Einige Reisen habe ich einfach ausgelassen. Ich meine: Was kümmerte mich schon Ibiza. In den 90er Jahren habe ich Nacht um Nacht am Flughafen Köln/Bonn gearbeitet, um mir mein Studium als Geisteswissenschaftler einer noch keineswegs festgelegten Richtung zu finanzieren.
Wenn es für den Besuch eines Seminars einen Schein gab: gut. Und wenn nicht: auch nicht schlimm. Auch hat es mich nicht weiter gestört, als Hubwagenfahrer zehn bis 14 Nächte im Monat Flugzeuge mit Essen und Trinken zu beliefern. Denn das beinhaltete immerhin, dass ich morgens um 6 Uhr die Feuilletons aller führenden Tageszeitungen bereits gelesen hatte. Hauptsache ich konnte an den verbleibenden Tagen meine Lieblingsbands sehen, wann immer diese in Köln, Frankfurt oder Amsterdam aufgetreten sind.
Es gab noch Freiräume damals. Auch bei der Arbeit. Nicht selten habe ich die Nachtschicht mit drei Spaniern geteilt. Und wenn die von den Kanaren oder den Balearen kommenden Charterflieger alle leer geräumt waren, haben wir uns auf ein paar Kisten gesetzt und gepokert. Dabei haben wir WDR 4 gehört – und da war er dann doch, der Berührungspunkt: „Du hast ihn, ich hab Ibiza“.
Ibo nannte sich der Interpret dieses Schlagers. Der arme Tropf ist irgendwann bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Davon ahnte ich nichts, als ich eines Tages doch für eine Woche auf die Insel gekommen bin. Auch mit dem Café del Mar und der beginnenden Partykultur bin ich damals nur sporadisch in Berührung gekommen.
Doch immerhin habe ich abgespeichert, dass die Insel sehr schön sein musste – wenn man sie denn so erleben konnte, wie sie wohl einmal gewesen ist, bevor der Prototyp des Pauschaltouristen erfunden wurde. Im Frühling vielleicht. Oder im Herbst.
Kürzlich nun gab es einen Job dort. Nicht als DJ im Bora Bora (das hebe ich mir für die rauschenden 20er auf), sondern einer, für den ich mich als Geisteswissenschaftler berufen fühlen konnte. Ich musste nicht lange überlegen, bis ich zugesagt habe. Auch wenn ich mir der Gefahr bewusst war, dass ich mich in Zukunft wohl kaum noch würde herausreden können, auch die Nachbarinsel mit dem „M“ eines Tages besuchen zu müssen.
Die Recherche für den neuen Polyglott on Tour sollte ein biographisches Lehrstück werden, denn, um es vorwegzunehmen: ich habe mich kaum jemals irgendwo wohler gefühlt. Ohne jede Form von Spektakel, denn bizarrerweise ist die Touristensaison auf Ibiza reduziert wie eine französische Sauce.
Von Anfang Oktober bis Anfang Juni ist es dort fast so, wie es Römer, Katharger, Mauren, Kastilier und Katalanen vorgefunden haben, wenn sie die Ibizenker mit ihrer Anwesenheit belästigt haben.
Ich werde noch einige Geschichten schreiben über diese Insel. Aber für den Moment gebe ich mich damit zufrieden, mich den Farben zu widmen. Dem Rot der Erde, dem jungen Grün der Rosmarinsträucher, dem Weiß der Wehrkirchen – und allen voran: dem Blau. Es ist wie in dem Song großen Edwyn Collins: „50 Shades of Blue“.
Ganz davon abgesehen werte ich meine Geschichte als Beweis dafür, dass die erste Generation der Massentouristen nicht so Unrecht hatte mit ihrer Entscheidung für Ibiza – und meinetwegen auch für den Rest der Balearen.
Text und Bilder: Ralf Johnen, Juni 2016. Die Reise wurde unterstütz von den Tourismusbüros von Ibiza und Spanien. Der Polyglott on Tour Ibiza erscheint in 2017 – mein spezieller Dank geht an Estefania, Auto Europe und alle anderen, die den Trip möglich gemacht haben.
4 Comments
Trauminsel und wunderschöne Fotos!! Wollen wir auch unbedingt noch hin, besonders der Hippie-Markt soll ja toll sein 😉
Lieben Gruß, Anna & Vanessa
Danke ihr beiden,
wie bei so vielen anderen Destinationen, entfaltet sich der wahre Reiz Ibizas erst, wenn man die Klischees hinter sich lässt.
Stay tuned, Ralf
Bei diesen Bildern will ich am liebsten sofort die Koffer packen und nach Ibiza. Schön, dass mal nicht nur die Partyszene im Mittelpunkt bei dieser wunderschönen Insel ist.
Nichts wie hin Silke – aber vielleicht erst Ende September, wenn es wieder etwa ruhiger wird?