Ausgerechnet dank Subkultur wird Südflorida plötzlich ernst genommen. Die Wynwood Walls begeisterten zunächst die Kenner von Street Art. Danach wollte plötzlich jeder
in Miamis hippen Stadtteil.
Eigentlich lag Wynwood auf der falschen Seite der Biscayne Bay. Bis die Macher einer Schweizer Messe Miami eine neue Daseinsberechtigung verliehen haben und auch einheimische Unternehmer sich plötzlich trauten, ihre Ideen umzusetzen (klick hier, um meine Geschichte über South Beach Miami zu lesen). Bald darauf hat sich die einst dunkle Seite der Glitzermetropole zum Vorzeigeviertel gewandelt. Seitdem gilt Floridas Metropole endlich als vollwertige Stadt.
Die mehr als 800 Art-déco-Bauten in South Beach sind in den vergangenen Jahren mit großem Aufwand restauriert worden. In Downtown und im angrenzenden Stadtteil Brickell schießen fast wöchentlich neue Wolkenkratzer in den Himmel. Am Strand und in den umliegenden Bars stellen junge Menschen aus aller Welt ihre makellosen Körper zur Schau.
Miamis hipper Stadtteil verleiht der Stadt Ecken und Kanten
Die Küchenchefs in den Restaurants überzeugen mit modernen Fusion-Kreationen. Und wenn es sein muss, wird in Miami auch mal ein komplettes Viertel aus dem Boden gestampft. So ist es jüngst im Design District geschehen, wo seitdem die großen Couturiers in glitzernden Boutiquen ihre hochpreisigen Kreationen anpreisen.
Kurzum: Miami ist nicht mehr nur eine oberflächliche Stadt am Ende des Kontinents, deren pastellfarbenes Gewand sich hervorragend als Kulisse für mittelmäßige Krimiserien eignet. Nein, Miami ist einer der aufregendsten Orte des Planeten. Um diesen Status zu erlangen, bedarf es natürlich auch Ecken und Kanten. Eigenschaften, die sich auch der kompetenteste Planer nicht ohne weiteres kaufen kann – und die bis vor wenigen Jahren allenfalls die vielen Einwanderer aus Südamerika oder der Karibik mitzubringen wussten.
Aufschwung dank Street Art in Wynwood
Um die Jahrtausendwende aber hatten ein paar Schweizer Kunsthändler genug davon, ihren Geschäften im unwirtlichen Winter der Heimat nachzugehen. Kurzerhand riefen sie einen Ableger der Kunstmesse Art Basel ins Leben, den sie fortan im sonnigen Miami ausrichten wollten.
Weder Galeristen noch Künstler und Käufer mussten sich lange bitten lassen, im Dezember in der Sonne Südfloridas über die roten Teppiche zu promenieren. Damit das Ganze keine langweilige Veranstaltung für satte Millionäre wurde, haben drei prominente Mitglieder des örtlichen Kunstbetriebes eine dementsprechend »edgy« Umgebung gesucht.
Die Wynwood Walls als Projektionsfläche für Street Art
Fündig wurden sie in Wynwood, das bis dahin auf der anderen Seite der Biscayne Bay ein Schattendasein führte. Verlassene Lagerhallen und abgerockte Wohnbauten prägten das Bild zu Anfang des Jahrtausends. Parallel zu den ersten Austragungen der Art Basel Miami erhielten Galerien rund um die NW 2nd Boulevard Einzug. Sie konnten sich den loftartigen Bauten artgerecht entfalten.
Die ersten Erfolge des Projektes lösten in Tony Goldman (1943–2012) frischen Tatendrang aus. Schon seit den 1980er Jahren hatte der Unternehmer an der Renaissance von Miami Beach mitgewirkt. Danach sah er auch in Wynwood Potenzial. Dazu aber musste es gelingen, die Leute vom Autofahren abzubringen und zu Fuß durch den Lagerhallendistrikt mit ihren vollgesprayten Außenwänden zu laufen.
Miami ist erwachsen geworden
Also ordnete Goldman das Chaos: In den verschlungenen Hinterhöfen des Viertels schaffte er Freiflächen, zu deren Gestaltung er die besten Künstler des Genres ermunterte – kurz bevor sich in den Nuller-Jahren ein weltweiter Street-Art-Hype durchsetzen sollte.
Plötzlich waren Miami und Florida Avantgarde. Wunderbar, befanden nicht nur die Galeristen. Rasant wurde Wynwood die Heimat von Boutiquen, Café, Restaurants, Brauereien und Clubs. Seitdem ist Miami nicht mehr nur ein unkontrolliert wachsendes urbanes Gebilde zwischen Ozean und Everglades, das sich einer glitzernden Fassade erfreut. Nein, die Stadt ist erwachsen geworden. Und sie wird in der ganzen Welt ernst genommen!
Informationen zur Street Art in Wynwood und Miamis hippem Stadtteil
Die Wynwood Walls befinden sich 4 Kilometer nördlich von Downtown Miami und 10 Kilometer nordwestlich von South Beach. Anfahrt am besten über den A1A oder den Venetian Drive bis Downtown, über die North Miami Boulevard links in die NW 25th St. Danach rechts in die NW 2nd Boulevard, wo es diverse Parkhäuser und Parkplätze gibt. Wer ohne Mietwagen in Miami ist, kann über die App von Uber einen Wagen bestellen. Auch von anderen Touristenzentren wie etwa Fort Lauderdale ist es nicht weit.
Die Wynwood Walls sind rund um die Uhr geöffnet und kosten keinen Eintritt. Die Murals in Wynwood sind nicht für die Ewigkeit angelegt. Auch populäre Exponate werden anschließend durch andere ersetzt. Geführte Touren entlang der Murals gibt es täglich von 11–18 Uhr, Tickets kosten 20 USD.
Galerien und Museen in Miamis hippem Stadtteil
The Peter Tunney Experience: Zeitgenössische Pop-Art in loftigem Ambiente. 220 NW 26th Street, Wynwood Walls, 33127 Miami
Rubell Museum Eine der umfangreichsten und zugleich hochwertigsten Sammlungen von Gegenwartskunst des Kontinents. 1100 NW 23 Street, Miami, Tel. 305 573 60 90
Essen und Trinken
Wynwood Kitchen & Bar Neuamerikanische Küche in kunstaffinem Ambiente. 2550 NW 2nd Boulevard, 33127 Miami, tgl. ab 11.30 Uhr
Unterkünfte: Durch den Aufschwung des Viertels haben sich erste Hotels in der Nähe angesiedelt. Solide ist das Hampton Inn & Suites Midtown (www.hilton.com), glamouröser ist das Hyde Midtown (www.sbe.com).
Die USA sind im Allgemeinen kein Fußgängerland. Insbesondere im Dunkeln sollte man abseits der geschäftigen Straßen Wynwoods nicht unbedingt spazieren gehen.
Weitere Informationen über Florida und Miami gibt es unter anderem auf den deutschsprachigen Homepages.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Juli 2021.
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