Grünlich schimmerndes Wasser eingerahmt von 2000 Meter hohen Bergen. Dörfer voller ockerfarbener Bauten aus längst vergangenen Jahrhunderten. Promenaden, Yachten und Vespas. So kommt der Gardasee auf den Postkarten rüber, die mir schon meine Großmütter geschickt haben. Das sind Anreize genug, um ein paar sonnige Herbsttage am Gardesee zu verbringen.
Doch kann es Spaß machen, in diesem Ambiente Urlaub machen? Ich hatte meine Zweifel wegen der Reisebusse oder auch wegen der billigen Aperol-Spritz. Nun aber lag der See auf dem Heimweg von Mailand. Die Gelegenheit für ein Experiment: Sonnige Herbsttage am Gardasee mit Sightseeing und Nostalgiefilter.
Sonnige Herbsttage am Gardasee
Während der Fahrt nach Italien ist das Dach offen. 23 Grad Anfang Oktober nehmen dem Palmenbewuchs am Seeufer das Angeberische. Über dem See bei Toscolano Maderno liegt ein milchiger Schleier. Die Straßen bis nach Riva del Garda sind leerer als erwartet. Es zwängen sich keine Reisebusse durch die engen Tunnels. Im Hotel du Lac et du Parc weist uns die Rezeptionistin ein Zimmer im fünften Stock zu: »Mit Seeblick.«
Vor allem aber mit Blick auf jenen Berg, der das Sonnenlicht im Herbst schon am späten Nachmittag abfängt. Etwa auf halber Höhe des Steilhangs entdecke ich einen weißen Farbfleck, eine Kapelle, deren Errichtung frühere Generationen einige Willenskraft gekostet haben muss.
Ein Speisesaal wie in einem jugoslawischen Kreuzfahrtschiff
Wir trinken eine Flasche Lugana aus dem Trento. Gegen 20 Uhr wird es Zeit, den Speisesaal aufzusuchen. »Candlelight-Dinner« frohlockt die Speisekarte. Schon aus der Ferne hören wir, dass sich ein Pianist um eine anlassgerechte Beschallung müht. Der Saal ist mit Marmor ausgelegt, von der Decke hängen übergroße Kandelaber.
Ein Batallion fein livrierter Kellner wetzt dienstbeflissen durch den Saal, einer von ihnen sieht aus wie Dean Martin. Das Essen allerdings ist ein wenig ideenlos an diesem Abend. Als Appetizer ein kleines Croissant mit Schinken und Käse, eine passable Kürbissuppe, später mit Dill gewürzter Steinbutt. Dass der Saal nur zur Hälfte eingedeckt ist, hebt die Stimmung ebensowenig wie die Anwesenheit fast ausschließlich älterer Urlauber.
Alles ist so alt in Italien
Dennoch resümiere ich: Dieser vorwiegend mintgrüne Saal hat Charme. Ich stehe kurz davor, mich im Jahr 1971 zu wähnen und blicke sehnsuchtsvoll zum Eingang, wo ich Grace Kelly vor meinem geistigen Augen sehe. Oder wenigsten Rock Hudson.
Später sitzen wir mit einem Bier am See. Es ist windstill und mild. Ich bemerke, dass zwei Lichtkegel auf das Wasser fallen. Einer stammt von der hell erleuchteten Burg, der andere von besagtem Kapellchen. Ich beginne über Italien zu sinnieren, dass die Bauwerke hier so offensichtlich alt sind und was es für enorme Anstrengungen bedeutet haben muss, sie zu errichten. Die meisten, denke ich, sind aus religiöser Motivation entstanden, aus Ehrfurcht vor Phänomenen, die mittlerweile längst wissenschaftlich geklärt sind. Erst als vor mir ein Fisch aus dem Wasser springt, kehre ich zu irdischeren Gedanken zurück. Soso, denke ich, durch die Nähe zum Wasser schweigen deine Gedanken in die Ferne.
Sonnige Herbsttage am Gardasee: Wanderung zur Kapelle
Am nächsten Morgen packen wir die Rücksäcke. Wir wollen hinauf zu dieser Kapelle. Der Himmel ist blau, das Wasser des Sees unverändert grün. Die entmotorisierte Promenade von Riva ist nur mäßig bevölkert. Als ich mich zwecks Digitalisierung des Moments ans Wasser knie, werde ich umzingelt: Eine verzogene Entenfamilie hat es auf mein iPhone abgesehen.
Als wir uns dem Ortskern nähern, wird es plötzlich rummelig. In einer Dönerbude wartet jemand auf Kundschaft. Eine mit Panflöten bewaffnete Formation von Musikern, die ganz offensichtlich nichts mit Italien am Hut hat, rüstet sich für den Tag. Die Bars sind schon um 11 Uhr von Männern bevölkert, die kurze Hosen, weiße Socken und Sandalen tragen. Die meisten, vermute ich ohne Beweise, sind sicherlich in klimatisierten Reisebussen angereist, deren weißes Kennzeichen mit schwarzer Schrift keine Zweifel an der Herkunft lässt.
Weiße Socken, erstes Bier um 11
Mit leerem Blick kippen sie die mutmaßlich erste Maß Bier in sich hinein. Mir fallen zwei Sätze ein, die ich kürzlich gehört habe: Die Deutschen lieben die Italiener, respektieren sie aber nicht. Die Italiener hingegen lieben die Deutschen nicht, aber sie respektieren sie. Nun weiß ich, was damit gemeint war. Ich frage mich, was mit dem »deutschen Kaffee« gemeint ist, mit dem eine Bar wirbt.
Über enge Serpentinen gelangen wir zu der Burgruine, deren nächtliche Beleuchtung ich bereits bewundert habe. Von der Bastion aus führt ein steiniger, durchaus steiler Weg hinauf zu Santa Barbara, die 1928 fertiggestellt wurde. Immer wieder blicke ich hinab auf den Ort.
550 Höhenmeter in gut einer Stunde
Die unregelmäßige Anordnung der rötlich bedächerten Häuser. Das Hafenbecken mit dem Torre Apponale, einem Turm aus dem Jahr 1220. Die schwelgerischen Gedanken gehen schon wieder los während der sonnigen Herbsttaage am Gardasee. Nach gut einer Stunde haben wir die 550 Höhenmeter überwunden.
Zwar ist Santa Barbara aus der Nähe betrachter weniger beeindruckend, als vom nächtlichen Seeufer. Doch für den inneren Frieden war der Aufstieg ebenso unverzichtbar wie die Erkenntnis, dass nur wenige Schritte hinter dem Städtchen die Welt der Trekker, Mountainbiker und Kletterer beginnt.
Moderne Suite im Hotel du Lac et du Parc
Als wir zurück in unserem Domizil sind, werden wir umquartiert. Unsere Koffer stehen nun in den Murialdo Suites, einem Neubau auf dem Hotelgelände. Ein veritabler Tapetenwechsel, denn während das Interieur der Zimmer im Haupthaus grünblau gehalten ist, was mich – ohne dass ich es je gesehen hätte oder noch in Augenschein nehmen könnte – an Urlaub in Jugoslawien erinnert, residieren wir nun in dezidiert modernem Ambiente.
Parkett und elegante Möbel verleihen den Suiten eine zurückgenommen stilvolle Aura, die dem Vernehmen nach jüngst die Profis eines deutschen Fußballvereins zu goutieren wussten.
Aufstieg zum Montebaldo
Auch die Küche ist an diesem Abend besser in Form: Das Vorspeisen-Büffet mit gegrillten Artischocken und Vitello Tonnato fällt ebenso angenehm auf wie die Gardasee-Forelle. Der Moscatello von Manincor aus dem Trento ist eine Granate.
Für den nächsten Tag in Italien haben wir uns den Monte Baldo vorgenommen. Doch wir überlegen es uns anders. Ganz gewiss haben wir ein wenig Scheu vor den 2200 Höhenmetern (OK, bis zur Gipfelstation der Bergbahn sind es machbare 1600 Meter), auch hängen ein paar Wolken am Berg. Der wahre Grund aber ist, dass wir gekommen sind, um die Urlaubstauglichkeit des Gardasees zu prüfen.
Sonnige Herbsttage am Gardasee: Bootstour nach Malcinese
Also nehmen wir die nächste Härteprüfung in Angriff: Bootstour nach Malcesine. Vorbei an den trinkenden Teutonen und den musizierenden Indios bahn en wir uns unseren Weg zum Ableger am bergseitigen Ende des Hafens von Riva. Wir kaufen Halbtagestickets für die Nordhälfte des Sees (20,70 Euro) und reihen uns ein in die Schlange nervöser Passagiere, die bereit sind für den Kampf um die 20 nicht überdachten Plätze im Bug des Schiffes.
Weil es ja Nebensaison ist, gelingt es auch uns Pazifisten einen passablen Platz zu ergattern. Schon geht es wieder los: Das grüne Wasser, die Berge, der blaue Himmel. Die Synapsen arbeiten und arbeiten. Als wir in den Hafen von Limone einfahren, beugt sich in einem gelb angestrichenen Hotel ein alter Mann (er erinnert mich an Pablo Picasso) über die Reling eines Balkons.
Herzrasen am Hafen
Ich bekomme Herzrasen. Die Auswertung meines Gehirns lautet: »Sonnige Herbsttage am Gardasee sind zum Sterben schön.« Obwohl ich mir solche Gedanken sonst gemeinhin verkneife. Schließlich bin ich Stoiker.
In Malcesine folgt die Abkühlung. Es ist nicht das winzige Hafenbecken, in dem nur wenige Boote Platz finden, das den Synapsen nun Einhalt gebietet, nein, es sind die saufenden Touristen, die diesen Job übernehmen. Als ich höre, wie ein (abermals völlig dekontextualisiertes) Duo ihnen »No woman, no cry« vordaddelt, beneide ich plötzlich Goethe. »Das ist eine Premiere«, denke ich kurz.
Verwunschene Gärten, Zedern und Zypressen
Doch der Dichter hat diesen Ort zeitlebens in einem unberührten Zustand erlebt, was ihn zu einer Schwärmerei veranlasste. Wir dagegen nehmen die Beine unter die Arme: Nichts wie weg hier. Vorbei an Lederfachgeschäften und Universal-Nippesläden mit Schaufensterlängen von gefühlten 60 Metern schreiten wir gen Süden. Schon nach etwa fünf Minuten sind wir nahezu allein. Am Ufer des Sees stehen patinabefallene Villen, in deren verwunschenen Gärten Olivenbäume ihre Früchte großziehen.
Der Gardasee produziert einige windbedingte Wellen, die mit einem angenehmen Plätschern die Aufmerksamkeit unserer Ohren erheischen. Unser Blick fällt auf knorrige Zedern und Zypressen, die vorwitzig in die Luft ragen. Dann nehmen wir auf einem Miniaturfelsen platz und vergessen die Zeit. An was ich gedacht habe, weiß ich nicht mehr. Beinahe aber hätten wir das letzte Boot zurück nach Riva verpasst.
Spagat zwischen Tradition und Moderne
Das Hotelrestaurant serviert Penne mit Zucchini und Kürbis-Risotto, danach ein gutes Saltimbooca. Inzwischen habe ich den Saal lieb gewonnen. Ich stelle mir vor, welch hippes Publikum hier verkehren würde, wenn das Ding in Köln oder Berlin stünde.
Auch Giancarlo, der stets diskrete Kellner, der das Essen meist unter einer braunen Plastikabdeckung hervorzaubert, wird mir fehlen. Der Spagat zwischen Tradition und Moderne ist an diesem Ort halt nicht einfach. Doch wer in der Nebensaison reist und auch dann zu einigen Ausweichmanövern bereit ist, kann sich dem Gardasee ausliefern. Und das ist nur die kurze Version.
Informationen über sonnige Herbsttage am Gardasee
Hier geht es zur Webseite des Tourismusbüros des Gardesees.
Die Übernachtungspreise variieren je nach Ssison und Zimmer stark. Ein einfaches Doppelzimmer im Haupthaus ist in der Nebensaison für unter 200 Euro zu haben, das große Penthouse mit Whirlpool auf dem Balkon kann in der Hauptsaison mit 1000 Euro (für vier Personen) zu Buche schlagen. Der prächtige Park, die drei Pools, der Marmorspeisesaal und die Frühstücksveranda stehen allen Gästen offen.
Die Halbpension kostet 55 Euro pro Person und Tag. Die Weinkarte ist umfangreich und beinhaltet zahlreiche Positionen für den Kenner mit gehobenen Ansprüchen.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Juli 2022. Der Autor hat auf Einladung des Hotels drei Nächte im Hotel du Lac et du Parc verbracht. Dabei hat er etwas gemacht, was er heute nicht mehr täte: Den Hipstamatic-Filter für Fotos zu verwenden.
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[…] von Boardingcompleted macht einen Ausflug an den Gardasee. Ich verbinde den Gardasee mit einer Reise, die ich mit 13 oder 14 Jahren zusammen mit meiner […]