Ja, wir sind schon ein bisschen schräg. Ich gebe es unumwunden zu: auch in den USA gehen wir gerne zu Fuß. Was haben wir uns in 20 Jahren Amerikareisen schon angetan. Haben uns anhupen lassen, wenn wir die 500 Meter vom Hotel zum nächsten TGI Friday’s auf jeweils zwei Beinen zurücklegten. Und besorgte Mitnahmeangebote freundlich abgelehnt.
Nun ist es ja nicht so, dass Amerikaner ihre Füße nur zur Betätigung des Gaspedals oder der Bremse einsetzten. Als wir jüngst in Fort Lauderdale, Florida, ankommen, sehen wir das gleiche Bild wie überall im Land: Joggende, im Stechschritt walkende Menschen, die sich in diesem Fall auf der bestens ausgebauten Strandpromenade (freilich direkt an der Straße) ihrer körperlichen Ertüchtigung hingeben. Aber würde einer dieser Fitnessfreaks einfach zum nächsten Drugstore weiterlaufen, um das vergessene Shampoo zu kaufen? Honey, man bewegt sich doch nicht, um vorwärts zu kommen!
Das Venedig Amerikas
Also, wie erwähnt, wir sind ziemlich crazy, und deshalb wollen wir es in Fort Lauderdale nochmal versuchen: ein Tag ohne Auto in Fort Lauderdale mobil sein. Dieses Vorhaben sollte doch in Fort Lauderdale insbesondere deshalb leichtfüßig verlaufen, weil die rund 170.000 Einwohner zählende Stadt nicht nur von Asphaltwegen, sondern auch von immerhin rund 500 Kilometern schiffbaren Wasserstraßen durchzogen wird. Und sich deshalb – Ihr ahnt es bereits – mit dem Titel „Venedig Amerikas“ schmückt.
Es gibt sogar eine Gondel, die in einem der Kanäle vor sich hindümpelt, wahrscheinlich hängt auch ein irgendwo ein Gondoliere in einem Diner rum und summt „O sole mio“, während im Hintergrund American Football über 50 Bildschirme flimmert… Aber ich schweife ab.
Mit dem Wassertaxi durch die Kanäle von Fort Lauderdale
Als Einstieg in das Wasserreich schlappen wir entlang der Strandpromenade zum Hafen von Fort Lauderdale, wo das „Jungle Queen Riverboot“ zu seinen 90-minütigen Sightseeing-Touren starten soll. Wir passieren eine der 27 Radstationen von Broward B-Cycle, an denen man sich gegen Einsatz der Kreditkarte ein Rad schnappen kann, eilen aber weiter, denn um 11 Uhr soll das Schiff fahren.
Doch der Nachbau eines Südstaatendampfers legt diesmal nicht ab: eine große Boot-Show verhindert die Touren, die als ebenso vergnüglich wie informativ gelten.
Man verweist uns als Alternative an das nahe Wassertaxi. Fester Fahrplan, verschiedene Stopps in der Stadt, eine App zum Runterladen – plopp, da ist er in meinem Kopf, der Vergleich mit La Serenissima! Nur, dass die Amiversion sich ausschließlich an Touristen richtet. Und daher von launigen Erläuterungen begleitet wird, welche Promis in der Gegend residieren.
Von der Silikon-Villa bis zum Weißen Haus
Als wir bei unserem Tag ohne Auto in Fort Lauderdale an der sogenannten Millionaire’s Row vorbeigondeln, quasi dem Kanale Grande von Fort Lauderdale, blüht der baseballbemützte Büttenredner zur Hochform auf. Man kann den Kopf kaum so schnell Back- und Steuerbord schwenken, wie er Namen tropfen lässt: das da ist die Villa der Budweiser-Bierdynastie, die (deutschstämmige) Konkurrenz Yuengling nicht weit entfernt, ach, schaut: die 27-Millionen-Dollar-Hütte von Miami Vice-Produzenten Michael Mann, und hier das Anwesen eines Schönheitschirurgen – ich nenne sie immer Silikon-Villa, hihi – kennt ihr noch Scottie Pippen, den Basketballstar?
Das ist sein, nun ja, Haus. Und seht ihr das Schild da: das ist nicht die Telefonnummer des Maklers, sondern der Preis, hehehe, Gene Hackman, Dennis Rodman, Sonny & Cher, you name it. Und guckt mal, die Yacht „Lady Sheridan“, kostet 30 Millionen Dollar, kann man aber auch mieten, schlappe 350.000 Dollar pro Woche, Nebensaison.
Wie kommt man denn zu so viel Geld? Wenn man als Anwalt gegen die Tabakindustrie gewinnt, und jetzt gebe ich euch am nächsten Stopp einen Tipp: das Fischrestaurant hier, wirklich gut, unten casual, oben fine dining, jemand aussteigen? Okay, weiter geht’s, ups, ist das nicht das Weiße Haus? Nee, eine Nachbildung, übrigens das wohl meist fotografierte Haus in Florida, und aus jedem Fenster kann man aufs Wasser blicken.
Aber wenn der alte Herr doch blind ist? Nun, seine junge Perle kann sicher ex-zell-ent sehen, HAHAHA! Erinnert ihr euch Farrah Fawcett, „Drei Engel für Charley“? Den Palast dort baute Lee „ein-Colt-für-alle-Fälle“ Majors für sie. Hier haben wir das Anwesen von David Cook, Gründer von Blockbuster-Video, der rechtzeitig vor Netflix den Absprung schaffte und sein Unternehmen für 8,2 Milliarden Dollar verkaufte, ja, dann kann man sich so ein Häuschen leisten…
Flaniermeilen? Das ist so „Alte Welt“!
So geht unser Tag ohne Auto in Fort Lauderdale munter weiter, vorbei am restaurierten Riverside Hotel, dem ältesten am Platze, dessen Besitzer während der gelegentlich auftretenden Hurrikans ihre Türen für Notleidende öffnen. Wir könnten noch ewig weiterfahren in dem vollbesetzten Wassertaxi, die überwiegend prächtigen Prunkbauten in tropischer Umgebung bewundern und den Histörchen lauschen.
Wir entscheiden uns aber, auszusteigen, um auf dem Riverside Walk entlang des Flusses Richtung Las Olas Boulevard zu bummeln. Die Flaniermeile erinnert mit ihren kleinen, unabhängigen Läden, Galerien, Restaurants und Bars noch am ehesten an „Alte Welt“, wie Amerikaner in einer unnachahmlichen Mischung aus Verachtung und Bewunderung Europa bezeichnen.
Der Trolley muss sich trollen
Ich bin nun etwas ermattet, haben wir doch inzwischen schon an die 14 Kilometer zurückgelegt. Ein Trolley naht, ich jauchze erfreut. Doch mein Begleiter will weiterlaufen, und lässt sich auch von dem Hinweis nicht erweichen, dass das Wägelchen auf den meisten Routen gratis fährt. Dafür ködert der Mann mich mit einem fürstlichen Lunch. Später. Wir setzen unseren Spaziergang also fort, über Brücken, entlang von Kanälen, immer mit Blick auf noble Hütten.
Keine Hupen – Experiment geglückt!
Als wir endlich zu einem spätnachmittäglichen Lunch im urigen Lokal Coconuts am Wasser sitzen und den Tag rekapitulieren, schauen wir uns über unsere Fisch-Tacos hinweg erstaunt an: Ist das nicht verrückt. Wir sind ja gar nicht angehupt worden?! Kein einziges Mal! Ist es eine Trendwende in den USA? Oder liegt es an der Stadt Fort Lauderdale, die sich so fußgängerfreundlich gibt?
Wir sind heute über eine Strandpromenade spaziert, vorbei an einer Radstation, haben uns auf einem Wassertaxi durch die Kanäle schippern lassen, sind über den Riverwalk geschlendert und auf dem Las Olas Boulevard gebummelt. Wir hätten auch noch den kostenlosen Trolley nutzen und zum Abschluss eine Sunsetcruise mit der Jungle Queen machen können. So sind wir unter dem Strich happy mit dem Experiment „Ein Tag in Fort Lauderdale ohne Auto“!
Aber zum Shoppen in die Outletmall Sawgrass Mills – da fahren wir an dem Abend schön mit dem Mietwagen. Man bewegt sich ja nicht, um vorwärts zu kommen, Honey!
Informationen: Das Tagesticket im Wassertaxi kostet 26 $ pro Person. Praktisch ist die App, mit deren Hilfe die aktuellen Standorte und Fahrtrichtungen der Wassertaxis getrackt werden können. Die Räder von Broward B-Cycle kosten bei einer Siebentage-Mitgliedschaft (25 $) für Fahrten bis zu 30 Minuten jeweils 1 $. Und ganz nebenbei: Die Straßen und Bürgersteige von Fort Lauderdale sind sicher.
Die Reise nach Fort Lauderdale wurde zum Teil unterstützt vom Greater Fort Lauderdale Convention & Visitors Bureau (#HelloSunny) und von Visit Florida.
Text: Frida van Dongen. Bilder: Ralf Johnen, November 2017
2 Comments
Beim lesen fühlt man sich wie in Miami! Schöne Story! Allerdings muss man sehr gut zu Fuß sein!
Danke für das Kompliment, liebe Ursula!