Vlieland ist der perfekte Ort für einen Kurztrip nach Holland: Von allen Westfriesischen Inseln ist das Eiland am weitesten vom Festland entfernt. Es ist weitgehend autofrei und dennoch gut erreichbar.
Auf einer West-Ost-Ausdehnung von 20 km hat mit Oost-Vlieland nur ein Dorf die Jahrhunderte überstanden. Das zweite Dorf, West-Vlieland, ist durch veränderte Strömungsverhältnisse im 18. Jh. im Meer versunken.Nach spätestens 95 Minuten kommen Besucher auf einem Stück Niederlande an, das sich komplett vom geschäftigen Rest des Landes abhebt. Noch im 20. Jh. schien Vlieland eher eine Last. Die Insel war so bedeutungslos, dass die niederländische Regierung mit dem Gedanken geliebäugelt hat, sie ganz aufzugeben. Anstelle das Eiland der gierigen Nordsee zu überlassen aber hat sich Den Haag Vlieland lieber als offiziellen Truppenübungsplatz der Luftwaffe zunutze gemacht.
Oost-Vlieland ist selbst mag nur 1000 Einwohner haben. Doch das Dorf ist hübsch: Viele der kleinen Häuser stammen aus dem Goldenen Jahrhundert (also dem 17. Jahrhundert) und sind mit prächtigen Giebeln geschmückt und in den großen Fenstern stehen Blumen.
Ab in die Dünen
Dort wo die Dorpstraat endet, wird Vlieland schnell ländlich. Im Norden bauen sich hinter den Dünen hier und dort ein paar Ferienhäuser auf. Das aber war es.
Dafür wird die Insel von einem makellosen Strand und hohen Dünen gesäumt. Nur die Südflanke gibt sich anders. Sie ist dem Wattenmeer zugewandt und somit dem Spiel der Gezeiten ausgesetzt, dessen immer wiederkehrenden Routine weite Teile der bis zum Festland reichenden Fläche zwei Mal täglich trockenlegt. Fantatstisch übrigens, um an einer leicht abenteuerlichen Wattwanderung teilzunehmen.
Dieses Schauspiel sollte nicht davon ablenken, dass der Westen Vlielands einen recht spektakulären Superlativ bereithält: Der sogenannte Vliehors ist die angeblich größte zusammenhängende Sandfläche Europas. Unabhängig davon, ob diese Behauptung einem Faktencheck standhält, können die natürlichen Vorzüge des Vliehors nur unter gewissen Einschränkungen erkundet werden.
Panzer außer Dienst
Bis heute nämlich erfüllt der Westen der Insel sporadisch seine militärische Funktion. Gelegentlich donnern Düsenjäger über die Insel – und damit natürlich über die ganze Region. Allerdings wurde die Militärpräsenz deutlich zurückgefahren – und so ist der Vliehors heute von Freitagnachmittag bis Montagfrüh für Touristen zugänglich.
Wer sich am Strand immer weiter in Richtung Westen vorarbeitet, stößt auf ein paar Schilder, die auf die militärische Teilzeitverwendung hinweisen. Dahinter befindet sich vor allem eines: Sand. Herrlich! Auf den Sandbänken im Wattenmeer sonnen sich zuweilen die Seehunde.
Sahara des Nordens?
Durch die Kräfte von Ebbe und Flut ändert der Vliehors regelmäßig sein Gesicht. Mit einer Fläche von 21 Quadratkilometern aber sind seine Ausmaße so erheblich, dass bei manchen Leuten verbal die Pferde durchgehen: »Sahara des Nordens« wird dieser Flecken dann genannt, obwohl er von Wasser umgeben und meist eher kühl ist.
Im Sand ruhen derweil die Ruinen einiger Panzer, ein skurriler Anblick. Nur am äußersten Westende erhebt sich eine Hütte, die im Notfall Gestrandeten Obdach bietet. Ein vozügliches Revier für eine ausgedehnte Wochenendwanderung, auch während der Woche aber existiert in aller Regel eine Möglichkeit zur Erkundung.
Der Vliehors-Express, ein kettenbetriebenes Amphibienfahrzeug, dessen Fahrer im Falle militärischer Übungen in direktem Kontakt mit den Militärs stehen.
Eilpost per Pferdekutsche
Während heute bis zu sechs Mal am Tag eine Fähre zum Festland pendelt, war die Fortbewegung in den ersten Jahrhunderten der Besiedlung eine mühselige Sache. Dennoch wurde Vlieland früh über eine tägliche Postroute mit der Hauptstadt Amsterdam verbunden. Das strategisch günstig in der Mitte des Eilands gelegene Posthuys spielte dabei eine wichtige Rolle.
Im 17. Jh. sind die Niederländer durch ihre fortgeschrittene Mobilität zu einer Weltmacht aufgestiegen: Die Schiffe der Ostindien-Kompanie (VOC) sind zu ihren Raubzügen nach Asien aufgebrochen und von den Wattenmeerinseln haben ganze Flotten Kurs auf das Nordmeer genommen, um dort nach Walen zu jagen.
Je nach Wind mussten die Schiffe Tage oder Wochen auf ihre Ausfahrt warten, doch die Besatzungen sollten erreichbar bleiben. So kam es, dass eine Pferdekutsche täglich von Amsterdam nach Den Helder gestartet ist. Dort setzte ein Schiff mit den Seebriefen nach Texel über, wo sich das Schauspiel wiederholt hat. Letzte beheizte Station vor der Auslieferung an die Kapitäne war nach gut zwölf Stunden das Posthaus.
Der letzte Postillon
Die zunächst wacklige Holzkonstruktion wurde 1836 durch einen soliden Steinbau ersetzt, der bis zur Entlassung des letzten Postillions 1927 seine Dienste tat. Das nunmehr überflüssige Gebäude diente fortan der Landwirtschaft, doch auch deren Ausübung lohnte sich nicht auf dem kargen Eiland. So war das ehrwürdige Haus schließlich dem Verfall ausgesetzt.
Erst Ende der 1980er Jahre, als der Tourismus zunehmend an Bedeutung gewann, haben neue Besitzer ein Café-Restaurant mit einfachen Hotelzimmern eingerichtet. 2013 war die Zeit für den nächsten Schritt gekommen. Seitdem ist das Haus ein komfortables Domizil, auf dessen windgeschützter Terrasse tagsüber die Wanderer und Ausflügler ihre Energievorräte mit »een kopje koffie« und »appelgebak« auffüllen. Richtige Strandpavillons allerdings gibt es auf der Insel nur einen einzigen: Het Badhuys.
Wenn die Tagesbesucher am Abend wieder fort sind, schlägt die Stunde der Hotelgäste: Sie können bei völliger Dunkelheit den Nachthimmel beobachten, gegebenenfalls dem Sturm lauschen, alleine im angrenzenden Polder umherschweifen oder die Flugübungen riesiger Starenschwärme beobachten – und dabei vielleicht kurz über die harten Zeiten von anno dazumal nachdenken.
Mini-Woodstock in den Dünen
In der Vor- und Nachsaison sind neben Strand, Meer und Sand auch Ruhe und Einsamkeit feste Größen. So gibt es auf ganz Vlieland nur einen einzigen Strandpavillon, ’t Badhuys. Vergleichsweise trubelhaft wird die Insel vor allem Anfang September, wenn Vlieland mit »Into the Great Wide Open« eines meiner Lieblings-Festivals beherbergt.
Hier können die Besucher in den Dünen sitzen, sich die salzige Meeresluft um die Nase wehen lassen – und fernab von Verkehrslärm und sonstigem Zivilisationsstress die Auftritte einige der feinsten Bands und Solokünstler des Planeten genießen.
Das ganze findet in einem kleinen Rahmen mit maximal 6000 Zuschauern statt, wobei die Organisatoren sich hoher Qualität und strengen Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet haben. Der Erfolg gibt ihnen Recht: Angelockt von Zugpferden wie Belle & Sebastian, den Poppunk-Veteranen von The Undertones oder der New Yorker Dance-Formation Hercules & Love Affair sind die Tickets schon Stunden nach Beginn des Vorverkaufs vergriffen.
Auch wenn die Kombination aus Musik, intimem Rahmen und herrlicher Location die eigentliche Attraktion sein mag, so sind sie keineswegs der einzige Grund für die Beliebtheit, denn das nach einem Song von Tom Petty benannte Festival steht auch für ein gepflegtes Rahmenprogramm aus avantgardistischer Kunst, Film und Performance.
Die Zelte in den Dünen aufschlagen
Obwohl die Ferienhäuser und Hotels auf Vlieland den nötigen Komfort bieten, schläft das Festivalpublikum vorzugsweise auf dem Zeltplatz Stortemelk, der mitten in den Dünen einen guten Teil des Nordostens der Insel in Beschlag nimmt. Die Nachfrage nach Tickets für Into the Great Wide Open ist mittlerweile so groß geworden, dass sich die Organisatoren zu einer Frühlingsausgabe des Festivals entschieden haben. Diese heißt – frei nach einem Song der Undertones – »Here Comes The Summer« und findet Anfang Mai statt.
Wer sich nach weiteren Attraktionen auf Vlieland umschaut, wird ohne Mühe einen roten Leuchtturm entdecken, oder die Köpfe der im Hafenbecken umherschwimmenden Seehunde. Letztlich aber geht es ja bei einem Kurztrip über die Feiertage um etwas völlig anderes: Die Füße hochlegen und Standby schalten bis der Akku wieder aufgeladen ist.
Informationen zum Kurztrip nach Vlieland
Kurztrip nach Holland: Mit dem Auto oder dem Zug bis Harlingen. Von der Kleinstadt in Friesland aus mit der Fähre der Rederij Doeksen nach Vlieland, entweder mit der Schnellfähre (45 Minuten, 41,20 Euro) oder mit der regulären Fähre (95 Minuten, 27 Euro). Parkplätze in Harlingen kosten für ein Wochenende mit Brückentag 28 Euro (Do–So). Weitere Informationen unter Parkeren Harlingen.
Übernachten
Posthuys Vlieland bei Familie Leonie Hacke, Postweg 4, 8899 BZ Vlieland
Essen und Trinken
Strandpavillon Badhuys, Badweg 6, tgl. ab 10, Juli und August ab 9 Uhr
Aktivitäten
De Vliehors Expres Middenweg 41, 8899 BA Vlieland, Tickets 16,50/11 Euro, wechselnde Abfahrtszeiten
Into the Great Wide Open Anfang September, Vorverkauf ab Mitte Januar (schnell handeln, denn das Festival ist binnen Stunden ausverkauft)
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Mai 2021, der Autor war privat auf Vlieland.
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