Zur Sichtung exotischer Tiere bedarf es keiner Fernreise. Wir begeben und lieber auf Nandu-Safari in Mecklenburg.
Ich brause Richtung Ostsee. Drei Störche stehen an der A 14 auf dem Feld. Dann ein Reh irgendwo in den weiten Nordwestmecklenburgs. Es ist verblüffend wie die Vorfreude auf einen Laufvogel mitten in Deutschland die Sinne für Tiere schärft. Dann parke ich im Hinterhof der Pension Paetau in Schönberg und hätte dabei fast eine Ratte zerquetscht.
Nandu-Safari in Mecklenburg: Teil der heimischen Fauna
Neben dem linken Hinterreifen liegt sie friedlich da, sie ist schon tot. Ich checke ein und höre die erste Geschichte. Wenn unvorbereitete Touristen dem Nandu begegneten, riefen sie die Polizei und meldeten: »Da läuft ein Strauß durch die Gegend.« Das erzählt die Frau an der Rezeption. Was die Besucher nicht wissen: Der Nandu, ein dem Strauß ähnlicher Laufvogel, gehört zur mecklenburgischen Tierwelt wie Kaninchen und Fuchs. Nur zeigt er sich auch.
Als ich eine stark supermarktkäselastige Pizza aus dem benachbarten Italiener-Griechen-Bringdienst-Lokal nicht ganz geschafft habe und mit meiner Verdauung kämpfe, geht mir erst einmal eine Hornisse gehörig auf die Nerven.
Eine erste Sichtung
Ich sitze bauchhaltend auf dem Sofa, dem die Betreiber der Pension wohl einen Beitrag zum auf der Website angekündigten gemütlichen Ambiente ihres Hauses andichten – wie könnte es anders sein, denn der Rest des wild zusammengewürfelten Invertars ist zweifelhafter –, und vernehme das drohnenhafte Brummen dieses furchteinflößenden, letztlich aber trägen Insektes.
Irgendwann lässt es sich auf einem der Arme der rustikalen Zinn-Lampe nieder. Keine Chance auf Bergung mittels Glas und Untertasse. Auf dem Esstisch entdecke ich einen Prospekt eines Tierparks in der Nähe, und ich sehe den Nandu zum ersten Mal – als Attraktion in dem Gehege, in Hochglanz abgedruckt. Doch der nächste Tag wird die Life-Erfahrung bringen.
Nandu-Safari in Mecklenburg: eher unsympathisch
Mit Herrn Kielhorn hatte ich Mail-Kontakt. Wir verabredeten uns an seiner Jagdhütte nahe dem Örtchen Niendorf. Hinter einer stillgelegten Gaststätte namens »Eulenkrug« liege sie. Der weißhaarige Jäger ist »im Unruhezustand«, wie er von sich sagt. Er wartet schon an der Landstraße und winkt mich herbei. Der Nandu-Safari steht nichts mehr im Wege.
Kurze Zeit später sitzen wir in seinem Geländewagen und lassen die Stoppel eines abgemähten Rapsfeldes unter dem Reifenprofil ploppen. Der Jäger, Pächter eines 1000-Hektar-Reviers, beobachtet die Nandus seit Jahren, fasziniert und argwöhnisch. Er führt eigene Zählungen durch und Befragungen, was man von den Vögeln so halte. »Ich finde sie nicht sehr sympathisch«, sagt er.
Verwechslung mit Kranichen
Seit die Pioniere des vom Biospährenreservat Schaalsee mittlerweile als heimische, wildlebende Art eingestuften Nandus 1999 aus Privathaltung nahe Lübeck ausbrachen, etablierten sie sich – entgegen aller Erwartungen von Experten. Den Grenzfluss Wakenitz überquerten sie, bereits westlich des Schweriner Sees wurden Exemplare schon gesichtet. Eigentümlich ist allein das, denn in ihrer südamerkanischen Heimat, in den Pampas, pflegen sie kein sonderliches Migrationsverhalten.
Waidmann Kielhorn zückt den Feldstecher. Ich will ihn ihm aus der Hand reißen, da gibt es Entwarnung: »Das sind nur Kraniche.« Wir fahren weiter, und ich höre weitere Geschichten. Von einem Waidmannskollegen erzählt Kielhorn, als ich danach frage, wie Nandufleisch denn so schmecke. Dieser Jäger habe einen Nandu einmal »erlösen« müssen, als der Vögel sich mit seinen sehnigen Gräten im Stacheldraht verfing. Anschließend brutzelte das Steak in der Pfanne. »Müsste wie Strauß schmecken.«
Geschützter Laufvogel
Abgesehen davon, dass der Nandu in Deutschland nicht geschossen werden darf, hätte Herr Kielhorn auch gar keine Lust darauf. Erstens: Der Laufvogel weckt seinen Jagdinstinkt nicht. »Ich könnte hingehen und ihn abknallen, für ein Wildschwein muss ich zwanzig mal losziehen.« Macht keinen Sinn. Und dann wäre da der Schlamassel. »Sie wissen ja, wie es schon stinkt, wenn man ein Huhn ausnimmt. Bei einem Nandu hätten Sie eine Schubkarre voller Eingeweide.« Macht auch keinen Sinn.
Da plötzlich brechen sie von links aus einem Busch und laufen auf den Asphaltweg, den wir gerade entlang gondeln. Noch im Dorf Törpt wandern erst zwei, dann drei und noch mehrere Küken in Hühnergröße über die Fahrbahn gefolgt von zwei Hähnen, die schon imposanter sind. Vielleicht 1,70 Meter bis zum Scheitel, der allerdings aus einigen wie elektrisiert vom kleinen Schädel abstehenden Haaren besteht. Ansonsten ein klarer Fall von Strauß, runder Körper graues Gefieder, leicht zerzaust, und ein teekannenhalsartiger Hals. Und schon sind die Vögel auf die Wiese zur Rechten verschwunden.
Erfolgsmodell der Evolution
Aber Herr Kielhorn hat die Lizenz zum Querfeldeinfahren. Also ploppen wir wieder übers Kulturland und halten mitten in der Weite an. Vor der Motorhaube ein dunkler Kleks, wie ein überdimesionierter Taubenkleks. »Die hauen ganz schöne Placken raus«, kommentiert Kielhorn und ermahnt seine Dackeldame Gesa im Auto zu verweilen. Würde sie einem Hahn nachstellen, sie würde kurz und klein gehackt. Die männlichen Tiere brüten bei den Nandus und kümmern sich um die Aufzucht und sind dementsprechen aggressiv wie sonst nur Mütter.
Während ein Grashüpfer am Boden segelnd die nächste Etappe nimmt, friemele ich an meiner Kamera herum, doch die schrägen Vögel sind zu weit weg. In großem Bogen eilt der Jäger mit seinen Gummistiefeln um das Grüppchen der gefiederten Exoten herum, um sie mir für ein Top-Foto entgegen zu scheuchen. Doch das Federvieh – im Übrigen ein evolutionsbiologisches Erfolgsmodell, die ältesten gefunden Nandufossilien sind 40 Millionen Jahre alt – orgelt den Horizont entlang. Dabei bewegt sich der Körper nicht auf, nicht ab, nur die Beine rotieren wie bei Roadrunner.
Bis zu 60 Stundenkilometer schnell
Also mehr des Jägerlateins, das ich so langsam zu schätzen lerne wie die Island-Sagas oder die von Knud Rasmussen gesammelten Inuit-Märchen: Einem anderen Bekannten – weiß der Henker, wie er diesen Beschleunigungsmaschinen, die auf 60 km/h aufdrehen können, überhaupt nah gekommen ist – habe ein Nandu einmal fangen wollen. Der goutierte das mit einem Gewaltakt, bei dem dem Bekannten fast der Arm zerbrach.
Mal mehr, mal weniger als 150 Nandus treiben sich in Nordwestmecklenburg herum. Harte Winter überleben ein paar mal nicht, aber insgesamt wächst die Population. Doch so ganz hat man sich an die nach Strauß und Emu kleinsten der Laufvögel (wobei es ein noch kleinere Nanduart als den Gewöhnlichen Nandu gibt) nicht gewöhnt.
Der Nandu: ein umstrittener Exot
Weil man schon Ernteschäden befürchtete – ganze Rapsfelder soll der Laufvögel in den Augen eines Landwirtes einmal niedergemäht haben – erwog die CDU im Landtag schon die Erlaubnis zum Abschuss. Doch man ließ die Flinte sinken. Wohl weil der laufende Exot so umstritten ist, konnte sich auch noch niemand dazu durchringen, das touristische Potenzial der flugunfähigen Kreaturen abzuschöpfen. Nandu-Touren in Meck-Pomm? »Super-Idee«, sage ich. Kielhorn winkt ab, für ihn wäre das nichts. »Ich will Ruhe im Revier.«
Die einheimischen oder anderweitig etablierten Arten gewähren ihm dies. Denn weder Fuchs, noch Wildschein, noch Marderhund, noch Feldmaus, noch Reh oder gar Hirsch habe ich auf der Safari durch die Provinz Nordwestmecklenburgs erpicht.
Filterkaffee und Frischlingsleber
Wir parken wieder vor Herrn Kielhorns Jagdhütte. »Mitgegangen, mitgefangen«, sagt der Jäger als er mit einer Tupperdose in der Hand aus der Küche in die kleine Stube kommt, deren Wände mit Geweihen und einem präparierten Marder verziert sind.
Mit einer Gabel füllt er auf. »Frischlingsleber. Dazu serviert er Filterkaffee und stellt noch ein paar Doppelkekse dazu. Die Leber schmeckt super, immerhin ist es kein Dachsbraten geworden, den Kielhorn einmal zubereitet hat und damit bei seiner Frau Verständnislosigkeit erntete. Auf der Rückreise im Auto beschert mir mein geschärfter Faunablick noch eine Vollbremsung. Waren da nicht velociraptorartig voranstaksende Kreaturen am äußersten Rand meines Sehfeldes? Rückwärtsgang rein, und ja, da sind sie.
Informationen zur Nandu-Safari durch Mecklenburg
Anreise: Mit dem Auto über die Ostseeautobahn A 20. Mit dem Flugzeug bis Hamburg, von dort mit dem Mietwagen weiter über die A 1 und die A 20 bis Schönberg.
Unterkunft: Als Ausgangsbasis für selbstorganisierte Wanderungen oder Touren bietet sich die einfache „Pension Paetau“ in Schönberg an, DZ ab 55 Euro, Frühstück p.P. kostet 8,50 Euro. Mondäner schläft man im Schloss Lütgenhof direkt am Dassower See, DZ ab 130 Euro. Wer einen Nandutrip mit einem Besuch in Wismar verbinden möchte, kann im „Altstadt Hotel Wismar“ nächtigen, DZ ab 65 Euro.
Auskunft: eine Nandu-Safari durch Mecklenburg müsst ihr selber organiseren, touristische Angebote gibt es derzeit nicht. Informationen zu Mecklenburg-Vorpommern auf der Webseite. Wissenswertes zu Nandus unter www.nandu.info.
Text und Bilder: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im Februar 2023. Die Reise hat die Nandu-Safari in Mecklenburg auf eigene Kosten unternommen.
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