Ein Rundflug über den Denali in Alaska ist ein majestätisches Erlebnis. Er führt in eine immer noch weitgehend unberührte Welt, die sich rund um den höchsten Berg Nordamerikas ausbreitet.
Sean nennt ihn aus dem Cockpit nur »the big rock«. Das geht in Ordnung. Piloten-Coolness halt. Auch beim Rundflug (klicke hier, um zu meiner Geschichte über den Rundflug über den Yukon zu gelangen) über den Denali. Niemandem in Alaska aber wäre es in den Sinn gekommen, den höchsten Berg des Kontinents mit jenem Namen anzureden, den wir in der Schule gelernt haben: Mount McKinley. Stattdessen spricht zwischen Juneau und den Aleuten jeder nur vom »Denali«. Denali National Park, Denali Tours, Denali Beer und so weiter.
Als ich Alaska 2015 besuche, brauche ich eine Weile, um das mit dem Berg auf die Kette zu bekommen. So gesehen war es höchste Zeit für eine verbale Akklimatisierung. Doch diese ließ noch auf sich warten, bis Präsident Barack Obama Ende August mit seiner Air Force One in Anchorage gelandet ist.
Obama macht sich für Alaska stark
Sein Programm: Präsenz zeigen zum Ende seiner zweiten Amtszeit und den Republikanern demonstrieren, dass sie Recht haben mit ihrer Unterstellung, er wolle den ganzen Staat zum Nationalpark erklären und damit die Ölindustrie ausbremsen und letztlich auch brandstoffsüchtigen Volk schaden. Was kümmert es die Rednecks aus dem Mittleren Westen schon, dass die Ökosysteme einzigartig sind?
Wie ernst ihm das Anliegen ist, Alaska zu schützen, verdeutlicht Obama mit Hilfe eines Selfie-Sticks: Er lichtet sich selbst vor einem Schild mit der Aufschrift 1967 ab. Bis hierhin reichte damals der Exit Glacier. Weit im Hintergrund sieht der Betrachter, wo das Eis heute in Geröll übergeht. Und so weiter.
Hello Denali, bye bye Mount McKinley
In einer guerillamäßigen Nacht- und Nebelaktion hat Obama außerdem dem höchsten Berg des Kontinents seinen ursprünglichen Namen wiedergegeben: Hello Denali, bye bye Mount McKinley.
Die Einwohner von Alaska haben dies weithin begrüßt. In Ohio hingegen gab es wütende Proteste, denn der bisherige Namensgeber war ihr ureigener Präsident William McKinley, der 1901 in Buffalo erschossen wurde. McKinley allerdings war Zeit seines Lebens kein einziges Mal in Alaska.
In den Atlanten der Zukunft wird der Berg nun unter jenem Namen stehen, den ihm die heimischen Athabasca-Indianer einst verliehen haben. Wörtlich übersetzt übrigens heißt Denali »der Große«. So ähnlich also, wie Kapitän Sean ihn auch nennt.
Rundflug über den Denali: Ein abgefahrenes Erlebnis
Unabhängig von diesen ganzen Scharmützeln gehört ein Rundflug über den Denali zu den abgefahrensten Erlebnissen, die man auf diesem Planeten buchen kann.
Unsere Tour beginnt am Anleger von Rust’s Flying Service, der sich am weltweit größten Flughafen für Wasserflugzeuge in Anchorage befindet. Mehr als 1000 von den Fluggeräten sind hier stationiert, ihnen stehen zwei Start- und Landebahnen zur Verfügung.
Es geht zu wie in einem Taubenschlag: Wer auf den Aleuten wohnt oder an einem See im Inland, hat schließlich keine andere Möglichkeit an einer avancierten Form des Soziallebens teilzunehmen.
Die Tour dauert ungefähr drei Stunden – und trotz des geschmeidigen Wetters an diesem Tag sind Turbulenzen jederzeit möglich: Zu drastisch sind die Unterschiede des Mikroklimas auf dem nur 160 Kilometer langen Weg von der Küste zum 6168 Meter hohen Denali.
Zwischenstopp beim Rundflug über den Denali
So beeindruckend die nordische Berglandschaft mit dem gigantischen Massiv, den Schneefeldern und den Gletschern auch sein mag – das Highlight des Rundflugs ist der Zwischenstopp. Nachdem wir 100 Minuten ordentlich durchgeschüttelt wurden, wir den Gipfel gesehen haben und sogar die Bergsteiger, die ihn erklimmen wollen (der Denali gilt als vergleichsweise einfacher Gipfel), nach diesen 100 Minuten also sind wir dankbar, als Sean zum Landeanflug auf dem Chelatna Lake ansetzt.
Eine spiegelglatte Wasseroberfläche, absolute Stille und ein Panorama wie aus dem Gemälde eines amerikanischen Landschaftsmalers, auf dessen Namen ich grad nicht komme. Dazu am Ufer eine Handvoll Hütten. Und das in einer mobilfunkfreien Zone. So könnte ein Ort aussehen, an dem mir gerne mal zwei Wochen am Stück langweilig sein darf. Allenfalls unterbrochen durch die Bücher von Michel Houellebecq und Dave Eggers.
45 Minuten Stille an einem Bergsee
Eine Dreiviertelstunde verweilen wir an diesem Ort, den all jene meiden sollten, die ohnehin unter gelegentlichen Aussteigerphantasien leiden. Als es danach wieder »boarding completed«heißt, fliegt uns Sean zurück nach Anchorage. Nicht ohne ein paar Pirouetten über Vierbeinern zu drehen, bei denen es sich angeblich um Elche handelt.
Der Flug definiert zugleich, was Anchorage und Alaska eigentlich ausmacht: Mit ihren 300 000 Einwohnern und ihrer enormen flächenmäßigen Ausdehnung scheint die Stadt auf den ersten Blick wie jede andere amerikanische zu sein.
Ein kurzer Flug mit dem Wasserflugzeug aber bringt die Bewohner in nichts anderes als Wildnis – dorthin, wo niemand anders ist. Egal, in welche Richtung man fliegt.
Informationen zum Rundflug über den Denali in Alaska
Der Flug mit Rust’s Flying Service zum Denali (»Discover Denali National Park«) kostet 445 US-Dollar plus 3% Service Charge. Die Flüge in einem Achtsitzer werden nur bei gutem Wetter durchgeführt. Jeder Passagier hat beim Rundflug (klicke hier, um zu meiner Geschichte über den Rundflug auf La Reunion zu gelangen) über den Denali einen Fensterplatz. Der Ort des Zwischenstopps ist ebenfalls wetterabhängig.
Meine Meinung: Der Preis von 445 $ ist – vor allem beim aktuellen Dollarkurs – recht happig, doch der Gegenwert ist erheblich. Der Flug rund um den Denali ist unvergesslich. Eine ähnliche Abgeschiedenheit habe ich nur in Teilen von Idaho und im Yukon in Kanada erlebt.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Dezember 2021. Die Reise wurde von Visit Anchorage organisiert und finanziert. Der Flug zum Denali war einer der Programmpunkte.
Comment
Tolle Fotos! Erinnert mich an meinen Rundflug über den Kluane Nationalpark, der sich ja auf kanadischer Seite anschließt: http://www.breitengrad66.de/2010/12/19/ein-eispanzer-von-300-metern/