Die Balerareninsel Formentera ist in der Nebensaison sehr einladend und herrlich leer. Angeblich soll das einst Bob Dylan genossen haben, doch selbst ein Gitarrenbauer kann das nicht bestätigen.
Es soll schon vorgekommen sein: Der Anker einer Jacht bleibt an dem dicken Kabel hängen, durch das auf dem Meeresgrund die Daten laufen. Dann gibt es kein Internet auf der ganzen Insel. Das ist die zweite Anekdote. Ich bekomme sie nach der Fahrt mit der Fähre von Eivissa nach La Savina zu Ohr.
War Bob Dylan auf Formentera?
Die erste höre ich zwei Monate früher am Stand Formenteras auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin. Ja, Bob Dylan habe sich einst auf der Insel niedergelassen, angezogen von der magischen Aura der Hippies, die auch diese kleinste Baleare mit den hübschen Stränden, den Felshöhlen und dem klaren Wasser für sich entdeckt hatten. Ob noch ein Zeitzeuge aufzutreiben sei? Nicht unwahrscheinlich, so deute ich die Mime des Mannes am Stand.
Der erste, den ich vor Ort befragen kann, ist Rico. Ein kleiner Reisebus hat uns am Hafen von La Savina abgeholt. Dort kommen nahezu alle Gäste an auf der Insel, denn Formentera wehrt sich bislang erfolgreich gegen einen Flughafen, kommt man mit dem Flugzeug, geschieht dies über Ibiza.
Insel ohne Ampeln
Wir hangeln uns von Kreisverkehr zu Kreisverkehr, eine Ampel gibt es auf der ganzen Insel nicht. Dann geht es über einen Kiesweg. Und schließlich wird es sandig. Rico, mittellange Mähne, Sonnenbrille fest justiert und Baby auf dem Arm, ist der Sohn der Betreiber der Blue Bar, die am Strand von Migjorn, dem mal sandigen, mal felsigen, sieben Kilometer langen Streifen der Südküste, in den Dünen liegt.
Serviert wird hier wie überall auf der Insel der Trockenfischsalat mit frittiertem Brot, Tomaten und Paprika: ensalada payesa. Neben der Institution Fonda Pepe, 1953 die erste Bar auf Formentera, gilt auch die Blue Bar als einstiger Hippie-Treffpunkt.
Bob Dylan? »Es gibt viele Legenden«, sagt Rico. In der Blue Bar kreuzten von Zeit zu Zeit immer wieder Rockgrößen auf. Robert Plant, einst Leadsänger bei Led Zeppelin oder David Gilmour von Pink Floyd seien schon da gewesen. »Sie haben hier ihren Mohito getrunken, mein Vater hat sie zugequatscht, und dann sind sie gegangen«, sagt Rico.
Hippies nächtigen neben dem Leuchtturm
Seine Eltern wanderten vor 25 Jahren aus Franken nach Formentera aus und gehören damit nach den Hippies sozusagen zur zweiten Einwanderungswelle, nach wie vor ist die Insel bei Einwanderern äußerst beliebt. Rund 30 Prozent der 10 000 gemeldeten Einwohner stammen von außerhalb Spaniens. Die Eltern übernahmen irgendwann die Blue Bar, da aber war das Kapitel der Blumenkinder schon längst zugeschlagen.
Ricos Mutter dekorierte die Lokation mit allerlei Space-Kitsch. »Berlin Mitte der Neunziger«, kommentiert eine Mitreisende. Rico drückt mir eine CD von Jah Chango in die Hand, seine CD, denn auch er ist Musiker. »Hey, wenn ihr noch was braucht, ich bin hier.«»I am from mother earth«, klärt uns Rico auf der Weiterfahrt auf die Hochebene von La Mola aus der Konserve auf, immerhin eine Abwechslung zu den Trash-Techno-Derivaten aus dem Radio, die der Fahrer wohl nicht müde werden wird, auf uns einprasseln zu lassen, wie mir schwant.
Am Leuchtturm Far de la Mola legen wir den nächsten Halt ein. Wir sind zu einer zum Meer offenen Höhle unterhalb der 140 Meter hohen Abbruchkante herab geklettert, unten das tiefblaue Wasser. »Hier haben die Hippies geschlafen«, sagt Miguel, der Tourguide, der unsere Reisegruppe begleitet und mit Nachnamen ausgerechnet Tur heißt, der aber ist auf der Insel so normal wie bei uns Müller. Wir sind an einem idealen Ort für die nächste Dylan-Version.
Dylan war auf Formentera – um sich von einem Unfall zu erholen
Der amerikanische Musiker habe irgendwann in den Sechzigern einen Motorradunfall gehabt. Das erzähle man sich, sagt Miguel. Seine Haare stehen im Wind. Um sich zu erholen, habe der Exzentriker eine Zeit lang in einer Windmühle gelebt, eine Windmühle, wie sie übrigens auch Pink Floyd auf dem Cover des Soundtracks »More« auf Formentera verewigten, dessen ist sich Miguel sicher. Auf einem Steinbrocken unter dem Felsdach liegt ein altes zerknittertes T-Shirt, die Wände sind mit zahlreichen »I was here«-Varianten bekrakelt.
Nächste Station: der Hippiemarkt in El Pilar de la Mola, dem einzigen Ort auf dem Plateau. Als Überbleibsel der Zeit, als die Hippies erst Ibiza, dann Formentera überfielen, ist die Ansammlung der Verkaufsstände natürlich alles andere als eine Zeitkapsel. Feilgeboten wird viel Plunder, alles nicht mein Geschmack, aber alles Handarbeit. Ein liebevoll verziertes Motorrad auf der Straßenseite gegenüber gefällt mit schon besser.
Dann ein Zwischenfall. In der Mitte des mit buntem Mosaik gepflasterten Platzes bearbeitet ein Mann, der mit seinem grauen Bart und blickdichter Sonnenbrille aussieht, als müsse er Mitglied von ZZ Top sein, eine Akustikgitarre.
Begegnung mit Leder-Peter
Um ihn herum springt wie angestochen ein anderer Bursche mit clownesker Halbglatze und Einstecktuch. Zielsicher rennt er los und greift sich die arme Britta aus meiner Reisegruppe. Er nimmt sie in den Arm, macht Faxen und Fratzen und hält ihr tatsächlich eine Ballonblume hin, die er in Sekundenschnelle geknotet hat.
Ratlos, was das denn für eine Show sein soll, wollen wir flüchten, da fällt mein Blick in ein gegerbtes Gesicht hinter einem der Stände, an dem Dinge es Leder baumeln. Es ist wohl Leder-Peter, so steht es auf einem Schild hinter dem Mann an der Wand.
Leder-Peter, der Name fasziniert mich, ich muss ihn ansprechen. »Du sprichst sicher Deutsch?« »Ja, ich bin aus Essen«, sagt Peter. Kurz angetippt, und Peter rasselt seine Kurzbiographie herunter. 1978 besuchte er auf Ibiza ein Bob Marley-Konzert, dann kam er nach Formentera und blieb. »Das Wetter war schöner, und die beiden Polizisten waren immer betrunken, der Bürgermeister auch.« Leder-Peter grinst und zeigt seine Zähne.
Volle Dröhnung nur in der Finca
Dann zieht sich sein Gesicht wieder glatt. »Sich zudröhnen, das kannst du heute nur noch in deiner Finca machen. Es ist ja nichts mehr erlaubt.« Selbst auf dem Platz, wo damals wie heute der Hippiemarkt stattfindet, gebe es mittlerweile Auflagen zu erfüllen. Aber Leder-Peter will nicht klagen. »Ich hatte zehn goldene Jahre.«
In seiner einstigen Boutique verdiente er gutes Geld mit selbst geschneiderten Lederjacken und Lederhemden, das Handwerk hatte er von der Mutter erlernt. Dann reiste er sieben Jahre um die Welt. Jetzt muss es sein Stand richten, an dem er Lederarmbänder und Ledergürtel mit selbst eingebrannten Mustern verkauft.
»Hier ist’s immer noch gut«, sagt er, wendet dabei den Blick ab und wirkt plötzlich entrückt. »Ab Juni ist’s hier proppenvoll, die stehen in drei Reihen vor dem Stand.» Aber das Wichtigste zum Schluss: Auch er hat Bob Dylan auf Formentera nicht gesehen. Er war aber auch spät dran, als er 1978 kam.
Formentera in den 70ern: Kein Strom, kaum Autos
Wir sehr doch der Patient namens Hippiekultur, der in seiner Jugend die Denkweise der Inselbewohner nach deren anfänglicher Skepsis tatsächlich weltoffener machte, nur noch am Leben gehalten wird. Das denke ich mir, als wir den Hippiemarkt von Formentera verlassen. Doch es gibt auch Leute, die angekommen sind in der Zeit, dazu zählt Enric Majoral, der Goldschmied.
Mit seinen Kreationen hat er Erfolg, sie verkaufen sich gut, auch auf dem iberischen Festland. Auch er kam in den Siebzigern auf die Insel, aus Katalonien. An der Wand seines Ateliers in El Pilar hängt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, die Enric in jungen Jahren bei der Arbeit zeigt. Die Natur der Insel inspiriere ihn, sagt er und meint das mitunter ganz direkt: Eine Arbeit empfindet Neptungras nach, das in Unterwasserwiesen vor der Küste wächst.
Meine Empathie für Schmuck ist leider begrenzt, und ich habe mich festgebissen an meinem selbst auferlegten Rechercheauftrag: Bob Dylan. Enric hält die Hände abwehrend hoch und lacht. Auch er hat den einflussreichen Musiker nicht gesehen und kennt auch niemanden, der ihn beobachtet haben könnte, wie er in der Windmühle rekonvaleszierte. Keine Chance. »Aber in den Siebzigern war die Insel trotzdem etwas Besonderes«, beschwichtigt Enric. »Es gab keinen Strom, kaum Autos.« Das »und keine Touristen«, sagt er nicht.
Wandern auf der Cami Roma
Für ein knappes Stündchen mehr werden wir von der Beschallung Marke Gnadenlos im Kleinbus bewahrt. Wir wandern den Römerweg Cami Roma von der Hochebene hinab, zurück auf die Taille der charakteristisch geformeten Insel. Römerweg, so wird der Streifen der grob verlegten Steinklötze wegen seiner Anmutung nur genannt, so antik ist er sicher nicht. Aber der Pfad ist wegen der Aussichten, die er bietet, einer der schönsten Wanderwege auf Formentera.
Die Wanderung endet in dem kleinen Fischerort Es Calo, der als charmante Attraktion einen Hafen mit den typischen Bootsschuppen parat hält. Ins Auge fallen auch im Wind baumelnde schmale Lappen über einem Holzverschlag: Es sind die filettierten Katzenhaie, die dort für den ensalada payesa in der Luft hängen.
Meine letzte Chance wartet in Sant Ferran, ein kleiner Ort südlich vom Touri-Zentrum Es Pujols. Die kalkweißen Flachbauten reflektieren das Sonnenlicht so heftig, dass ich für den Hechtsprung vom Bus in die Gitarrenwerkstatt von Ekkehard Hoffmann die Sonnenbrille brauche.
Gitarrenbauer Ekki
Gitarren-Ekki also. Graue mittellange Haare, ausgebeulte Jeans, hinwendend gekrümmte Haltung und eine offenbar abgöttische Liebe zu Klampfen. 40 Stück besitzt er, wie man sie baut, hat er sich selbst beigebracht. »Was wir bauen, ist besser als alle Industriegitarren«, sagt Ekki. Internationale Rockgrößen sollen bei ihm schon bestellt haben, von Gianna Nannini hatte er Besuch, von einem der Bassisten der Toten Hosen auch.
Noch brillantere Namen wollen ihm partout nicht einfallen. Das eigentlich Ungewöhnliche aber ist: Wer will, kann sich unter Anleitung von Gitarren-Ekki sein Instrument selbst bauen. Seit 23 Jahren bietet der 61-Jährige das schon an, auch Formentera Guitars ist mittlerweile eine Institution. »Es gibt ja sonst fast niemanden, der so etwas macht.«
An einer der Werkbänke steht Jörg Wagner und schmirgelt. »Das nimmt erotische Züge an«, haucht er. Seine Hand streicht über den Hals der unfertigen Gitarre. Jörg zeigt mir ein Bild eines Rockinger-Basses, den will er für den Einsatz in seiner Heavy-Band nachbauen. In seinem Leben daheim in Baden-Baden repariert Jörg in einem Fachbetrieb Hubschrauber, jetzt stehe mal eine Auszeit an, um den Kopf frei zu kriegen.
Dylan auf Formentera? Eine Erfindung!
Für seine Auszeit hat der Hobby-Musiker 2100 Euro bezahlt, so viel kostet der dreiwöchige Gitarrenbaukurs, den Ekki zum Event ausbaut. Statt das Holz der Gitarrenkörper mit einem Schwamm zu befeuchten – das ist notwendig, damit sich die Holzfasern aufstellen, um die Oberfläche noch glatter zu schleifen – lässt der Meister seine Schüler die Körper ins Meer werfen. »Das Happening macht total Spaß«, sagt Jörg, der seinen Kurs dokumentiert hat.
Am Morgen genieße ich das globalisierte Frühstück im Hotel Levante in Es Pujols, ein einfaches Haus mit netter Belegschaft, in das wir einquartiert sind. Ich verzichte auf den Automatenkaffee, das wellige Gekröse von geröstetem Ham oder das im Kondenswasser stehende Pulverrührei. Ich bin noch satt vom exzellenten Lamm, das am Vorband in einem Restaurant am Ort serviert wurde.
Ein paar Melonenstücke zu Klängen wie »Bridge over troubled waters« oder »Let it be« sollen reichen. Es hätte ja auch Bob Dylan laufen können, aber nein, das wäre Ironie gewesen. Über Nacht hat unser Guide Miguel Tur zu Bob Dylan und seinem angeblichen Aufenthalt recherchiert, ich habe ihn offenbar heiß gemacht. »Ein Journalist aus Ibiza hat die Geschichte damals geschrieben, sie stimmte aber nicht, sie ist aber zu schön und hat sich bis heute gehalten.« Ganz glauben will ich auch diese Version nicht.
Mit den Füßen im Neptungras
Stattdessen wende ich mich nun einer Sache zu, die ich zunächst als ein wenig eklig empfinde. Sobald ich mich von dem Gedanken befreie, dass es eklig sein muss, ist das Gefühl fast angenehm. Meine nackten Füße stecken in einer Mischung aus widerspenstigem Schlick und vermoderndem Seegras. Mit jedem Schritt muss ich einen Unterdruck überwinden, und jedes Mal geht es mit einem Schmatzen weiter.
Dann aber wird das Wasser klarer. Für einen Hafen fast schon zu klar, aber die Estany des Peix ist auch eher eine Lagune, ein »Parkplatz für die «, sagt Asier Fernández. Die Fähren und größeren Jachten legen hier nicht an. Asier ist 43 Jahre, verdient sein Geld auf Formentera mit einem Bootsverleih, der als Centro Nautico firmiert und auch Windsurfing- und Segelunterricht im Programm hat. Eigentlich aber ist der Mann im Neopren-Shorty zu Anderem berufen.
Im Festrumpfschlauchboot, ein paar Kajaks für später im Schlepptau, gleiten wir durch die schmale Öffnung der Lagune in die ruhigen Küstengewässer der Westseite. Ab und an sind sie mit mal kleinen, mal ausufernden dunklen Flecken durchsetzt. »Das sind keine Felsen, das ist Posidonia«, sagt Asier.
Posidonia bindet Kohlendioxid
Vor Formentera hat sich das Neptungras in besonders großen Wiesen ausgebreitet, »die längste ist acht Kilometer lang.« Und das Seegras sorgt dafür, dass das Wasser so klar bleibt. Neptungrasfelder kompensieren CO2: »In Relation zur Fläche bindet Posidonia drei Mal mehr Kohlenstoffdioxid als der Amazonas-Regenwald«, erklärt Asier und lugt unter seinen buschigen Augenbräuen hervor. Zugleich bilden die Wiesen eine natürliche Barriere und verhindern, dass die Sandstrände, das große Kapital Formenteras, erodieren.
Vom Lohn der Pflanzen-Arbeit können wir uns schon an der nächsten Bucht überzeugen. Ich bin kein Fan von Stereotypen, es sei denn sie stimmen. Aber karibisch, das Attribut, das ich argwöhnisch im Zusammenhang mit der Insel schon mehrfach lesen musste, passt. Der Sand weiß, das kaum tiefer werdende Wasser von zartem Türkis, die Oberfläche antwortet der Sonne in Tausenden winzigen Sternen.
Ich hüpfe bei unserem Zwischenstopp aus dem Boot, die Kamera im Anschlag, und stelle am Strand angekommen fest: Formentera hat auch etwas von Sylt, zumindest hier im Norden, wie die Baleare in der Landzunge Es Trucadors ausläuft. Holzbohlenwege führen durch Dünenfelder, die die Platja de ses Illetes säumen.
Diskreter Lieferservice auf Formentera
Ein paar Strandspaziergänger sind unterwegs, noch ist es leer in dieser Vorsaison. Doch spätestens ab Ende Juni fallen die modernen Teilzeit-Einwanderer ins Idyll ein. Dann sind die Buchten von Jachten belagert, wie einst von Piraten, die die Einwohner um die Mitte des 14. Jahrhunderts derart desillisionierten, dass sie von der Insel flüchteten, die darauf für etliche Jahrzehnte unbewohnt war.
Heute wirken eher die Adhäsionskräfte: Ölscheichs halten sich auf ihren Superbooten in Deckung, arabische Prinzen, auch schillernde Figuren wie Silvester Stallone sollen schon geankert haben.
Die wenigen Restaurants, die auf der sonst unbebauten Landzunge Es Trucadors agieren, darunter das Molí de Sal, benannt nach der alten Salzmühle nebenan, haben sich einen diskret-dekadenten Lieferservice ausgedacht. In Dingis setzen sie zu den Jachten über, das leckere, aber gesalzen teure Essen an Bord.
Auf zur unbewohnten Insel
Wir müssen weiter – zur kleinen, auch heute noch unbewohnten Privatinsel S’Espalmador, die von Formenteras Nordspitze nur durch eine rund 150 Meter schmale Meerenge getrennt ist. Wir erreichen eine weite sandige Bucht, zwei Palmen, und sind angekommen an der sichelförmigen Platja de s’Alga. Man kann sich kaum vorstellen, dass sich die Gewässer bei einer blutigen Seeschlacht einst rot gefärbt haben.
Asier lässt den Anker auf den Grund sinken. Dieser Strand ist endgültig verwaist. Aber es liegen haufenweise rundliche, braune Gebilde herum, tennisballgroß. Sie sehen aus wie diese pelzigen Mogwai-Bälle aus »Gremlins«, die sich jederzeit in kleine Monster verwandeln können.
Die Beschaulichkeit der Situation straft meine Fantasterei Lügen, und Asier klärt die Sache auf: »Das sind Seebälle. Sie entstehen aus den Fasern des Neptungrases.« Diese häufen sich in der Bewegung der Brandung an und verfilzen allmählich zu Bällen. Wir laufen weiter Richtung Inselinnerem. Es geht über durch Gebüsch mäandernde Sandpfade. Die Luft riecht nach Salz und sonnenwarmer Mittelmeervegetation.
Felsige Westküste
Dann taucht vor uns eine zartrosa schimmernde Fläche auf: Die Schlammlagune von S’Espalmador. »Hier nahmen die Leute noch vor einigen Jahren ihre Schwefelbäder, doch das ist seit ein paar Jahren verboten«, so Asier. Wie die gesamte Dünenlandschaft Formenteras ist auch die Lagune der nur knapp drei Kilometer langen Nachbarinsel mit dicken Tauen eingegrenzt, Naturschutz wird groß geschrieben. Die Schwefelkur bleibt aus.
Obwohl S’Espalmador ein Privateiland ist, darf es von jedermann besucht werden. »Im Abstand von 200 Metern zur Küste bleibt das Land öffentlich nutzbar, das schreibt ein Gesetz vor«, erläutert unser Skipper. Einem Gerücht zufolge soll die Insel, auf der nur eine Finca, ein weiteres Gebäude und ein Leuchtturm an der steilen Nordspitze gebaut wurden, 2013 für 32 Millionen Euro an einen Italiener verkauft worden sein. Schon zuvor war sie jahrzehntelang in privatem Familienbesitz.
Später cruisen wir die felsige Westküste Formenteras hinunter in Richtung Cap de Barbaria. Manche der Formationen, einstmals Dünen, wirken bearbeitet, wie ein angeschnittener Kuchen.
Keine Bettenburgen auf Formentera
Und tatsächlich: Als im 16. Jahrhundert die festungsartigen Mauern der Dalt Vila, der Altstadt Eisvissas (Ibiza-Stadt) errichtet wurden, bediente man sich dazu der Küste der Nachbarinsel. Arbeiter trieben nasse Holzblöcke in den Stein, die aufquollen. Eine alte Form der Sprengung.
Doch Asier, der sich schon als Trainer des spanischen Olympiateams im Windsurfen betätigt hat, stören die Baustellen heutiger Zeit. »Eigentlich darf hier nicht gebaut werden«, der Mann zeigt in Richtung eines Plateaus. »Aber einer der Besitzer von Mango hat sich mitten im Naturschutzgebiet trotzdem ein Stück Land gekauft.«
Jetzt könne der Mann des Modeunternehmens, dessen Namen er nicht nennt, dort machen, was er will. Einem Funktionär des spanischen Bauunternehmens Ferrovial sei das Gleiche gewährt worden. Für den 43-Jährigen klare Fälle von Korruption. »Mit Geld geht alles, das finde ich schrecklich. Ich möchte nicht, dass Formentera so endet wie Ibiza oder Mallorca, wir müssen die Insel vor der Balearización bewahren. Vor Bettenburgen und zugebauten Küsten.«
Das Wasser hat 18 Grad
Weil Asier nicht nur mir gegenüber, sondern auch an anderer Stelle offen spricht, ist unsere nächste Aktion im Grunde illegal. Wir machen uns bereit, in die Kajaks umzusteigen. Solche Touren sind laut Asier offiziell nicht erlaubt, eine Genehmigung werde ihm von den Behörden verweigert. »Ich halte meine Klappe nicht, dafür werde ich von der Regierung gemobbt.« Einmal habe er eine touristische Paddeltour ausgearbeitet, die Erlaubnis, Gäste ihr entlang zu führen, habe aber ein anderer bekommen.
Mit einem Schuss Verruchtheit stoße ich die Paddel ins tiefblaue Wasser und lasse mich darauf ein, das krumme Ding zu drehen, für das Asier jedes Mal wieder eine Strafe riskiert. Je näher ich der felsigen Küste komme, desto klarer erscheint der Grund, der das Wasser in immer satteres Türkis färbt. Das Boot scheint zu schweben. »Wunderschön, fantastisch«, entfährt es nicht mir, sondern Asier, der hinter mir auf Platz zwei das Paddel schwingt. Aber ich find’s auch toll.
Asier dirigiert uns in Richtung einer Wand, an der bis auf das hübsche Muster der Gesteinsschichten nichts Besonderes scheint. Eine Gruppe deutscher Touristen schreckt das noch nur 18 Grad frische Wasser nicht ab, schnorchelnd sind sie Richtung einer Bucht unterwegs, drehen aber wieder ab, als einer »Quallen« durchs Rohr keucht.
Eine Höhle zum Abschluss
Wir gleiten ins blaue Nass, und urplötzlich ist Asier verschwunden. Sekunden später taucht er vor der Felswand wieder auf. »Kommt her«, sagt er. Die Köpfe eingezogen schwimmen wir durch einen kleinen Spalt, den Wasseroberfläche und Stein noch freigeben, und dann wird es dunkel.
»Sobald das Wasser hier höher steht, ist es noch finstrer«, Asiers Augen glänzen im Restlicht der Höhle. Das bisschen Helligkeit, das durch den Spalt eindringt, lässt die niedrigen Höhlendecke erahnen und den Grund, dessen Sanddecke sich jungfräulich wellt. »Kommt unter Wasser und schaut Richtung der Öffnung.«
Asier, der Bootsverleiher, Windsurf-Enthusiast, der subversive Inselaktivist setzt sich die Taucherbrille auf und geht in die Knie. Auch ich tauche ab. Unter Wasser schaltet sich eine türkise Lampe an. Die Höhlenöffnung schillert in den schönsten Tönen.
Informationen zu Formentera und seinen Rockstars
Anreise: Mit dem Flugzeug über Ibiza zum Beispiel mit Eurowings, da Formentera keinen Flughafen besitzt. Außerhalb der Saison muss eine Zwischenlandung in Mallorca eingeplant werden. Vom Hafen Eivissas (Ibiza-Stadt) gibt es Bootsverbindungen nach La Savina, dem Hafen Formenteras. Die Überfahrt mit dem Schnellboot mit Transmapi oder Mediterrania Pitiusa (Return-Ticket ca. 50 Euro) dauert rund eine halbe Stunde, etwa doppelt solange benötigt die weit günstigere Autofähre.
Unterkunft: Auf Formentera gibt es zahlreiche Ferienhäuser oder Appartment zu mieten, buchbar über bekannte Internetportale wie fewo-direkt.de oder Airbnb. Die Preise liegen selten unter 100 Euro am Tag, eis sei denn, man kommt im Frühjahr oder im Herbst. Viele der Unterkünfte, so auch das einfache, aber sympathische Hotel Levante befinden sich in Es Pujols, dem Haupttouristenort, der nah an der Landzunge mit den schönen Stränden liegt.
Am langgestreckten Migjorn-Strand im Süden gibt es teils hochpreisigere Anlagen, darunter der Gecko Beach Club. Campen ist auf der ganzen Insel verboten, es gibt keinen Campingplatz.
Text und Bilder: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im januar 2023 (Die Reise nach Formentera wurde unterstützt vom Spanisches Fremdenverkehrsamt Tour Spain.)
Leave A Reply