. Doch so richtig viel Vegetation gibt es an diesem glattrasierten Fleckchen Deutschland ohnehin nicht. Die Rhön wird auch das »Land der offenen Fernen« genannt.
Die Wasserkuppe: Baumloser Gipfel in der Rhön
Schon vor Jahrhunderten haben die Menschen im Grenzland von Hessen, Bayern und Thüringen beherzt die Axt geschwungen. Auf diese Weise wollten sie neue Wirtschaftsflächen schaffen, die ihnen mehr einbrachten als beispielsweise die dichten Mischwälder.
Ohne ihre Vorarbeit wären Piloten wie Dieter Syfuss wären womöglich nie hier aufgetaucht. Die steile Karriere der Wasserkuppe als Pilgerziel der Fliegerszene beginnt im frühen 20. Jahrhunderts und ist der Tüftelei von einigen Studenten aus Darmstadt zu verdanken. Diese hatten die nahezu baumlose höchste Erhebung in der Rhön als ideales Gelände für ihre waghalsigen Luftsprünge entdecken.
Erste Flugversuche in Hängegleitern
Die nur mäßig abfallenden Hänge eignen sich für ihre Flugversuche in »Hängegleitern« gut. Nach dem Vorbild des Flugpioniers Otto Lilienthal haben sie ihre Fluggeräte konstruiert. Am 22. Juli 1912 gelingt Student Hans Gutermuth ein Flug von 840 Metern, der 110 Sekunden dauert – Weltrekord.
An der Wasserkuppe erfährt das motorlose Fliegen Auftrieb. Die Aufwinde nah am Berg ermöglichen längere Flüge als das bloße Herabgleiten. Doch der Boom, der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzt, hat politische Gründe. Mit dem Versailler Vertrag wird jeglicher Flugbetrieb in Deutschland verboten. Nicht aber das Segeln in der Luft. Die Folge ist ein immenser Popularitätsschub der neuen Sportart Segelflug.
Spektakuläre Flugschauen an der Wasserkuppe
Flugschauen zu Beginn der zwanziger Jahre locken zehntausende Menschen zur Wasserkuppe. Weltrekorde werden in verschiedenen Disziplinen am laufenden Band aufgestellt. So auch im Dauerflug, eine Disziplin, die heute wegen Todesfällen bei neuen Weltrekordversuchen verboten ist. 1924 wird an der Wasserkuppe die erste Segelflugschule der Welt gegründet.
Berühmtheit erlangt am 12. August 1926 der »Gewittermaxe« mit der unbeabsichtigten Entdeckung des thermischen Flugs. Max Kegel gerät mit seinem Segelflugzeug in ein Gewitter, Aufwinde zwirbeln ihn in eine Höhe von 2000 Metern. Bis ins 55 Kilometer entfernte Meiningen gleitet er – so weit ist noch nie jemand ohne Motorkraft geflogen. Vor der Wasserkuppe als »Wiege des Segelflugs« wird fortan gesprochen.
Die Wiege des Segelflugs: Suche nach Thermiksäulen
Aber so richtig kann der fliegende Tour-Guide Syfuss die Geschichte heute nicht beschwören. Trotz seiner 19 000 Flugstunden Erfahrung, auch den Knüppeln von Boeings und Airbussen. Das Variometer piepst ein Staccato, also wolle es sagen »Keine Thermik-Säule in Sicht.« Es geht gemächlich schon wieder nach unten.
90 Sachen hat das Flugzeug noch drauf, als es auf dem geschorenen Rasen aufsetzt und Tempo Null entgegen holpert. »Es ist noch zu früh am Morgen«, gibt sich Syfuss wortkarg. Die Sonne hat aus diesem Grund noch nicht genügend eingeheizt.
Immerhin: Sie scheint. Ein paar der jährlich 800 000 Wasserkuppen-Besucher, die den Hochrhön-Ring herauf, vorbei an der Fulda-Quelle, bis hierher kommen, besetzen die Holzbänke. Hände und Hüte schirmen die Sonne von Stirnen ab, Köpfe liegen in Nacken. Im Minutentakt werden Segelflugzeuge von Motorfliegern in den Himmel gezerrt. Der Tag ist noch jung.
Informationen über die Wasserkuppe als Wiege des Segelflugs:
Segelfliegen: Eintägiger Schnupperkurs in der Fliegerschule Wasserkuppe mit bis zu drei Flügen à 30 Minuten: 250 Euro. Die Kosten können mit dem Flugschein verrechnet werden (Anfängerkurs: 1945,50 Euro/Erwachsene). 30-minütiger Gastflug: ab 100 Euro. Die Saison an der Wasserkuppe dauert von Anfang April bis Ende Oktober oder erstreckt sich anders gesagt auf die Jahreszeiten mit Thermik.
Paragliding: Zweitägiger Schnupperkurs: 150 Euro (ebenfalls anrechenbar). Der „A-Schein“ kostet rund 1700 Euro zzgl. plus Reisekosten (1 Woche Alpen) und Unterkunft. Ganzjähriges Angebot. (www.wasserkuppe.com; www.rdg-ev.de).
Ballonfahrten mit dem Ballon Team Rhön: Die Crew startet meistens am Kreuzberg im bayerischen Teil der Rhön, die rund einstündige Fahrt kostet ungefähr 180 Euro pro Person, Gruppen fahren günstiger.
Anreise: Über Fulda per Zug, von dort fährt zweimal täglich eine Bus zur Wasserkuppe.
Unterkunft bei der Wiege des Segelflugs
Peterchens Mondfahrt, einfache Zimmer mit Dusche und Toilette auf dem Gang 29 Euro, DZ ab 80 Euro.
Auf der Website des Segelflugmuseums skizziert eine kürzlich installierte Zeitleiste die Meilensteine des Fliegens.
Text und Bilder: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im August 2022.
Comment
Hallo Stefan, ein sehr schöner Bildbericht, der zum Hinfahren einlädt und viele neu8e Informationen geibt ! Herzliche Grüße, Manni