Eine Kreuzfahrt auf dem Amazonas in Peru ist sehr beeindruckend. Doch so imposant der Strom auch sein mag: es sind die Seitenarme des Amazonas, wo die größten Überraschungen warten.
Im Lichtkegel blitzt ein roter Punkt auf. Jesús hebt den Arm. Der Mann am Ruder drosselt am ersten tag der Kreuzfahrt auf dem Amazonas die Geschwindigkeit und lässt das Boot ans Ufer gleiten. Es ist dunkel geworden. Jesús scannt das Wasser mit der Lampe ab.
Da sind sie wieder die reflektierenden Punkte – diesmal zwei. Die Touristen klumpen sich backbord zusammen und bringen das Boot fast zum Kentern. Wird es ein besonders großes Exemplar sein?
Blitzlichtgewitter für einen EIn Baby-Kaiman
Nein, es ist ein Baby! Inmitten der dichten Wasserpflanzen badet ein kleiner Kaiman. Bewegungslos zwar, aber immerhin. Senkrechte Augenschlitze, hornige Haut und Kindchenschema? Fehlanzeige. Gäbe es keine Bezugsgröße, wie die Spinne auf dem Blatt daneben – vom Antlitz her könnte er ausgewachsen sein.
Es blitzt in einem fort, die Gäste starren auf die Displays ihrer Digicams und grummeln vor Genugtuung. Gewitter scheint das kleine, vielleicht 30 Zentimeter lange Wesen gewöhnt zu sein – wenn auch anderer Natur.
Kreuzfahrt auf dem Amazonas: Utopisch teuer durch den Urwald
Natur? Wir sind mitten drin in ihr. Zwar meist in der antiseptischen Atmosphäre einer nicht nur für örtliche Verhältnisse utopisch teuren Kreuzfahrt auf dem Amazonas, auf der die mit Mahagoniholz ausgeschlagenen Kajüten den Nebel der Duftspraydose atmen.
Aber der Urwald des Amazonastieflandes gilt mit mehr als 20 Millionen Tier- und Pflanzenarten als das artenreichste Ökosystem der Erde – und das, obwohl es durch menschliche Beutezüge gigantische Flächen eingebüßt hat.
Kurs auf den größten Nationalpark Perus
Mit der »Delfin II«, einem Flusskreuzfahrtschiff im klassischen Stil mit 14 Suiten, Kiellegung 2009, gefertigt aus heimischen Capirona-Holz, werden wir uns über 300 Kilometer vom Anleger im Dschungelvorposten Nauta entfernen – den Luxus mitnehmen und finden.
Drei Tage und drei Nächte entlang des Rio Ucayali, der erst zusammen mit dem Rio Maranon den eigentlichen Amazonas bildet, in Seitenarme, die Namen wie El Dorado tragen, zum Schwarzen See, der zum Bade locken soll – den vermeintlichen Gefahren, die Namen tragen wie Anakonda oder Piranha, zum Trotz. Ziel: La Reserva Nacional Pacaya Samiria, der größte Nationalpark Perus.
Brokkoliförmige Baumsilhouetten begleiten die Kreuzfahrt auf dem Amazonas
Der Motor des Beiboots verstummt. »Lauscht dem Sound des Dschungels.« Guide Jesús ist aufgestanden, schiebt sich die Zunge durch die Lippen und legt die Stirn in Falten. Das Zirpen, Rasseln, Pochern, Pfeifen, Tackern und Surren ist irreal. Zu sehen ist nichts – bis auf Baumsilhouetten, die im Mondlicht glänzen und an gigantischen Brokkoli erinnern.
Oder die Schattenspiele hinter Plastikfolien. Es sind die glimmenden Camps der Ribereños, die ihre von Ufer zu Ufer gespannten Netze überwachen. Rund 100 000 dieser mit dem Gewässer verheirateten Menschen leben an den Flüssen. Auf dem Rückweg zur »Delfin II« tragen die Gäste kastige Klarsichtbrillen gegen die Insekten im Fahrtwindtunnel und sehen damit aus wie Rapper und Neunzigerjahre-Eintagsfliege McHammer (»U Can’t touch this«).
Messerscharfe Blicke durchstechen den Urwald Perus
Nicht nur wegen der langen Anreise aus Europa ist sind Südamerika und Amazonien nicht mal eben zum Vorbeigucken, denn zur Tierbeobachtung braucht es Geduld und messerscharfe Blicke. Daran ändert auch das Tageslicht nichts. Das Leben, so fühlbar es ist, findet auch bei Hellem im Verborgenen statt. Ausnahme bilden Massen an Vögeln, die in Hitchcock-Manier den Himmel verdunkeln. Jaribus begleiten das Boot wie Möwen einen Kutter auf der Nordsee.
Etliche Arten sind selbst Forschern noch nie begegnet. Und das gilt auch für Menschen – zwei Millionen Ureinwohner gibt es im Amazonastiefland, erzählt Jesús. 20 Prozent hätten noch nie Kontakt zur so genannten Zivilisation gehabt. Darunter Menschen, die sich als Schmuck Knochen durchs Gesicht schieben, Frauen von anderen Stämmen klauen und Schrumpfköpfe an die Bäume hängen.
Palmwurzeln gegen Malaria
Gewissermaßen unzivilisiert das war auch Jesús einmal. Er wurde in der Wildnis geboren, 15 Kilometer nördlich von Iquitos, wo seine Familie vom Stamm der Bora noch lebt. Das erzählt er an Bord, während einer der Vorträge, die die Guides, sämtlich in adrette Reedereiuniformen gesteckt, abends einstreuen. Einige der gut zwei Dutzend Passagiere der Kreuzfahrt auf dem Amazonas haben auf den Polsternmöbeln Platz genommen und sind gebannt.
Er sei im Urwald aufgewachsen, habe harte Füße vom unbeschuhten Laufen bekommen. Sei bei Krankheit mit der Medizin des Waldes geheilt worden. Zum Beispiel mit der Milch des Ficus benjamini-Baumes gegen Parasiten. Palmwurzeln schützten gegen Malaria. Der Saft des Bismia-Baumes gegen Mückenstiche. Die Milch einer tropischen Weinsorte heilte offene Wunden.
An Bord der Kreuzfahrt auf dem Amazonas: Ein weißer Schamane
Wohl an die 3000 Medizinpflanzen habe sein Großvater gekannt, ein »weißer Schamane«, der anders als die »schwarzen Schamanen« den Menschen Gutes wollte. Zur Selbstreinigung verabreichte der Alte Jesús den Ayahuasca-Trunk, der zwölf Stunden auf einem Feuer geköchelt hatte. Das halluzinogene Zeremonien-Gebräu der Indios ließ Jesús nachts von Weißen träumen.
Er entschloss sich in die USA zu gehen. In einem Zoo in Texas kümmerte er sich um die Reptilien, arbeitete für National Geographic und an der Uni von Texas. Seine ihm in der Heimat versprochene Frau heiratete einen anderen. »Ich bin mit meiner Arbeit verheiratet«, sagt Jesús heute.
Faultiere und Affenbanden
Jesús und Renny, der andere Guide, eben noch mit Fernglas vor den Augen, um auf Faultiere oder Affenbanden hoch im Geäst zu verweisen, haben weiße Handschuhe übergestreift. Während man an einen Michael-Jackson-Fimmel der Besatzung denken könnte, haben die Textilien einen Sinn: Sie wirken beruhigend auf die Psyche der Gäste im Beiboot, die alsbald Fruchtspieße, Muffins und frisch gepresste Säfte verkosten, die Jesús und Renny aus einer Kühltasche zaubern.
In den Bäumen im nahen Sumpf sitzen die flugfaulen Stinkvögel – es gibt sie seit Millionen von Jahren. Weiße Handschuhe sind auch am Abend im Schiffrestaurant das Distinktionsmerkmal. Die Küche ist kreolisch angehaucht und exzellent. Man fühlt sich wohl an wohlfeil dekorierten Tischen.
Kreuzfahrt auf dem Amazonas: Aberglaube trifft auf Kingsize-Bett
Nachdenklich stimmt vielleicht noch eine Information aus Jesús Mund: Ein Aberglaube lasse die Ribereños nur unabgekochtes Wasser aus dem Amazonas trinken. Deswegen seien sie kleinwüchsig und hätten Blähbäuche. An Bord der »Delfin II« vergisst man so etwas erschreckend schnell.
Mit vollgeschlagenen Bäuchen versinken die Passagiere müde im Kingsize-Bett. Die großen, über zwei Meter breiten Kabinen-Fenster zum Fluss sind mit schweren Gardinen verhangen. Wilson, der emsige und ein bisschen unterwürfige Schiffsjunge, hat die Handtücher zu Tierchen gefaltet. Am Morgen behindert ein Vorhang aus Regen die Weitsicht, das Dickicht am Ufer betört den Sehsinn milchig grün – vom Bett aus ein Vergnügen! Der Bug des Flusskreuzfahrtschiffs schneidet eine Furche durch den wasserreichsten Fluss der Welt, die sich jäh wieder verschließt.
Böse Delfineim peruanischen Urwald
Braun und reich an schlammigen Sedimenten ist die Brühe. »Delfine«, ruft Jesús nach dem Frühstück. Runde Buckel durchbrechen die Wasseroberfläche. Einer zeigt sein höckeriges Antlitz. Es ist ein rosafarbener Flussdelfin, dann noch einer. Die Kameralinsen sind immer zu spät. Wohl wegen dieser Unberechenbarkeit leiden die Tiere an einem beträchtlichen Imageschaden: »Sie sind böse«, sagt Jesús.
»Wir essen ihr Fleisch nicht, weil man davon verrückt wird – oder impotent. Außerdem: Ist eine Frau ‚ungeklärt’ schwanger, war’s der Delfin in Gestalt des ‚Encantado’, einem jungen, charmanten Mann. Also haltet euch fern.« Immerhin – gejagt werden die Flussbewohner nicht. Rätselhaft bleibt, warum der Reeder seine Schiffe ausgerechnet auf Delfin taufte.
Abstecher in die Seitenarme des Amazonas
Kreuzfahrt auf dem Amazonas – das ist auch so Begriff, der schon beim Katalogwälzen auf dem heimischen Sofa Fernweh auslöst. Doch so majestätisch der Strom in seiner Breite von bis zu zehn Kilometern auch ist, das wahre Vergnügen an dieser Reiseform sind die Trips in die Seitenarme des Amazonas. Die »Delfin II« hat an der Mündung des Seitenflusses El Dorado festgemacht. Die Sonne steht im Zenit. Es geht wieder ins Beiboot zu Jesús.
Fische, die während der Regenzeit in den überschwemmten Wäldern geboren wurden und die ersten Monate ihres Lebens zwischen Geäst verbrachten, kommen in der Trockenzeit die Flüsse hinab. Reiche Beute für die Unterwasserjäger an den Zuflüssen.
Seitenarme des Amazonas: Anakondas am Ufer?
In den Wipfeln baumeln wie Ohrringe die Nester des Oropendula-Vogels. Von Ast zu Ast, von Liane zu Liane tanzen Totenkopfaffen und scheuchen die Insekten auf – für die Vögel beste Gelegenheit auf eine Mahlzeit. Das Ufer ist durchlöchert.
Es sind die nunmehr trockengelegten Geburtshöhlen der Welse. »Haltet Ausschau nach Anakondas, sie liegen am Ufer der Seitenarme des Amazonas, wenn es heiß und trocken ist.« Mit Bildern versorgt uns nur die Fantasie.
Piranhas auf dem Büffet
Das Boot hat nach einstündiger Fahrt flussarmaufwärts den Schwarzen See (Lago Yanayaco) erreicht. Jesús und Renny kramen als Anakonda-Ersatz – so der Scherz an Bord – bunte Styroporwürste hervor und lassen ein Leiterchen ins Wasser. Die Selbstverständlichkeit ihrer Aufforderung lässt manchen Gast ins Wasser springen.
Dann Aufschreie. Denn irgendetwas zwickt. Es sind nur kleine Fische, die an der weißen Haut knabbern, so lange man nicht wild zappelt. Und Piranhas? Die werden die Fremdlinge mit hölzernen Angeln später fischen und selber verspeisen. Am Abend drapieren weiße Handschuhe im Innern des Dampfers ein gegrilltes Exemplar auf dem Büffettisch. Auch das gehört wie selbstverständlich zur Kreuzfahrt auf dem Amazonas in Peru.
Informationen über die Kreuzfahrt auf dem Amazonas in Peru
Ein Vier-Nächte-Cruise mit der »Delfin II« kostet bei Delfin Amazon Cruises ab 3200 US-Dollar (rund 3100 Euro). Ganz neu hat die Reederei die Delfin III im Programm.
Anreise: Flüge mit Lan ab Frankfurt oder München über Madrid und Lima nach Iquitos oder mit Lufthansa von Frankfurt in die peruanische Hauptstadt. Ab Iquitos bietet die Reederei einen Bustransfer (knapp drei Stunden Fahrt) zum Anleger in Nauta an.
Reisezeit: Termine sind auf der Website der Reederei vermerkt. Sowohl in der Regenzeit (Dezember bis Mai) wie in der Trockenzeit (Juni bis November) legen die Delfin II und die Delfin III in Südamerika ab.
Text und Fotos: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im August 2022. Besonders beeindruckt war der Autor von den Abstechern in die Seitenarme des Amzonas. Der Autor war auf Einladung an Bord der Kreuzfahrt auf dem Amazonas in Peru.
2 Comments
Toller Bericht!
Amazonas-Kreuzfahrt kommt als Punkt auf meine Todo-Liste für Südamerika! Aber leider ziemlich teuer – hätte ich nicht gedacht…
Viele Grüße,
Travephilia
Toller Bericht!
Amazonas-Kreuzfahrt kommt als Punkt auf meine Todo-Liste für Südamerika! Aber leider ziemlich teuer – hätte ich nicht gedacht…
Viele Grüße,
Travephilia